BG Kritik: „Black Swan“

15. Januar 2019, Christian Westhus

Natalie Portman als Ballerina im neuen Film vom „Requiem for a Dream“ Regisseur. Nina (Portman) ist besessen vom Tanzen, ihrem einzigen wirklichen Lebensinhalt. Als ihr Ensemble unter der Leitung von Thomas Leroy (Vincent Cassel) eine neue Version von „Schwanensee“ angeht, kämpft Nina um die Hauptrolle – mit Erfolg. Doch der Kampf um künstlerischen Erfolg und Perfektion fordert einen Preis. Bald schon wird Nina von Psychosen und Angstvorstellungen heimgesucht.

Black Swan
(USA 2010)
Regie: Darren Aronofsky
Darsteller: Natalie Portman, Mila Kunis, Vincent Cassel, Barbara Hershey
Kinostart Deutschland: 20. Januar 2011

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart im Januar 2011.)

Liebe, Leid, Ruhm und Schmerz. Darren Aronofsky überträgt die Leitmotive seines „The Wrestler“ auf die Geschichte einer überengagierten New Yorker Ballerina. Erstmalig hält Aronofsky kein Autoren-Credit, hatte jedoch schon vor einigen Jahren geplant, einen Film zur sportlichen bzw. künstlerischen Obsession von Athleten zu drehen. Ein Werk über Wrestling und Ballett. Die Parallelen zwischen den Filmen sind offensichtlich und sogar enorm wichtig für den Zusammenhang und die jeweilige Interaktion untereinander. Auch in „Black Swan“ stellt Aronofsky den physisch und psychisch schmerzhaften und an die Grenzen bringenden Kampf eines Performers (Performerin) in den Mittelpunkt. Es ist ein Kampf für den eigenen Sport, die selbst gewählte Kunst, für das persönliche Ausdrucksmedium. Der dramatische Naturalismus von „The Wrestler“ mutiert in „Black Swan“ jedoch zu einem aufwendig stilisierten, von Metaphern durchzogenen Psycho-Horrortrip.

Das Drehbuch nimmt sich auf direkte und auf symbolische Art und Weise der Schwanensee-Geschichte an, also der Geschichte einer Prinzessin, die zum Schwan verwandelt wird und erst durch die wahre Liebe errettet werden kann. Den drohenden Kitsch streicht „Black Swan“ direkt und fokussiert sich auf die vielen psychologischen Ebenen, bei denen besondere Aufmerksamkeit den vier verschiedenen Frauenrollen gilt. Portman, Kunis, Barbara Hershey und Winona Ryder gehören auf höherer Ebene enger zusammen, wie es zunächst aussieht. Portman ist dabei Zentrum und Schnittstelle der unterschiedlichen Facetten und begibt sich zudem direkt in die Fänge von Charmeur und Lustmolch Vincent Cassel als Chef und Choreograph. So soll Nina (Portman) die Hauptrolle in einer prestigeträchtigen Schwanenseeaufführung spielen, hat aber, so Cassel, Probleme mit der dunklen Seite ihrer Doppelrolle als weißer und schwarzer Schwan. Vorkenntnisse und übergroßes Interesse an Schwanensee und Ballett sind hier keine Voraussetzung für Gefallen, sind aber sicherlich von Vorteil. Zumindest sollte man nicht gleich die Flucht ergreifen, wenn spindeldürre Mädchen und Jungs in zu engen Hosen über die Bühne hüpfen.

© 20th Century Studios

In Hauptfigur Nina fließt nun alles zusammen. Es ist ganz explizit ihr Film und wir sind als Zuschauer ganz eng bei ihr und werden so durch ihren Blickwinkel beeinflusst. Bühne, Trainingsraum, Zuhause und Psyche fließen ineinander über und Nina versucht sich im Strom über Wasser zu halten. Die innere Zerrissenheiten umspielt Aronofsky besonders zu Beginn mit unzähligen Spiegelszenen. Nichts ist so wie es scheint, ist die Projektion einer Projektion, ist subjektives Zerrbild eines Originals. Das fasziniert, weil es Vorkehrung für einen Film trifft, in dem nichts sicher ist, der beklemmend und dennoch packend und nachvollziehbar bleibt, ohne ins glasklar Fantastische abzugleiten. Es ist der in seiner Farbdramaturgie so simple wie effektive Kampf des weißen Schwans gegen den schwarzen Schwan. Nur ist dieser schwarze Schwan eben eines dieser Zerrbilder, aufgefächert in Schein und Sein, in Inneres und Äußeres. Davon lebt der Film und das macht ihn so ungemein spannend.

Für Natalie Portman ist es zweifellos die Rolle ihrer bisherigen Karriere und sie ist grandios. Sie bekommt beinahe den gesamten Film zum Austoben und muss dennoch diszipliniert arbeiten. Es ist die Kunst, das Tanzen, die neue Rolle, die Interaktion mit Chef Thomas, die psychische Wandlung, nun im Zentrum zu stehen. Außerdem lebt Nina mit ihrer Mutter zusammen, die selbst eine gescheiterte Künstlerin ist und ihre Tochter gleichermaßen bemuttert wie antreibt. Barbara Hershey gibt der Mutterrolle wunderbar nuanciert etwas Psychopathisches, während Ryder in ihrer kleinen Rolle als ausgediente Ballerina ordentlich wirr vom Leder ziehen darf. Und auch Cassel hat als verführerische Bedrohung allerhand Spaß an der Rolle. Ninas Perfektionsdrang lässt sie noch weiter mit der Figur verschmelzen, besonders je mehr Lily (Mila Kunis) in den Fokus rückt. Es ist das klassische Bild von These und Antithese, denn Lily beherrscht das sinnlich Animalische, das Unbekümmerte, welches Nina für den schwarzen Schwan fehlt. Hier treffen Vorstellungen von Ordnung, Disziplin und Züchtigkeit auf jugendliche Verspieltheit und unbekümmert direkten Sex Appeal. Und Kunis ist stark in einer für sie ungewohnt ernsten Rolle. Sie trifft genau den Punkt ihrer Figur, gleichermaßen Verbündete und Konkurrentin für Nina.

Das Drehbuch meint es mitunter vielleicht etwas zu gut mit wilden „Einbildung oder Realität“ Finten, die versuchen sollen, dem Zuschauer gleichermaßen wie Nina den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Das funktioniert aber auch oft genug. Die konzeptionelle Stärke des Films ersteht insbesondere durch Portman, aber mindestens gleichwertig durch Darren Aronofskys Umsetzung. Er inszeniert ein erotisch aufgeladenes Adoleszenz-Psychodrama im Horrorgewand, mit einem Hauch Dario Argento. Immer haarscharf an der Grenze zwischen Genreklischees und übersteigerter unfreiwilliger Komik, brodelt und scheppert der Film mit einer emotionalen Wucht, die begeistert. Die unruhige Handkamera, die in Außenszenen zumeist Nina verfolgt, weicht in den Trainings-, Tanz- und Verführungs- und insbesondere in den Performanceszenen auf der Bühne der fließenden, fast personal mittanzenden Kamera von Matthew Libatique. Es ist atemberaubend, wie die Kamera Teil der Choreographie wird, um Nina kreist, zwischen den anderen Tänzern hindurch, quer über die Bühne, um dann Backstage zu erscheinen. Auch dank des Schnitts sind die Bühnenszenen plastisch, dynamisch und mitreißend arrangiert. All das ist am Ende gleichermaßen emotional wie unbehaglich, psychologisch faszinierend wie dramatisch. Ein packender Psychothriller mit sexuellen Subebenen und einer dichten Metaphorik zwischen Schwanensee und Adoleszenz. Grell und manches Mal plump, aber fraglos intensiv.

Fazit:
Besonders dank einer wilden und dynamischen Inszenierung von Darren Aronofsky wird „Black Swan“ zu einem faszinierenden, spannenden, erotischen und mitreißenden Psychothriller im metaphorisch aufgeladenen Ballett-Milieu, mit einer fantastischen Natalie Portman in der vielschichtigen Hauptrolle.

8,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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