BG Kritik: „Neues aus der Welt“ („News of the World“)
Tom Hanks und „Systemsprenger“ Darstellerin Helena Zengel in einem Western vom „Bourne Ultimatum“ Regisseur Paul Greengrass. Ein Nachrichtenleser gerät an ein verwaistes Mädchen und soll dieses durchs gefährliche texanische Hinterland zu entfernten Verwandten bringen. Statt im Kino, nun via Netflix für Zuhause.
Neues aus der Welt
(Originaltitel: News of the World | USA, China 2020/21)
Regie: Paul Greengrass
Darsteller: Tom Hanks, Helena Zengel, u.a.
Veröffentlichung Deutschland: 10. Februar 2021
Kaum zu glauben, aber Tom Hanks hatte bisher noch keine echte Westernrolle. Der zweifache Oscarpreisträger war Soldat im zweiten Weltkrieg, Soldat in Vietnam, der später Shrimp-Millionär wurde, war Astronaut, war bei der irisch-amerikanischen Mafia, war Gefängniswärter und war Walt Disney höchstpersönlich, doch die amerikanische Originalstimme von Cowboy Woody aus „Toy Story“ konnte sich bisher noch nicht im Western versuchen. All American T.Hanks konnte sich erst mit diesem Film erstmalig im amerikanischsten aller Genres versuchen. Und oh Schreck, Hanks spielt einen ehemaligen Captain der Konföderation! Doch Captain Jefferson Kyle Kidd, ein Mann aus dem Druckwesen, der als Offizier der Südstaaten in einen ungewollten Krieg hineingezogen wurde, ist ein ruhiger und politisch besonnener Mann, der erkennt – oder zumindest versucht zu erkennen – dass Veränderungen auch Verbesserungen und Möglichkeiten bieten können. So gibt sich Captain Kidd nun, in den jungen Nachkriegsjahren der keineswegs vereinigten Staaten, als Nachrichtenleser. Er reist von Stadt zu Stadt durch Texas, um für ein paar Taler vor versammeltem Publikum aus der Zeitung vorzulesen. Und so öffnet dieser Film, der als Universal Pictures Produktion erst durch die größeren Umstände dieser Tage ungeplant bei Netflix landete, damit, wie Captain Kidd von einem mittelschweren Krankheitsausbruch in irgendeiner Stadt erzählt.
Es ist ein simpler Zufall, der Kidd und das junge Mädchen (Helena Zengel), welches Johanna heißen soll, zusammenführt. Schlechtes Timing, könnte man sagen. Oder perfektes Timing. Eigentlich will Captain Kidd nur pflichtbewusst und mit dem nötigen zwischenmenschlichen Anstand dafür sorgen, dass besagte Johanna über offizielle Wege in eine vernünftige Obhut und bestenfalls an den Rest ihrer Familie übergeben wird. Denn das Mädchen hat ganz offenbar schon einiges mitgemacht. Eigentlich eine deutsche Einwanderin wird schnell klar, dass die Eltern ermordet wurden und das Mädchen über längere Zeit bei Kaiowa Indianern aufwuchs. Die Sprache der Kaiowa spricht das oft wild aufbrausende Mädchen fließender als ihre vermeintliche Muttersprache Deutsch. Doch natürlich sieht sich Captain Kidd bald gezwungen, selbst das Ruder zu übernehmen und Johanna an ihren Onkel und ihre Tante zu überbringen, die mehrere hundert Meilen entfernt in einer kleinen Siedlung leben sollen.
Nach dem Roman von Paulette Jiles greift „Neues aus der Welt“ Elemente des klassischen „Treks“ auf, der Reise durchs wilde amerikanische Land. Ein langer Weg durch unwirtliches Gelände, extremer Witterung ausgesetzt, mit Nahrungs- und Wasserknappheit geplagt und natürlich könnten hinter jedem schroffen Fels und hinter jedem Busch schießwütige Wegelagerer lauern. Es ist der Wilde Westen; Outlaws inklusive. Ob man das Duo aus Captain Kidd und Johanna nun mit „True Grit“ vergleichen will oder in beiden Joel und Ellie aus „The Last of Us“ erkennt, spielt fast keine Rolle. Es ist eine Geschichte, die wir in Versatzstücken schon mehrfach gesehen haben, die sich aber auch keineswegs hinstellt und verkündet, die größte filmische Sensation des Jahres zu sein. Diese Bescheidenheit tut dem Film gut.
Vielleicht wären höhere und größere Ambitionen nicht verkehrt gewesen. Und vielleicht wäre die Bescheidenheit des Films innerhalb einer klassischen Kinoveröffentlichung negativer aufgefallen, doch „Neues aus der Welt“ funktioniert und unterhält. Die Details mögen nicht bis ins letzte Detail durchexerziert werden, doch Captain Kidd und Johanna besitzen einige spannende Facetten und hintergründige Aspekte, die keineswegs flach oder austauschbar sind. Allein Kidds Stellung als ehemaliger Captain der Südstaaten, sein eigentlicher Beruf vor dem Krieg und sein jetziger Weg als Nachrichtenleser geben dieser Figur die nötige Tiefe. Konsequenterweise erhalten wir ein paar Hinweise auf Kidds Familienleben, auf eine in San Antonio zurückgelassene Ehefrau, erleben aber auch eine Begegnung mit einer alten Vertrauten. Bei Johanna fasziniert die dreigeteilte Kultursicht auf ihre Person. Eine junge Deutsche, die in die USA auswandert und sich nun als Kaiowa sieht; das hat als Motiv innerhalb des Nachkriegssüdens unbestreitbar Wirkung. Für „Systemsprenger“ Entdeckung Helena Zengel ist es eine teils ähnliche und doch über weite Strecken nuanciertere Rolle, insbesondere sprachlich.
Und selbst wenn man das Kommen und Gehen von Gefahren, vorsichtiger menschlicher Annäherung, ungewollter Abstoßung und einer erneuten Actionszene irgendwo schnell durchschauen und schnell mitsprechen kann, leistet sich der Film allerhöchstens den Fehler, nicht bis in die letzte Faser begeistern zu wollen. Paul Greengrass, ein Regisseur, der vorläufig untrennbar mit politischem Thrillerkino und dem „Shaky Cam“ genannten Inszenierungsstil verbunden, gibt sich hier ganz klassisch und altmodisch. Selbst die vorige Tom Hanks Kollaboration, „Captain Phillips“ (2013), wirkt im Vergleich rau, abstrakt und unterkühlt. „News of the World“ verlässt sich komplett auf seine guten Darsteller, die hübsch abgelichtete Szenerie und wird unterstützt von einem gelungenen James Newton Howard Score. Es ist ein Film, der nicht unbedingt so viel mehr im Sinne hat als für knapp zwei Stunden zu unterhalten, mitfiebern zu lassen und auch ein paar große Emotionen zu wecken. Und dafür reicht es allemal, auf kompetent hohem Niveau. Ob man daraufhin nach mehr verlangt und diese Bescheidenheit negativ auslegt, das ist jedem Zuschauer selbst überlassen.
Fazit:
„Neues aus der Welt“ ist ein kompetent inszeniertes und gut gespieltes Western Road Movie. Recht arm an Überraschungen, aber im besten Sinne bescheiden. Nette Unterhaltung.
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