BG Schocktober Kritik: „Don’t Breathe“

11. Oktober 2020, Christian Westhus

Auch dieses Jahr wollen wir euch mit Horrortipps für den schaurigen Oktober nicht alleine lassen und bieten deshalb täglich einen neuen Beitrag aus unseren Horror-Archiven…und nicht immer muss es ein Tipp sein, sondern auch mal eine Warnung…

Don’t Breathe (USA 2016)
Regisseur: Fede Alvarez
Cast: Jane Levy, Dylan Minnette, Daniel Zovatto, Stephen Lang

Story:
Um ihrer negativen Familiensituation und der Trostlosigkeit ihrer Heimat Detroit zu entfliehen, brechen drei Freunde in das Haus eines allein lebenden Blinden ein, der durch eine Versicherungszahlung angeblich viel Bargeld im Haus hat. Doch der Raub geht schief und bald müssen sich die Freunde gegen den erstaunlich widerstandsfähigen Bewohner erwehren.
Wenn die Grenze zwischen Opfer und Täter verschwimmt.

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart des Films im September 2016.)

Film ist Manipulation. Immer. Jeder Schnitt, jede Kameraperspektive, jede Dialogzeile, jeder Musikeinspieler – alles, was zu einem Film gehört, dient dem Zweck unser Verständnis, unsere Emotionen und unsere Sympathie zu lenken und zu beeinflussen. Die Kunst liegt darin, dieses Strippenziehen zu kaschieren, den Zuschauer zum gewünschten Punkt zu führen, ohne dass dieser wirklich spürt beeinflusst zu werden. Das Problem von „Don’t Breathe“ liegt derweil gar nicht darin, dass wir zu sehr spüren, wie wir zu einer Reaktion gezwungen werden, sondern dass wir zu einer Reaktion gezwungen werden, mit der wir vielleicht gar nicht einverstanden sind. Man braucht nur kurz auf den Inhalt zu schielen, um arg ins Grübeln zu geraten. Unsere Hauptfiguren sind drei Diebe, drei junge Kriminelle, die in das Haus eines blinden(!) Kriegsveteranen(!!) einbrechen, der nach dem Tod seiner Tochter(!!!) zurückgezogenen in seinem Haus in einer überwiegend verlassenen Straße lebt.

Der Film lässt uns jedoch keine Wahl; wir müssen auf der Seite der Einbrecher stehen, müssen ihren kriminellen Vorsatz und den trauernden Blinden als Gegenspieler akzeptieren. Damit das auch nur irgendwie möglich ist, bemüht sich das Drehbuch von Regisseur Fede Alvarez und seinem Kollegen Rodo Sayagues um eine Vielzahl von Details, die uns in die gewünschte Richtung manipulieren. Da ist Jane Levy als Rocky, die ihre kleine Schwester mit dem erbeuteten Geld aus der Obhut ihrer alkoholsüchtigen, desinteressierten und elterlich unfähigen Mutter befreien will. Das reicht doch schon auf Seiten der drei Diebe, dachten sich Alvarez und Sayagues, denn Rockys Begleiter sind charakterliche Post-Its, als Behelfsfiguren an den Plot gepappt. Alex (Dylan Minnette aus „Gänsehaut“) ist schüchtern, heimlich verliebt und gaaanz vage können wir vermuten, dass sein Vater keine Zeit für ihn hat. Noch simpler ist Money (Daniel Zovatto), ein aufgesetzt selbstbewusster Möchtegerngangster, dessen zentrale Charaktereigenschaften seine Frisur und sein dämlicher Name sind. Eine größere Rolle nimmt da schon Detroit ein, die wirtschaftlich ramponierte und im Selbstauflösungsprozess befindliche Stadt in Michigan, die seit einigen Jahren zu einem beliebten Filmhintergrund für soziales Elend und Perspektivlosigkeit in den USA geworden ist. Die drei Kids – oder zumindest zwei von ihnen – sind nicht böse, echt nicht; sie sind nur Opfer ihres Umfelds, okay? So funktioniert die Sympathie-Manipulation bei „Don’t Breath

© Sony Pictures

Weil „Detroit“ und austauschbare soziale Klischee-Probleme aber noch nicht ausreichend sind, um die Ausbeutung eines trauernden, blinden Kriegsveteranen zu legitimieren, muss das Bild dieses vermeintlichen Opfers radikal ins Gegenteil gedreht werden. Der arme Alte ist nicht so unschuldig, wie man glauben könnte. Nach und nach lässt uns das Script am Hausbewohner zweifeln, setzt uns das Script zunehmend haarsträubende Begründungen vor, warum die drei Kriminellen das kleinere Übel dieses Films sind. Das hätte eine spannende moralische Ambivalenz ergeben können, doch das scheint gar nicht im Interesse der Filmemacher gewesen zu sein. Die Schocks der zweiten Filmhälfte sind so unnötig wie unangenehm, denn Fede Alvarenz ist ähnlich grimmig und unerbittlich unterwegs wie in seinem Debütfilm „Evil Dead“, doch ein thematischer oder emotionaler Reiz wird daraus nicht gewonnen. Vielmehr steht man sich mit diesen inhaltlichen Details einem ungetrübten Spannungs- und Genrekino-Genuss im Weg.

Aus absolut unerklärlichen Gründen beginnt Alvarez seinen Film mit einem völlig deplatzierten Eindruck der Dinge, die da kommen werden. „Don’t Breathe“ würde besser funktionieren, käme man knapp drei Minuten zu spät in den Kinosaal. Denn technisch hat der Film durchaus etwas zu bieten. Die erhöhte Sinneswahrnehmung des Bewohners kommt und geht, wie es der Plot braucht, doch es ist ohne Zweifel fesselnd und spannend, wie sich die Einbrecher auf leisen Sohlen durchs Haus bewegen, wie sie direkt neben dem hünenhaften Alten stehen und keinen Atemzug (tadaa!) abgeben dürfen, um nicht entdeckt zu werden. Das Highlight ist eine Sequenz in absoluter Dunkelheit, wenn auch den Einbrechern die Sicht geraubt wird. Wir können mit Nachtsicht beobachten, wie sich die Protagonisten durch Tastsinn und Gehör in einem Irrweg aus Regalen und Türen zu orientieren versuchen. Die Kamera saust zuweilen herum wie in David Finchers „Panic Room“ und das dunkle, alte Haus hat immer wieder neue Zimmer, Etagen, Gänge und Schächte, über die man entkommen oder eindringen kann. Gleichzeitig demonstriert der Film anschaulich und beinahe belustigend, wie oft man einen Plot wiederbeleben kann, der eigentlich schon zu Ende erzählt schien. Man kann „Don’t Breathe“ zugutehalten, dass trotz der Einstiegsszene lange Zeit alles möglich ist, weil Fede Alvarez alles zuzutrauen ist; das grimmige Ende, an dem sämtliche Figuren tot sind, das böse Ende, wenn der „Widersacher“ triumphiert, oder das „Happy End“, wenn unsere „Helden“ mit der Beute sicher in den Sonnenuntergang reiten. So richtig rund wirkt allerdings keine Version.

Fazit:
Technisch ansprechend und zwischenzeitlich wirklich spannend, aber inhaltlich zerfahren, da es nur schwerlich möglich ist ungetrübten Spaß am Versteckspiel der Protagonisten zu haben.

5,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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