BG Kritik: „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“

29. Januar 2018, Christian Westhus

Neues vom „Brügge sehen…“ Regisseur: Monate sind vergangen, seit die Tochter von Mildred Hayes (Frances McDormand) von einem Unbekannten vergewaltigt und ermordet wurde. Ein Täter wurde seitdem nicht gefunden; die örtliche Polizei hat noch nicht einmal eine wirkliche Spur. Also mietet Mildred drei örtliche Reklametafeln und lässt Kritik an der Polizeiarbeit anbringen. Damit löst sie in der Kleinstadt in Missouri einiges aus.

Three Billboards outside Ebbing, Missouri
(USA, UK 2017)
Regie: Martin McDonagh
Darsteller: Frances McDormand, Woody Harrelson, Sam Rockwell, u.a.
Kinostart Deutschland: 28. Januar 2018

Zwei Dutzend Probleme inside Ebbing, Missouri.

„Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ ist das, was man Neudeutsch als „Button Pusher“ bezeichnet. Ein Film der provoziert, der unnachgiebig die heißesten und problematischsten Themen aus Politik und/oder Sozialem anspricht, vorspielt und erweitert. „Three Billboards“ ist ab bzw. bis zu einem gewissen Punkt auch explizit amerikanisch. Da ist ganz zentral Frances McDormand als Mildred Hayes, eine Frau, die es satt hat, die die Dinge in die eigene Hand nimmt und die Männer in Verantwortungspositionen herausfordert. Mildred ist, obwohl zeitlich davor entstanden, wie geschaffen für #Time‘sUp und die dazugehörigen Debatten. Das Gewaltverbrechen an ihrer Tochter könnte leider nur zu gut aus den gegenwärtigen Nachrichten stammen und rangiert im Dunstkreis dessen, was seit einigen Jahren als „Rape Culture“ bezeichnet wird. Die Polizei in Ebbing hat derweil einen schlechten Ruf; insbesondere Dixon (Sam Rockwell) ist für rassistisch motivierte Gewalt berühmt und berüchtigt. Gewalttätiges Fehlverhalten von Polizisten ist in den USA seit einer Weile ein hochkomplexes und kompliziertes Thema. Und ganz nebenbei liefert der Film Handlungsansätze zu häuslicher Gewalt, zu Suchtverhalten und ein ganzes Panoptikum hauptsächlich (aber nicht exklusiv) verbaler Diskriminierung gegen diverse Personen, insbesondere gegen Kleinwüchsige in Gestalt von Peter Dinklage. Und, ach ja, eine zentrale Figur leidet an Krebs. Das spielt auch noch eine Rolle.

Daraus kann man einen Film machen und Martin McDonagh hat als Autor und Regisseur genau das geschafft. „Three Billboards“ ist ein Film. Der Brite liebt problematische und problembehaftete Figuren, will sie ergründen und wahlweise Sympathie oder zumindest ein Mindestmaß Verständnis erwecken. McDonaghs Figuren sind nie einfach nur gut oder schlecht – und das macht seine Arbeit so spannend; auch diese. Äußerst bedauerlich also, dass der schon jetzt größte Erfolg in McDonaghs Karriere ein wenig übereifrig geraten ist und dadurch nie wirklich rund wirkt. Die diversen heißen Themen werden angerissen, ausgebreitet und nach öffentlicher Vorführung wieder ignoriert. Man könnte das „Überfrachtung“ nennen, doch zusätzlich umweht Figuren und Handlung der Hauch weltfremder Naivität. Der galligen Sozialkritik fehlt nicht nur Zielwasser, sondern auch Authentizität. Da sitzt zum Beispiel in einer frühen Szene ein Priester in Mildreds Küche. Er kritisiert – auch im Namen der Bevölkerung Ebbings – die problematischen Werbetafeln und erhält im Gegenzug einen rhetorisch überambitionierten verbalen Knockout, in dem Mildred einmal über Kirche und Religion hinwegzieht. Dieser Priester ist die einzige Repräsentation von Kirche und Glauben im gesamten Film – und er wird nach dieser Szene kein weiteres Mal auftauchen.

© 20th Century Studios

Sam Rockwells Filmmutter, der eigentlich nur noch die Klan-Kapuze fehlt, um als Klischee vollkommen zu werden, verbringt ihre Abende mit reichlich Bier vor dem Fernseher und schaut dort allen Ernstes Nicolas Roegs kunstvolles Horrordrama „Wenn die Gondeln Trauer tragen“. Für McDonagh ist dies nur ein kleiner Meta-Verweis, verarbeiten Donald Sutherland und Julie Christie im Klassiker von 1973 doch den Tod eines Kindes, wie Frances McDormand hier eben auch. Doch die Diskrepanz zwischen Verweis und Vermittlerfigur ist mehr als nur störend, ist symptomatisch für McDonaghs generelles Herangehen an Figuren und Hintergrund. Um Druck auf die störende Mildred auszuüben, wird ihre – natürlich dunkelhäutige – Kollegin mit fingierten Beweisen verhaftet und für ein paar Tage weggesperrt. Als sie wieder auftaucht, hat der Film diesen Handlungsstrang quasi vergessen und verpasst so die Gelegenheit, einen bissigen Kommentar bezüglich ungleicher Bestrafung zu setzen. Stattdessen deutet McDonagh eine romantische Entwicklung zwischen zwei Personen an, die nach unserem Erfahrungsstand nichts weiter gemeinsam haben als ihre Hautfarbe. Noch „besser“ ist da der Ehedialog zwischen Chief Willoughby (Harrelson) und seiner rund 20 Jahre jüngeren Frau, in welchem derbe oder obszöne Sprache vermeintlich witzig „romantisch“ verdreht wird.

Bei Tarantino oder Martin Scorsese kann so etwas funktionieren und insbesondere McDonaghs Kinodebüt „Brügge sehen … und sterben“ zeigte, dass er es eigentlich beherrscht. „Three Billboards“ hingegen klingt zuweilen wie die unreflektierten „Pulp Fiction“ Trittbrettfahrer, die wir seit Mitte der 90er schon wieder vergessen haben. McDonagh kommt nun einmal von der Theaterbühne und versucht sich auch hier an einem leicht überhöhten Stil mit realistischem Anstrich. Nicht nur durch Frances McDormand fühlt man sich dadurch manches Mal an das Werk der Coen Brüder erinnert. Doch das meisterhafte Spiel konträrer Tonlagen, mit dem die Coens gleich mehrere Meisterwerke abgeliefert haben, geht bei „Three Billboards“ im Plotgewirr unter. Der Versuch, den – durchweg toll gespielten – Figuren Nuancen zu geben, führt leider oftmals zu problematischen Verstrickungen. Es ist schön zu sehen, wie McDonagh seinen Figuren einen Entwicklungsbogen gibt, doch da er (insbesondere bei Sam Rockwells Figur) vorherige Elemente oft einfach nur fallen lässt, statt sie in dieser Entwicklung zu konkretisieren, heimst er sich zahlreiche Probleme ein. Einen einzigen Flashback erhalten wir, der das Potential hat, Mildred um eine höchst unangenehme, aber enorm faszinierende Dimension zu erweitern. Doch inmitten zu vieler Themen und Handlungsstränge werden die Ansätze des Flashbacks nie wieder konkret mit der Handlung verwoben. Und dieses Scheitern auf hohem Niveau ist oft frustrierender als ein wirklich misslungener Film.

Fazit:
Zu sagen, Martin McDonaghs bissiges Sozialdrama sei gescheitert, ist Kritik auf hohem Niveau. Figuren, Darsteller und Einzelszenen sind dafür zu gut. Doch in seiner Gesamtheit ist „Three Billboards“ zu ungenau, überfrachtet und nicht wirklich „rund“.

6/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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