BG Kritik: „Onibaba – Die Töterinnen“

11. August 2020, Christian Westhus

Horrordrama-Klassiker aus Japan: Japan im 14. Jahrhundert. Es herrscht Krieg. Zwei Frauen leben abgeschieden an einem kleinen Fluss und lauern flüchtigen Soldaten auf. Diese werden von den Frauen getötet und um ihre wertvolle Ausrüstung erleichtert. Als eine Art Nachbar aus dem Krieg zurückkehrt, verändert sich die Beziehung der zwei Frauen, bis eines Nachts ein Samurai mit einer Dämonenmaske auftaucht.

Onibaba – Die Töterinnen
(Originaltitel: Onibaba (鬼婆) | Japan 1964)
Regie: Kaneto Shindô
Darsteller: Nobuko Otowa, Jitsuko Yoshimura, Kei Satô
Kinostart Deutschland: 22. April 1966

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im März 2015.)

In seinem wohl bekanntesten Film verbindet Kaneto Shindo buddhistisch-japanische Folklore mit Einflüssen des Horror Genres. Herausgekommen ist ein Meisterwerk.

Zwei Frauen leben zusammen in einer kleinen Farmhütte an einem ruhigen Fluss, umgeben von meterhohem Schilf, der sich schier endlos im Ufergebiet verteilt hat. Zwei für uns namenslose Frauen, verbunden durch einen Mann namens Kichi. Die alte Frau (Nobuko Otowa) ist Kichis Mutter, die junge Frau (Jitsuko Yoshimura) Kichis Ehefrau. Der Herr des Hauses und eigentlicher Walter über den Agrarbetrieb der Familie befindet sich zwangsweise im Krieg. Welcher Krieg es ist, wann wir uns zeitlich befinden, lässt Shindô offen. Ein paar Namen von Städten und Militärführern fallen, aber um dieses Szenario konkret auf die so genannte Namboku-chō-Zeit eines über mehrere Dekaden anhaltenden Bürgerkriegs zu fixieren, muss man sich schon außerordentlich gut in japanischer Geschichte auskennen. Shindô entwirft eine Situation des vorindustriellen Krieges im Allgemeinen. Es ist eine Phase der Unsicherheit und Veränderung, wenn jeder Einzelne um sein Leben und Überleben kämpft, wenn Regeln und Gesetze erweitert oder ausgesetzt werden. In dieser Umgebung werden Schwiegermutter und -tochter zu Mörderinnen.

Shindô beginnt seinen Film mit einem Blick auf das Loch. Eine runde Öffnung im Boden, wie ein Brunnen ohne Befestigung, führt einige Meter tief unter die Erde. Hier entsorgen die beiden Frauen ihre Opfer. Diese Opfer sind Soldaten, mal Deserteure, mal Verwundete, die sich im Irrgarten des Schilfs verlaufen haben und auf die verzweifelten Frauen treffen, die die erbeuteten Militärhabseligkeiten gegen Nahrung eintauschen. Shindô stellt das Loch im Boden als archaischen Mythenort vor, als sei es geschaffen von einem höheren Wesen, um Menschen zu testen und zu bestrafen. Vor der Bestrafung durch höhere Wesen und einer Verbannung in die Hölle warnt bald die alte Frau ihre Schwiegertochter, doch die Gründe für diese Warnung sind vielseitig.

© Toho / Filmjuwelen

Ein Mann bricht das Konstrukt dieser beiden Frauen auf, die uns in ihren ersten Momenten als wortlos-mechanisch und routiniert-gleichförmiges Team vorgestellt wurden. Der listige und großmäulige Soldat Hachi war ein Kollege von Kichi und berichtet von den Kriegswirren, denen er nur so gerade entkommen konnte. Durch die Verbindung der Frauen geht ein Ruck aus Einsamkeit, existentieller Sorge und sexueller Lust. Eine wilde und hitzige Affäre entsteht zwischen Hachi und der jungen Frau, die gleichzeitig einem sinnlichen Trieb folgt und auch ihre Zukunft bei einem anderen Mann sichern will. Die Ablehnung, mit der die alte Frau auf die bald jede Nacht stattfindende Verbindung reagiert, ist mehr als nur der Unmut angesichts der Respektlosigkeit gegen ihren eigenen Sohn. Auch in der alten Frau rührt sich sexueller Neid, und sie ahnt, dass sie ihre emotionale und arbeitstechnische Partnerin zu verlieren droht.

Shindô verbindet das Realistische mit dem Abstrakten. In nicht nur für 1964 auffällig freizügigen Bildern verbindet er die schwüle Hitze der sommerlichen Flussgegend mit der schwitzigen Lust, die Hachi und die junge Frau regelmäßig vereint. Der bildschöne Kontrast der Schwarzweißfotografie macht die Endlosigkeit von Fluss und Schilfmeer zu einem beengenden Käfig. Wer sich hierher verirrt, wird teil eines komplizierten Mikrokosmos, in der jeder für seinen eigenen Gewinn, sein eigenes Leben kämpft. Die Natur und insbesondere die Schilfblätter, die sich mal ruhig, mal aufgeregt raschelnd im Wind bewegen, werden zur vierten Hauptfigur dieses Films, ehe Shindô konkret die mythologische Komponente anpackt (Onibaba bedeutet ungefähr „dämonische alte Frau“), die man erwartete. Aus dem existentiellen und sinnlichen Horror der ersten Hälfte, wird zum Ende hin ein allegorischer Mythenhorror. Shindô lässt uns mehr wissen als einige der Figuren und schafft es dennoch, Dinge so sehr in effektiv nachwirkenden Andeutungen zu belassen, dass uns Herkunft und Funktion des Dämonischen noch lange beschäftigt.

Fazit:
Meisterwerk des japanischen Kinos. Atmosphärisch dicht, intensiv gespielt und edel gefilmt, dabei in seiner thematischen Vielseitigkeit und moralischen Ambiguität endlos faszinierend.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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