BG Schocktober Kritik: „Das Spiel“ / „Gerald’s Game“

17. Oktober 2020, Christian Westhus

Auch dieses Jahr wollen wir euch mit Horrortipps für den schaurigen Oktober nicht alleine lassen und bieten deshalb täglich einen neuen Beitrag aus unseren Horror-Archiven…und nicht immer muss es ein Tipp sein, sondern auch mal eine Warnung…

Das Spiel
(Originaltitel: Gerald’s Game | USA 2017)
Regie: Mike Flanagan
Darsteller: Carla Gugino, Bruce Greenwood
Veröffentlichung: 29. Spetember 2017 (Netflix)

Handlung:
Im entlegenen Landhaus wollen Jessie und Gerald Burlingame ihrer erschlafften Ehe wieder Leben einhauchen. Gerald beginnt ein Fesselspiel im Bett, bis er nach einem Herzinfarkt tot daneben liegt. Jessie, mit beiden Armen ans Bett gefesselt, befindet sich in einer schier ausweglosen Situation.

(Diese Kritik erschien ursprünglich zur Erstveröffentlichung des Films September 2017.)

2017 – Das Jahr der Stephen King-aissance.

Im Vergleich zu vielen anderen Werken Stephen Kings, nicht zuletzt den dieses Jahr (neu-)adaptierten „Der dunkle Turm“ und „Es“, hat „Das Spiel“ einen markanten Vorteil: Mit etwas über 300 Seiten (je nach Ausgabe) ist der Roman verhältnismäßig kurz und demnach für den Medienwechsel deutlich besser geeignet als zuvor genannte Riesenwälzer. Das war es dann aber auch schon mit Vorteilen für „Gerald’s Game“ (Originaltitel), denn das psychologische Horrordrama galt lange Zeit als unverfilmbar. Von einigen Rückblenden abgesehen vollzieht sich die Handlung nahezu ausschließlich an einem einzigen Schauplatz mit einer alleingestellten und stark bewegungseingeschränkten Hauptfigur, die als hypersubjektive Ich-Erzählerin eine explizit literarische Perspektivform vorgibt, inklusive eines ausführlichen Epilogs, der abschließend ein paar Zentner Zusatzinfos bei uns abliefert. Über mindestens eines dieser Hindernisse stolpert Regisseur und Autor Mike Flanagan, doch insgesamt ist seine Leistung mehr als beachtlich.

Die angeknackste Ehe, das Landhaus, die Handschellen und ein Herzinfarkt; es ist ein so dummer wie ungewöhnlicher Zufall, der zunächst einen Überlebenskampf der etwas anderen Art verspricht. In gewisser Weise ist „Das Spiel“ sogar ein solcher Überlebenskampf, einer der anders-anderen Art. Die Grundfragen lauten erwartungsgemäß wie folgt: Wie kommt man aus den Handschellen raus? Ab wann würde man Jessie vermissen? Wann würden Leute ins Haus kommen? Wie lange kann man überleben? Wo gibt es Wasser/Nahrung? – Doch bis Jessie überhaupt diese Fragen stellt und beginnt, an ihrer Befreiung und ihrem Überleben zu arbeiten, hat Mike Flanagan bereits eine tückische Adaptionshürde gemeistert. Jessies inneren Konflikt, den King seitenweise als subjektives Streitgespräch innerhalb einer Person formuliert, bricht Flanagan auf bzw. nimmt ihn ganz wörtlich. Jessies Gewissen, ihre innere Zerrissenheit, adaptiert der Regisseur zu Engelchen und Teufelchen Personen, zu Beeinflussern und Ratgebern, die der Gefesselten zureden und damit auch die Einsamkeit der Wohnung aufbrechen.

© Netflix

Manches Mal lässt Flanagan vielleicht die Geduld und Ruhe vermissen, um Jessies Ausweglosigkeit, die Einsamkeit oder die zermürbende Stille und Nicht-Stille im Haus wirklich auszukosten. Ein tierischer Begleiter hätte oftmals gereicht und nicht jede Entscheidung, nicht jeder Gedankengang hätte verbal geäußert werden müssen, doch insgesamt ist diese filmische Interpretation der Erzählperspektive äußerst gelungen. So geben die ungewöhnlichen Gesprächspartner schon einen Vorgeschmack auf Jessies davonschleichendes Seelenheil, auf die immer weniger zurechnungsfähige mentale Verfassung unserer Protagonistin, die nach emotionalem Schock, durch Hunger, Durst und Müdigkeit bald nicht mehr zwischen Wahr und Falsch, Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden kann.

Jessies Vergangenheit ist die eigentliche Triebfeder der Geschichte, denn ihre Persönlichkeit, ihr Trauma und der Versuch einer doppelten – dies- und jenseitigen – Befreiung sind wichtiger als die Handschellen, die sie ans Bett fesseln. „Das Spiel“ kann erst dann ein Überlebensthriller werden bzw. Hauptfigur Jessie kann erst dann ihren physischen Überlebenskampf antreten, wenn sie ihre psychische Lähmung überwunden hat. Es gibt ein zurückliegendes Trauma, welches King – für gewöhnlich ein Autor mit effektiv-direktem Stil – sprachlich auf der Messerspitze tanzen ließ, ständig im Gefahrenbereich nach heutigen Maßstäben mit einem Hashtag als „problematisch“ abgetan zu werden. Regisseur Flanagan nimmt die Sache ernster, kann aus einem modernen Verständnis heraus aufgreifen, abwandeln und kommentieren. Das übernimmt auch Hauptdarstellerin Carla Gugino, die eine hervorragende Leistung zwischen laut und leise abliefert, die körperlich und emotional überzeugt. Nur der erwähnte Epilog, schon in Schriftform eine gewöhnungsbedürftige Sache, sorgt für massiven Druckabfall in der Kabine.

Fazit:
Gelungene Adaption eines nicht gerade adaptionsfreundlichen Buches; spannend, originell und dramatisch fundiert. „Das Spiel“ ist ein sehenswerter Genre-Querschnitt, der nie den Anspruch erhebt ein Film für die Ewigkeit sein zu wollen, was dem Film sehr zu Gute kommt.

6,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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