BG Kritik: „The Old Guard“

11. Juli 2020, Christian Westhus

Neue überdurchschnittlich budgetierte Actionkost bei Netflix, mit leichtem Fantasy Touch. Charlize Theron führt eine Gruppe Krieger mit speziellen Fähigkeiten, die sich einem Big Pharma CEO erwehren müssen, der nach den Superkräften lechzt. In gewisser Weise der Film, der Fans von Netflix‘ „Bright“ und „Tyler Rake: Extraction“ zusammenbringen könnte.

The Old Guard
(USA 2020)
Regie: Gina Prince-Bythewood
Darsteller: Charlize Theron, KiKi Layne, Matthias Schoenaerts, Marwan Kenzari, Luca Marinelli, Chiwetel Ejiofor u.a.
Veröffentlichungsdatum: 10. Juli 2020

Sollte man ohne jegliches Vorwissen, egal ob Trailer oder knappe Plotbeschreibung (oder Filmkritiken), in „The Old Guard“ gestolpert sein, kreiert der Film in den Anfangsminuten einen falschen Schein, der geschickt mit Erwartungen und Genreverständnis des Zuschauers spielt. Von einem knappen Flash Forward abgesehen, gibt sich der Film zu Beginn ein wenig wie „Tyler Rake: Extraction 2“. Nachrichtenbilder aus Krisengebieten, eine Gruppe Söldner unter der Leitung von Charlize Theron, ein Auftrag, der in den Süd-Sudan führt – eigentlich simpel und bodenständig. Doch dann fragen wir uns, warum diese Söldner Schwerter und eigentümliche Äxte mit sich tragen, ehe wir dort landen, wo uns der Flash Forward bereits hinlotsen wollte. Dieser Einstieg gibt die Wirkung des gesamten Films eigentlich sehr passend wieder: ein in Ansätzen gewitztes, irgendwie cooles und irgendwie auch nett gemachtes Spiel mit Genres und Erwartungen, solide umgesetzt, aber nicht sonderlich tiefgehend und bald darauf zum allergrößten Teil schon wieder vergessen.

Unsere Söldner sind eine vierköpfige Kriegertruppe aus Unsterblichen. Egal ob abgestochen, Genick gebrochen oder erschossen, durch ihre übernatürlichen Fähigkeiten heilen die vier Krieger einfach wieder, spucken die Kugeln trotzig wieder aus, die ihnen in den Kopf gejagt wurden. Nun erfahren sie, dass es eine neue Unsterbliche gibt, die gerade ihren ersten Erweckungstod durchgemacht hat und weder sich noch ihrer Umwelt erklären kann, warum sie noch lebt. US-Soldatin Nile (KiKi Layne) soll zur Gruppe stoßen, denn an ein gewöhnliches Leben ist nicht mehr zu denken. Man ist auserwählt, so heißt es, diese Fähigkeiten gemeinsam zu nutzen. Unter der Leitung von Boss Andy (Charlize Theron, die den Film mitproduzierte) kämpfen die Guards seit Jahrhunderten für ihre Sache oder in den eigenen Worten für das „was uns richtig erscheint.“ Nile ist der Neuling und steht Hundert- oder gar Tausendjährigen gegenüber, die berichten, wie sie gemeinsam in den Kreuzzügen unterwegs gewesen seien. Und Andy, deren Name nur die Abkürzung ihres tatsächlichen Namens ist, soll noch um ein Vielfaches älter sein.

© Netflix

Ein recht packend erzählter Flashback gibt uns das nötige Drama für die Figuren, fügt der Unsterblichkeit noch einen technischen Haken hinzu – es wäre sonst auch zu einfach – und zeigt, wie die Institutionen der Vergangenheit gegen die Unsterblichen vorgingen. Was damals Inquisition und Kirche waren, ist heute Big Pharma. So jedenfalls die Logik dieses Films. Es ist keine zu dumme (und keine zu originelle) Idee, dass jemand die DNA eines Unsterblichen nutzen wollen würde, um die Menschheit von Krebs, Demenz und Co. zu befreien. Sollten sich die Unsterblichen dafür opfern? Ist es ihre Pflicht, für das größere Wohl zu leiden? Eine erstaunlich komplexe und spannende Herausforderung und Frage, deren Beantwortung sich der Film enttäuschend einfach macht, indem „Big Pharma“ CEO Merrick (Ex-Dudley Dursley Harry Melling) zu einem simplen Schurken gemacht wird. Spannender und doch ähnlich halbgar Chiwetel Ejiofors Figur Copley, der Merrick überhaupt erst auf die Existenz der Unsterblichen aufmerksam macht.

„The Old Guard“ überträgt die übernatürlichen Fähigkeiten eines Superheldencomics in ein „realistisches“ Szenario. Realistisch in dem Sinne, dass hier keine maskierten Helden mit kuriosen Decknamen ähnlich kostümierten und benannten Schurken das Handwerk legen. Die Guards sind eine Gruppe Wolverines, nur ohne Krallen, ohne Adamantium und ohne die X-Men. Es ist eigentlich erstaunlich, wie selten dieser Ansatz außerhalb von Superheldencomics versucht wird; die klassischen Heldenfähigkeiten zu nehmen und sie in einer diesseitigen Welt anzuwenden. Kein Wunder daher, dass auch diese Geschichte auf einer Comicvorlage basiert, erschaffen von Greg Rucka und Leandro Fernandez. Ersterer zeichnet sich nun auch für das Script der Filmadaption verantwortlich.

© Netflix

Eigentlich hat man hier etwas, mit einem ordentlichen Ansatz, brauchbaren Figuren und einer engagierten Besetzung. Wie die „X-Men“ Filme vermeidet es auch dieser Film, Gesetze und Grenzen der Unsterblichkeit bis ins Detail zu erklären, setzt die Möglichkeiten stattdessen gewitzt ein, mit x-fach erschossenen, aufgeschlitzten und verbogenen Helden, die sich mit geseufzter Frustration langsam wieder zusammensetzen. Mit einer Bestrafung innerhalb eines Flashbacks streift „The Old Guard“ in Sachen Grausamkeit und Unerträglichkeit sogar „Black Mirror“ Niveau. Nur eben mit Fantasy- statt Sci-Fi-Mechanismen. Regisseurin Gina Prince-Bythewood, zuvor überwiegend im Bereich von Dramen und Romanzen aktiv, die aber immerhin auch schon einen Marvel Short machen durfte, inszeniert den größten Film ihrer bisherigen Karriere beherrscht und ordentlich. Sie gibt den Superhelden-Fähigkeiten eine fühlbare Konsequenz und Tragik, die man nicht alle Tage im Genre findet. Die recht zahlreichen Actionszenen sind nicht herausragend, nicht immer ideal geschnitten, aber im Standard amerikanischer Blockbuster-Kloppereien fraglos unterhaltsam, nicht zuletzt durch eine stoisch-coole Charlize Theron, die noch etwas von ihrem „Atomic Blonde“ Appeal mitbringt.

Alles in allem also ein solide-unterhaltsamer und damit sehenswerter Light-Fantasy Actionfilm, mit einem Grundkonzept und Personal, dem man problemlos noch einen weiteren Film zuschauen könnte. Das ist schon einmal mehr, als man z.B. über Netflix‘ „Bright“ sagen konnte. Doch das allergrößte Lob kann dies nicht sein, wenn am Ende doch ein fragmentarischer Flashback die spannendste und coolste Sequenz des Films darstellt.

Fazit:
Mehr als solide Action-Unterhaltung mit dem netten kleinen Fantasy-Kniff. Kein bedeutend großer Wurf, jedoch sehenswert allemal. Das konnte bisher nicht jeder von Netflix‘ Big Budget Actionfilmen von sich behaupten. Fortsetzung darf kommen.

6,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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