Treasure Tuesday Spezialkritik: „Mordsache: Dünner Mann“

12. Januar 2021, Christian Westhus

Halb „Whodunit“ Krimi, halb Screwball-Comedy. Der Anfang einer gefeierten Filmreihe, die es in den 1930ern und 40ern auf insgesamt sechs Teile bringen sollte. „Der dünne Mann“ (1934), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Warner Bros.

Der dünne Mann (auch: „Mordsache: Dünner Mann“)
(Originaltitel: The Thin Man | USA 1934)
Regie: W. S. Van Dyke
Darsteller: William Powell, Myrna Loy, u.a.
Veröffentlichung Deutschland: 31. Januar 1969

Was ist das für ein Film?
Diese Kriminalkomödie, eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Noir- und Hard Boiled Spezialist Dashiell Hammett, war ein derartiger Publikumshit, dass es die Reihe rund um Darsteller-Duo William Powell und Myrna Loy auf insgesamt sechs Teile brachte. Powell spielt den erfolgreichen und hochangesehenen Privatdetektiv Nick Charles, doch seit seiner Hochzeit mit Nora (Myrna Loy), gibt er sich endlich dem frühzeitigen Ruhestand hin, genießt die Freiheit und Unbeschwertheit (auch Dank der reichhaltigen Finanzen seiner Frau), um reichlich zu trinken und sich hin und wieder verspielt bis überspitzt mit Nora zu zanken, obwohl sich beide eigentlich innig lieben. Eigentlich außer Dienst gerät er dennoch in einen neuen Fall: Wissenschaftler Wynant ist verschwunden, seine Sekretärin und Ex-Geliebte kurz darauf tot und aus mehreren Richtungen hört man von vertrackten Geldgeschäftigen, geplatzten Deals, Neid und Gier. Die Öffentlichkeit ist sich einig; Wynant ist der Mörder und seitdem auf der Flucht. Doch Nick und Nora (und Hund Asta) haben ihre Zweifel. Immerhin gibt es eine ganze Reihe weiterer Verdächtiger mit diversen Motiven.

Warum sollte mich das interessieren?
„Der dünne Mann“ alias „Mordsache: Dünner Mann“ wagt den Spagat zwischen Genres. Diesen machte schon die Vorlage vor, wenn auch mit einem etwas bittereren Unterton. Der Film funktioniert als Screwball-artige Komödie, aber auch als Kriminalfilm und Murder Mystery. Das gesamte Personal an Zeugen, Verdächtigen und anderen Weggefährten ist ein kurioser Haufen, nicht komplett ad absurdum geführt, aber immerzu eine Nuance drüber. Die Ent- und Verwicklungen des Falls sind nicht nur banales Zubrot für eine laue Gag-Revue. Man adaptiert nicht Dashiell Hammett, wenn man eigentlich nur Gags und Slapstick im Sinn hat. Es gibt einige rote Heringe, falsche Fährten, mittelgroße Twists, bis es zur zünftigen Gegenüberstellung und Offenbarung der etwas anderen Art kommt. Was Nick als Chef-Ermittler hier wagt, erinnert ein wenig an insbesondere Peter Ustinovs Hercule Poirot, nur weniger belgisch, weniger pathologisch und mit mehr Alkohol.

Dennoch geht der eigentliche Reiz des Films von seinem zentralen Duo aus; zwei Darsteller, die insbesondere durch diesen Film zu Stars wurden und wie erwähnt eine der erfolgreichsten Filmreihen des klassischen Hollywoods prägten. Gleich beim ersten Auftritt, wenn Nora Nick in einer Bar findet, springt der Funke über. Der Ex-Detektiv und die reiche Society-Lady, die sich nicht gesucht, aber gefunden haben und nun ihre gemeinsamen Interessen aus lauem Vergnügen, Partys und viel Alkohol ausleben. Der Fall ist ernst, ein Mensch ist tot, doch insbesondere für Nick ist die halb ernst gemeinte Ermittlung zeitgleich auch ein großer Spaß, eine Bühne bzw. eine Rahmung, um sich als kühner Kopf und smarter Typ zu präsentieren. Das riecht nach Arroganz und Snobismus; ist es mitunter auch, jedoch immer maximal sympathisch. Vielleicht entfernt vergleichbar mit einem gewissen „Milliardär, Playboy und Philanthropen“, der ein paar Jahrzehnte später eine große Kinofilmreihe lostreten sollte. Dieses „Upper Class Snob“ Image mag aus heutiger Sicht etwas seltsam oder schwer akzeptierbar sein, wie auch der wahrlich absurde und vollkommen konsequenzbefreite Alkoholkonsum jenseits von Gut und Böse ist. Ein kleinwenig muss man dem Film entgegenkommen, diesem latent überzeichneten Eskapismus Unterhaltungsfilm von 1934. Der Dialogwitz von „Der dünne Mann“ ist dafür eine große Hilfe, aber erst das Mienenspiel und der Ausdruck von Persönlichkeit und Charakter in der Darbietung machen den Unterschied aus. Powell und Loy sind ein perfektes Leinwandpaar und Nick und Nora sind bzw. waren eine bemerkenswerte Neuerung. Die seltene Hollywood-Filmehe, die nach der Hochzeit erst so richtig innig, vergnügt und unbeschwert wird, auch da die Ehepartner überwiegend auf Augenhöhe interagieren … wenn sie sich nicht irgendwann ins Grab saufen.

Auf DVD erhältlich. Als VOD verfügbar bei Amazon, iTunes oder Maxdome.

Du willst noch mehr spezielle Geheimtipps und Filmempfehlungen? Die gesammelten Treasure Tuesday und ältere Treasure Monday Rezensionen gibt es hier!

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung