BG Kritik: „La La Land“

13. Januar 2020, Christian Westhus

Damien Chazelles oscarprämiertes (u.a. für Emma Stone in der Hauptrolle) Musical-Drama über einen Jazz Pianisten und eine angehende Schauspielerin, die sich ineinander verlieben und versuchen, ihre Karriereträume zu verwirklichen.

La La Land
(USA 2016)
Regie: Damien Chazelle
Darsteller: Ryan Gosling, Emma Stone
Kinostart Deutschland: 12. Januar 2017

(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart im Januar 2017.)

Singing in the West Side Moulin of Cherbourg. Oder so.

Wie geht man mit Erfolg um? Der noch immer verboten junge Damien Chazelle, Jahrgang 1985, hatte, von seinem Studenten Abschlussfilm abgesehen, gleich mit seinem ersten Spielfilm als Regisseur einen Erfolg, auf den andere Menschen ihr Leben lang warten. „Whiplash“ war für fünf Oscars nominiert, gewann drei und war ganz nebenbei ein mehr als beachtlicher finanzieller Erfolg für ein kleines Drama über einen Jazz Trommler. Dieser Erfolg ermöglichte Chazelle erst, seinen Traum von einem originalen und modernen Film Musical umzusetzen. Nun, mit 14 Oscarnominierungen für „La La Land“, der fast sicheren Aussicht auf gleich mehrere Auszeichnungen und einem weltweiten Kinokasseneinspiel von bald 200 Millionen im Gepäck, kann es für Chazelle eigentlich nur noch abwärts gehen. Die Frage, wie mit Erfolg umzugehen ist, stellt sich auch für den Zuschauer. Wie geht man mit einem Film um, der so einhellig über den grünen Klee gelobt wird? Egal, ob man sich der Tendenz anschließt oder die wenigen (wenn auch lauter werdenden) kritischen Stimmen annimmt, „La La Land“ ist auf eine Übergröße angewachsen, an der man nicht vorbeikommen kann. Unvoreingenommen kann man einen Film ohnehin quasi nie sehen, doch „La La Land“ ist eine ungewohnt schwere Aufgabe der Rezeption.

Doch Fragen des Erfolgs beschäftigen auch den Geschichtenerzähler Damien Chazelle. Künstlerische Selbstverwirklichung ist in der bisher überschaubaren Filmographie des jungen Amerikaners – neben Jazz – das zentrale Thema. „Whiplash“ stieß mit seiner nonchalant urteilsfreien Darstellung einer brutalen Musiklehrer/Schüler Beziehung nicht wenigen Zuschauern vor den Kopf. Und auch „La La Land“ ist weitaus mehr als heiter bis sonniger Musical Eskapismus. Chazelle nimmt das Kunst- und Erfolgsstreben seiner Figuren ernst, unterstützt ihr Anliegen, klammert die Rückschläge und möglichen Opfer eines solchen Lebensweges aber auch nicht aus. Doch der Regisseur ist auch noch besser geworden. Seine Ambivalenz kann nun kaum mehr als Schwammigkeit gedeutet werden, unterstreicht vielmehr die Komplexität seiner Erzählung.

© Arthaus

Für Sebastian und Mia ist das jeweilige Kunststreben zunächst die große Gemeinsamkeit, die aus einer unerklärbaren romantischen Anziehung eine feste Verbindung macht. In ihrer Partnerschaft sind sie einander Motivator, Unterstützer, Kritiker und Testpublikum, doch bald kommen neue Faktoren hinzu. Der Faktor der Zeit wiegt schwer auf der Beziehung, die Frage der Authentizität belastet jeden Rückschlag, jeden neuen Versuch, jeden kleinen Kompromiss auf dem Weg zum Erfolg. Chazelle ist ehrlich zu und mit seinen Figuren, doch er traut dem Publikum auch eigene Auslegungen und Auffassungen zu. Da ist ganz zentral Sebastians Identifikation mit Jazz und seine womöglich naiv-snobistische Auffassung eines Musikgenres, welches, wie er glaubt, (s)eine Rettung benötigt. Die angehende Schauspielerin Mia ist einer Hollywoodkarriere immer dann am nächsten, wenn sie auf dem Warner Bros. Studiogelände im Café arbeitet. Ein von ihr selbst entwickeltes Theaterstück für eine Person – sie selbst – beschreibt sie euphorisch und mit vorsichtigem Stolz als „nostalgisch“, womit der Film seinem eigenen größten Kritikpunkt direkt entgegentritt.

Chazelle ist ein nostalgischer Regisseur. Musicals im Film haben das Image des Alten Hollywoods, einer aus filmhistorischer Sicht antiken Gattung von Unterhaltung, die einem modernen Sing Star und Casting Show Publikum nicht selten gekünstelt und unglaubwürdig erscheint. Chazelle liebt Musicals und zitiert reichlich, verweist überdeutlich und mehr als einmal auf „Singing in the Rain“ (1952), auf „Ein Amerikaner in Paris“ (1951) und auf die Filme Jacques Demys, insbesondere das 1964er Meisterwerk „Die Regenschirme von Cherbourg“, auch wenn die Hauptinspiration laut Interview bei einem Stummfilmdrama namens „7th Heaven“ (Das Glück in der Mansarde, 1927) liegt. Klassische Musicals waren immer schon irreal, kommunizierten die Übergröße von (häufig versteckten) Emotionen durch einen Bruch mit der Realität.

Chazelle inszeniert diese Passagen meisterlich. Die von Justin Hurwitz geschriebenen Songs im Swing-Jazz Stil haben vielleicht nicht den Pop-Bombast von „Moulin Rouge!“ oder einem Disney Musical, und Emma Stone und Ryan Gosling haben vielleicht nicht die Stimmen, um eine reine Gesangskarriere zu starten, doch die Nummern reißen mit, bleiben im Ohr und sind toll anzusehen. Mit einer agilen Kamera, cleveren Schnitten, pfiffiger Tanzchoreographie und Kostümen & Ausstattung als Primärfarbenorgie wird jeder dieser Realitätsbrüche zu einem Genuss. Doch im Verlauf zeigt sich Chazelles Weitblick und Ehrlichkeit im Umgang mit Nostalgie und Eskapismus. Der Blick zurück auf eine Vergangenheit, die es so nie gab, hat seine Grenzen und kann, wie es John Legend in seiner Nebenrolle kommuniziert, nur zu Stillstand führen. Ganz nebenbei und fast passiv holt Chazelle wortwörtlich das alte Hollywood in seine Geschichte und lässt zunächst Film – im klassischen Sinne – und dann das dazugehörige Kino untergehen. Seinem zentralen Leinwandpaar droht Ähnliches. Ihre Träume, ihre Karriere, ihre Authentizität und ihre Beziehung bedingen sich gegenseitig und stehen auf dem Spiel. Es ist die hochemotionale Genialität der finalen Musicalnummer, mit der Damien Chazelle seinen nostalgischen Blick zurück trotz eigentlich simpler Grundhandlung zu einer erstaunlich komplexen Beobachtung von Träumerei, Karrieredenken und Selbstfindung macht. Egal, ob es eine Liebesbeziehung oder Hollywood betrifft.

Fazit:
Süchtig machend, mitreißend und fantastisch inszeniert, dabei emotionaler und auch cleverer als gedacht.

9/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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