Treasure Tuesday Spezialkritik: „Master and Commander – Bis ans Ende der Welt“

24. November 2020, Christian Westhus

Ein detailversessenes realistisch-historisches Hochseeabenteuer mit Russell Crowe und Paul Bettany in den Hauptrollen. „Master and Commander – Bis ans Ende der Welt“ von Peter Weir, unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© 20th Century Studios

Master & Commander – Bis ans Ende der Welt
(Originaltitel: Master and Commander: The Far Side of the World | USA 2003)
Regie: Peter Weir
Darsteller: Russell Crowe, Paul Bettany, James D’Arcy, uvm.
Kinostart Deutschland: 27. November 2003

Was ist das für ein Film?
Bombastisches Historienabenteuer mit Russell Crowe, inszeniert von „Truman Show“ und „Club der toten Dichter“ Regisseur Peter Weir. Die Grundlage bildet die Romanserie des irischen Autors Patrick O’Brien, der über zwanzig Bücher innerhalb der Aubrey/Maturin Reihe veröffentlichte. Es ist 1805. Während der Napoleonischen Kriege soll das britische Kriegsschiff HMS Surprise unter dem Kommando von Kapitän Jack Aubrey (Crowe) das französische Schiff Acheron abfangen und versenken. Doch vor der Küste Brasiliens gerät die Surprise selbst in einen überraschenden (!) Hinterhalt, wird von der Acheron attackiert und kann nur schwer beschädigt entkommen. Obwohl seine Offiziere – und Schiffsarzt Dr. Maturin (Paul Bettany) – anderer Meinung sind, beschließt Aubrey die improvisierte Reparatur der Surprise und plant die erneute Verfolgung des Gegners.

Warum sollte mich das interessieren?
Es gibt viele Gründe bzw. Blickwinkel, sich mit „Master and Commander“ zu befassen. Zum Beispiel aus Sicht der Oscars, gewann der Film bei der Verleihung 2004 doch die Auszeichnung in den Kategorien Beste Kamera und Bester Tonschnitt, verhinderte damit den alleinigen Oscarrekord eines gewissen Films namens „Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“. Gleichzeitig wäre der insgesamt zehnfach nominierte „Master and Commander“ in so ziemlich jedem anderen Jahr wohl deutlich reichhaltiger ausgezeichnet worden. Dieses womöglich schlechte „Timing“ schlug sich auch auf den Kinoerfolg aus. Wenige Wochen bevor Peter Weirs Film weltweit in die Kinos kam, hatte „Fluch der Karibik“ dem Piratenfilm neues Leben eingehaucht und das auf großspurig-unterhaltsame, peppige und Fantasy-lastige Art und Weise. Als der vergleichsweise ernste, historisch-detailversessene und „erwachsene“ Film dann erschien, waren die Gedanken vieler Kinogänger bereits in Mittelerde. Und selbst Neugierige wünschten sich durch schmissige Trailer und aufgrund von Russell Crowe in der Hauptrolle einen „Gladiator“ auf hoher See, was nicht selten in Enttäuschungen endete.

So konnte „Master and Commander“ zur Entstehungszeit kaum jemanden wirklich zufriedenstellen, auch nicht die Geldgeber (zentral 20th Century Fox und Universal), die davon absahen, weitere Teile der Romanreihe umsetzen zu wollen. Dabei wäre es eine maßlose Untertreibung, den Film bloß als „sehenswert“ zu bezeichnen. „Master and Commander“ ist die Ahnung eines alternativen Blockbusterkinos, nicht als Ersatz, aber als Abwechslung. Ein handgemachtes, realistisches und figurenbezogenes Blockbusterkino ohne versuchte Anbiederung ans hippe junge Publikum oder durch falsche Radikalität an Ältere.

Der Film erinnert daran, dass Schauwerte im Kino nicht immer die großen Digitalschlachten sein müssen. Obwohl es nur am Anfang und am Ende so richtig kracht, ist „Master and Commander“ eine Augenweide, an der man sich nicht sattsehen kann. So vieles an dieser Seefahrt, dem Schiff und den Kostümen ist echt oder wirkt echt. Kein Wunder, dass die absurde Detailversessenheit das Budget anschwellen ließ, wenn man selbst eine historisch authentische Art von Tauen extra anfertigen ließ, da Seil- und Strickzeug der Handlungszeit noch in die andere Richtung gesponnen wurde als heute. Der Detailwahnsinn, der vom kleinsten Hemdknopf bis zum kompletten Schiffsdesign reicht, mag übermäßig erscheinen, doch es ist eine schiere Wucht, all dies in Bewegung zu sehen. Auch nutzt es der Film keineswegs als reine Äußerlichkeit oder als Protz, sondern als weiteres Mittel der Immersion. Ein Großteil des Films zeigt die Situation an Bord, die Crew, die technischen Abläufe und die Kameradschaft. Salopp gesagt generiert der Film ein selten so intensiv erreichtes „Mittendrin statt nur dabei“ Gefühl. Und wenn es dann mal kracht, mal rasant und spannend wird, dann so richtig.

Doch es sind die Figuren, die den Schauwerten und Actionszenen Wichtigkeit geben, die uns an dieser Reise teilhaben lassen. „Master and Commander“ erinnert noch einmal daran, warum Russell Crowe zu dieser Zeit einer der größten Hauptdarsteller überhaupt war. Crowe umgibt eine Leichtigkeit und ein Charisma, die die Ernsthaftigkeit und Autorität seiner Figur nur verstärkt, statt sie zu untergraben. Dem militärischen Naturinstinkt von Kapitän Aubrey stehen die wissenschaftliche Neugierde und der Intellekt von Dr. Maturin entgegen. Paul Bettanys als Schiffsarzt fungierender Biologe ist nicht wirklich Charles Darwin, doch er könnte genauso gut Darwin sein. Und das nicht erst durch einen längeren Aufenthalt auf Galápagos. Während man also das französische Schiff Acheron sucht und jagt, die Surprise wieder seetüchtig macht, wachsen Aubrey und Maturin, wachsen Crew und Offiziere zusammen. Auch für den Zuschauer. Nach rund 130 prall gefüllten und perfekt inszenierten Minuten hat man das Gefühl, eine gute erste Staffel einer großen neuen Serie gesehen zu haben, so stark ist die Verbindung zu den Figuren geworden. Dass es zu keinem weiteren Abenteuer, zu keiner zweiten oder dritten „Staffel“ gekommen ist, ist schade, doch das Ende dieses Films ist auch so rund. Es lässt träumen von Abenteuern auf hoher See und von einem Blockbusterkino, wie es hätte sein können.

Als DVD/BD/Digital erhältlich. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung bei Netflix, Prime Video, Joyn und Maxdome im Abo verfügbar.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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