BG Kritik: „Two Lovers“ (Treasure Monday)

16. Juli 2020, Christian Westhus

Erstklassiges Liebesdrama mit Joaquin Phoenix und Gwyneth Paltrow: Der psychisch instabile Leonard (Phoenix) trifft im Apartmentkomplex auf Michelle (Paltrow) und verliebt sich in sie. Beide freunden sich an, doch Leonard hält seine wahren Gefühle zurück, da sich Michelle noch in einer Affäre mit einem verheirateten Mann befindet. Unterdessen stellen seine Eltern Leonard eine Frau (Vinessa Shaw) als potentielle Ehefrau vor.

Two Lovers
(USA, Frankreich 2008)
Regie: James Gray
Darsteller: Joaquin Phoenix, Gwyneth Paltrow, Vinessa Shaw, Isabella Rossellini
Veröffentlichung Deutschland: 19. März 2010 (DVD)

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im September 2015.)

Liebe in Zeiten der Jahrtausendwende. – Manchmal schaffen Filme zwei Dinge auf einmal, die zunächst wie Gegensätze wirken. Filme, die etwas auf dem Herzen haben, die etwas sagen wollen, müssen häufig einen schmalen Grat zwischen Mikro und Makro beschreiten, zwischen der konkreten individuellen Handlung und den daraus gewonnenen abstrakten Themen oder Ideen. James Gray gelingt so etwas mit „Two Lovers“. Sein Film ist gleichermaßen extrem persönlich wie auch universell. Die Ver- und Überkreuzungen von Liebe, Lust und Begehren, die „Two Lovers“ beherrschen, entwerfen ein Bild moderner, großstädtischer Liebe in einer Welt, in der Liebe und Sex häufig synonym verwendet werden. Eine Welt, in der Liebe Macht bedeutet, in der Sex zur Selbstverwirklichung dient und Romantik wahlweise ein Luxus oder ein naives Ideal ist.

Dennoch steckt etwas Grundlegendes in der kaum stillbaren Sehnsucht, die Leonard Kraditor für seine Nachbarin von Gegenüber entwickelt. Leonards dringender Kampf um die Erfüllung seiner Gefühle für Michelle ist ein Kampf ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf die eigene Unversehrtheit. Nach einer vorigen Liebesenttäuschung in die Depression gerutscht, zieht Leo wieder bei seinen Eltern ein, arbeitet im familiären Reinigungssalon, ehe er etwas Eigenes findet. Leonard steht in einer Tradition romantisch Leidender, wie ein moderner Werther im nach außen getragenen Konflikt zwischen Herz und Intellekt.

© Senator

„Two Lovers“ ist ein weiterer Beweis dafür, dass Joaquin Phoenix zu den faszinierendsten und wandlungsfähigsten Darstellern seiner Generation gehört. Kaum jemand schlüpft so glaubwürdig und einzigartig in die Extreme zwischen finster, schräg und herzlich. Zwischen Commodus aus „Gladiator“, den beiden Paul Thomas Anderson Rollen („The Master“ und „Inherent Vice“) und dem liebeskranken Theodor aus „Her“ liegen Welten und genau diese Treffen in „Two Lovers“, eine Art Übergangsfilm in Phoenix‘ Karriere, zusammen. Es liegt etwas Krankhaftes und sogar Amoralisches in Leonard. Die Affäre, in der sich die von Gwyneth Paltrow mit selten gesehener Intensität gespielte Michelle befindet, in der Hoffnung ihr Liebhaber würde sich alsbald von seiner Frau trennen, spiegelt sich in Leonard wieder. Er hofft auf Einsicht bei Michelle, um sie von „dem Anderen“ (Elias Koteas) weg zu führen und für sich zu haben. Gleichzeitig gibt sich Leonard offen für die Verkupplung mit Sandra (Vinessa Shaw) durch seine Eltern und eine befreundete Familie.

„Two Lovers“ ist ein ironischer Titel und es bleibt dem individuellen Empfinden des Zuschauers überlassen, ob man ihn tragisch oder zynisch auffasst. Weitaus mehr als nur zwei Liebende beeinflussen sich in dieser Geschichte, aktiv und passiv. Auch die quasi unsichtbare Ehefrau von Michelles Liebhaber hat eine klare Präsenz im Geschehen. Das ist Phoenix‘ große Leistung, dass wir trotz seiner Lügen und Täuschungen ein Verständnis und vielleicht sogar Mitgefühl für seine seelische Qual haben. James Gray erzählt seinen Film in wunderbar stimmungsvollen, dunklen Bildern die viele Geheimnisse in ihrer Wärme tragen. Vollkommen unkitschig und doch vollends sinnlich erreicht Gray eine selten gesehene Emotionalität, eine Rauheit und Ergriffenheit, die „Two Lovers“ zu einem Meisterwerk des romantischen Films machen. Ein großer „kleiner“ Film, meisterhaft erzählt bis zum fantastischen, vieldeutigen Schluss.

Fazit:
Raue, moderne Liebesgeschichte, gleichermaßen tragisch wie romantisch. Großartig gespielt und voller Gefühl.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung