BG Kritik: „The Ballad of Buster Scruggs“

17. November 2018, Christian Westhus

Die Coen-Brüder liefern sechs schräge Episoden aus dem Wilden Westen: Der vermeintliche beste Revolverheld des Landes, ein glückloser Bandit, ein Goldsucher, ein Schaustellerduo, ein Treck gen Westen, und eine dialogreiche Kutschfahrt.

The Ballad of Buster Scruggs
(USA 2018)
Regie: Joel & Ethan Coen
Darsteller: Tim Blake Nelson, James Franco, Tom Waits, Liam Neeson, Zoe Kazan, Brendan Gleeson uvm.
Ausstrahlung Deutschland: 16. November 2018 (Netflix)

Es war einmal der Wilde Westen.

Die ewige Frage – der letzten fünf bis zehn Jahre – wird auch mit „The Ballad of Buster Scruggs“ nicht zufriedenstellend beantwortet: Ist Netflix Retter oder Zerstörer des Kinos? Selbst für die mehrfach oscarprämierten Joel und Ethan Coen ist es nicht einfach, in der heutigen Zeit ein angemessenes Budget für einen neuen Film aufzutreiben. Bei Netflix war dies möglich, wie der VOD-Riese u.a. auch bei Alfonso Cuarón und Martin Scorsese unter die Arme griff, inzwischen sogar vereinzelt echte Kinoveröffentlichung zulässt. Eine wirkliche Wahl hat man bei „The Ballad of Buster Scruggs“ außerhalb der kulturellen Epizentren der USA dennoch nicht. Noch dazu war der Episodenwestern ursprünglich als Miniserie geplant und wurde erst kurzfristig umstrukturiert zu einem gut zweistündigen Film. Wenn das moderne Internet-Konsumzeitalter die Grenzen zwischen Kino und TV angeknackst hat, dann ist „The Ballad of Buster Scruggs“ ein weiterer Schlag gegen das Fundament.

Dabei will der Film ganz andere Dinge einreißen, zum Beispiel die romantische Vorstellung des Wilden Westen. So wie die Gamingwelt gerade über „Red Dead Redemption 2“ einen zynischen Westernabgesang durchspielt, halten auch die Coen Brüder der Welt aus Revolverhelden, Banditen, Saloons und Wagenkolonnen den Spiegel vor – nur eben auf ihre eigene unnachahmliche Weise. Wenn Marge und Norm in der fantastischen Schlussszene von „Fargo“ einander beistehen, ihre Liebe betonen und durch „Noch zwei Monate“ ihren ausstehenden Familienzuwachs besprechen, tun sie das am Ende einer so grotesken wie grauenhaften Geschichte, in der insbesondere Marge in das hässlich-brutale Gesicht der Welt geblickt hat. Dieses hässlich-brutale Gesicht trägt in „No Country for old Men“ den Namen Anton Chigurh als Verkörperung einer kaltblütigen, empathiebefreiten Tötungsmaschinerie, die kaum noch menschlich wirkt und genau deshalb – so offenbar die Botschaft der Coens – noch Mensch ist. Die Brüder sind keine simplen Zyniker, finden häufig das Menschliche oder gar etwas Positives in dem Chaos, welches sie veranstalten. Doch echte Optimisten und Menschenfreunde sind die Coens nicht. Tommy Lee Jones‘ Charakter sehnt am Ende von „No Country“ den Ruhestand herbei, da er die miterlebte moderne Gewalt nicht mehr nachvollziehen kann. Joel und Ethan Coen wollen stattdessen erforschen, wie es so weit kommen konnte, woher diese destruktive Neigung kommt.

© Netflix

So entfalten sich die sechs Geschichten aus „The Ballad of Buster Scruggs“ als zuweilen unappetitlich gewalttätige „Töte oder stirb“ Parabeln, deren Humor derart bitter und gallig ist, dass man kaum noch von schwarzem Humor sprechen kann. Die titelgebende erste Erzählung gibt sogleich die Richtung vor, wenn Tim Blake Nelson als weiß gekleideter und singender Buster Scruggs von seinem angeblich nicht zutreffenden Image spricht, einen Saloon betritt, eigentlich nur Poker spielen will und kurz darauf zur Waffe greifen muss. Ein früher Gewaltmoment an (und durch) einem Tisch könnte so manchen Zuschauer an einem erschrockenen Panikseufzen ersticken lassen. Wie es Disney in seiner Märchenphase einst vormachte, werden uns diese Geschichte über ein tatsächliches Buch präsentiert, welches aufgeschlagen und illustriert die Illusion einer folkloristischen Tradition erweckt. Klassische Geschichten des Wilden Westens; authentisch und oh-so-romantisch in ihrem bissigen Zynismus aus Mord, Totschlag und unerlaubter Bereicherung.

Die besondere Schwierigkeit von Episodenfilmen liegt darin, dass nicht nur gleich mehrfach neu Interesse für Figuren und Geschichten geschürt werden muss, sondern auch, dass die Episoden in einem Zusammenhang untereinander stehen – und sei es nur emotional. Nicht jede kleine Western „Slice of Life“ Erzählung ist gleichermaßen gut. James Franco als Banditen zu sehen, der in ein teils selbst geschaffenes Unheil gerät, ist für sich genommen nicht besonders reizvoll oder interessant. Der konsequente Schlusspunkt unterstreicht jedoch die Ersteindrücke, die wir über Pistolero Buster Scruggs und sein Schicksal gewonnen haben, wie wir diese Geschichten und den Film als Ganzes zu nehmen haben. Im Folgenden sehen wir beispielsweise auch Tom Waits beim gewinnbringenden Raubbau an der Natur, den Bruno Delbonnels Kamera so farbintensiv und wahrlich wunderschön einfängt, dass es verstört. Die tragisch-bittere Beziehung zweier Schauspieler wird durch Liam Neeson auf eine Betrachtungsweise verschoben, die man vielleicht nicht sofort kommen sieht, die man mittlerweile im emotionalen Kontext dieses Films aber irgendwie – leider, verstörenderweise – nachvollziehen kann. Da ist man fast irritiert, wenn bei einer großen Wagenkolonne westwärts über die großartige Zoe Kazan und Bill Heck plötzlich zwischenmenschliche Wärme aufkommt und abfärbt. In diesem gekonnt konstruierten Panoptikum ist es dann auch irgendwie nicht mehr verwunderlich, dass Amerikanische Ureinwohner allerhöchstens kriegerische Mächte im Hintergrund darstellen. Dies sind die Geschichten des weißen Mannes in Amerika, wie er sich die Natur, das Land und die Menschen der Neuen Welt Untertan machte. Oder es zumindest versuchte.

Fazit:
Der Episodenwestern der Coen Brüder krankt an der einen oder anderen Schwierigkeit, die Anthologiefilme häufig mit sich bringen. Doch die Brüder gehören nicht ohne Grund zu den besten Regisseuren der Gegenwart: „Buster Scruggs“ ist inhaltlich, inszenatorisch und darstellerisch hochklassig, dabei in seiner bitterböse-unterhaltsamen Art fordernd und augenöffnend.

8/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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