BG Kritik: „Joker“

8. Oktober 2019, Michael Essmann

Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) träumt seit Kindertagen von einem Leben als Stand-Up-Comedian, verdient seinen Lebensunterhalt allerdings mehrheitlich als Clown für alle Fälle. Ob wie Patch Adams die Kinder im Krankenhaus unterhaltend, oder mit rotierendem Schild vor dem lokalen Elektronik-Fachmarkt. Der eigentlich introvertierte und tief sensible Arthur versucht stets lächelnd, ein Lächeln auf die Gesichter seiner Mitmenschen zu zaubern. Aber in einer permanent kränker werdenden Welt, wird auch Arthurs Lachen zunehmend kränker. Bis es nicht mehr zurückzuhaltend aus ihm heraus bricht, und der Joker geboren wird…

© Warner Bros.

JOKER (US, 2019)
Regie: Todd Philips
Darsteller: Joaquin Phoenix, Frances Conroy, Zazie Beetz, Brett Cullen, und Robert De Niro
Kinostart Deutschland: 10. Oktober 2019

Kritik:
Gotham City, wir schreiben das Jahr 1981. Im Kino läuft „Zorro mit der heißen Klinge“ und auch sonst steht es nicht ideal um die Stadt, in der in einigen Jahren ein gewisser Batman für Ordnung sorgen soll. Doch diese Geschichte spielt davor. Vor dem Mord an den Eltern von Bruce Wayne und weit vor dem Fledermaus-Kostüm. Gotham ist eine Stadt in der Müllabfuhr bereits seit Monaten streikt, in der die Regierenden sich der einhelligen Meinung nur selbst bereichern, während die Arbeitslosigkeit auf einem Allzeithoch angekommen ist, und mehr und mehr soziale Einrichtungen geschlossen werden. Hier treffen wir als Zuschauer auf den von Joaquin Phoenix gespielten Arthur Fleck, der sich mehr schlecht als recht als Clown durchs harte Leben in der Unterschicht von Gotham schlägt, während der Unmut der Bevölkerung stetig wächst. Ein Pulverfass aus ohnmächtigem Unmute und überkochenden Emotionen, nicht unähnlich Arthurs eigener Verfassung.

Als man den Joker ohne Batman Film ankündigte, konnte man es als schlechten Witz abtun und vermuten, dass dieser Film eh nie gedreht werden würde. Aber jetzt lacht niemand mehr. Was auch einem fast wortwörtlichen Zitat aus dem Film entspricht, welches den „Helden“ des Filmes als nicht komisch diffamiert. Und das stimmt, denn dieser Clown und dieser Film bringen wohl nur die wenigsten zum Lachen. Stattdessen dürfte „Joker“ zum Nachdenken, mitfühlen und gar ein wenig bis deutlich zum mitleiden einladen. Wer im Kino pure und leichte Unterhaltung oder einen typischen Comic-Film sucht und erwartet, der wird hier wohl eher nicht fündig werden. Denn leicht ist hier nicht gerade die zentrale Maxime. Auch wenn es sich der Film durchaus manchmal zu leicht macht. Doch dazu später. Angeführt von Schauspiel-Schwergewicht Joaquin Phoenix, abgebildet in oft zelebriert langsamen, herrliches Filmkorn atmenden Bildern und Einstellungen, unterlegt von den durch Emmy-Gewinnerin Hildur Gudnadottir („Chernobyl“, „Sicario 2“) arrangierten und von düsteren Streichern dominierten originalen Musikstücken, welche sich perfekt mit u.a. Frank Sinatras „That’s Life“ und „Send in the Clowns“ verbinden, und gemeinsam einen Sog von Film auf die Leinwand bringen. Ein dunkler, gewalttätiger und mitreißend und einvernehmend gespielter Sog einer Charakterstudie über den zukünftigen König der Unterwelt von Gotham, dem es zur Perfektion vielleicht nur einer mehr eigenen, unverbrauchter wirkenden und origineller wirkenden Story und Stimme gebraucht hätte.

Von „Old School“, über „Stichtag“, bis hin zur Vollendung seiner „Hangover“-Trilogie, zeichneten sich Regisseur Todd Philips bisherige Werke eigentlich kaum durch irgendwelche inszenatorischen Kniffe oder Besonderheiten aus. Sicherlich überwiegend ganz ordentliche Vertreter unter den Hollywood Komödien, waren diese allesamt guckbar, dabei pflichtbewusst witzig, und auch oft hier und da gespickt mit schrägen Momenten. Aber auch nichts dabei, was zwingend danach schrie, nun dem Clownprinzen von Gotham sein filmisches Denkmal in Form seines ersten Solo-Filmes zu servieren. Basierend auf diversen Comics sowie einem Drehbuch von Phillips und Scott Silver („The Fighter“) und dabei ebenso sichtlich wie mehrfach öffentlich betont und erklärt, inspiriert durch das 70er und frühe 80er Jahre Kino von Meisterregisseur Martin Scorsese. Ganz speziell „Taxi Driver“ und „The King of Comedy“ aber auch ein „Hexenkessel“ stand hier definitiv Pate. Und das nicht nur von der Story, nein, auch von der Bildsprache, der Tonalität, ja, bis zu ganzen Szenen und Handlungselementen.

© Warner Bros.

So zeigt sich Philips hier so bildstark und dramatisch wie nie, inszenatorisch auch deutlich auf den Pfaden von Meisterregisseur Martin Scorsese wandelnd, aber im direkten Vergleich – und um den bettelt man ja bei den offenkundigen Anlehnungen ja geradezu – kann und konnte er wohl nur verlieren. Atmet und liebt man als Kinofan Scorsese, hallt diesen Szenen dann oft ein gewisser Mangel an eigener Schöpfungskraft und das Gefühl des Nachdrehens und/oder kenne ich schon in (natürlich) besser nach. Auch wenn es hier und da auch sichtlich als Hommage angedacht ist, gefühlt ging dies eben ab und an einen Tick zu weit. Wodurch auch eine gewisse nicht gerade kleine Portion an Vorhersehbarkeit die Folge ist. Ein Problem, welches natürlich nur besteht, wenn man eben speziell jene „Taxi Driver“ und „The King of Comedy“ wirklich gut kennt und/oder auch recht frisch gesehen hat. Eben, weil „Joker“ durchaus und problemlos als eine tödliche Mischung für Kinojahr 2019 eben dieser beiden Filme zu bezeichnen wäre. Eine Tatsache, welche sich aufgrund der Parallelen als geradezu toxisch auf die Kinoerfahrung „Joker“ auswirken könnte. Den meisterhaften Scorsese später neu sichten oder nachholen, dann vergleichen und Schlüsse ziehen wird hier daher empfohlen.

Denn das was hier geliefert wird, sollte trotzdem möglichst alsbald und im Großformat mit allen Details und Nuancen gesehen werden, um die völlige Wirkung zu entfalten und zu erfahren. Speziell darstellerisch ganz weit vorne, kann man Phoenix Spiel hier gar nicht hoch genug bewerten – sollte er keine mindestens Nominierung bei den Oscars dafür einheimsen, wäre dies doch mehr als verwunderlich und ganz und gar nicht lustig – denn er trägt und leitet den Film nicht nur, er ist der Film und der Joker. Nein, hier soll kein Vergleich zu Heath Ledger gezogen werden, da schlicht eine ganz und gar andere Interpretation einer Figur. Physisch abgemagert, emotional ganz offensichtlich einiges im Argen liegend, annähernd kettenrauchend und lachend und dabei einem stetigen Wandel unterzogen. Ebenso sensibel, zerrissen und entrückt wie die Figur und der Moment es gerade zu benötigen scheint, so liefert Phoenix. Ob er sich nun fürsorglich um seine kranke Mutter (die wie immer tolle Frances Conroy) sorgend und kümmernd ihr Essen ans Bett bringt, oder im späteren Verlauf einem Menschen kaltlachend in den Rücken schießt. Phoenix und dem Film gelingt es, davon unablässig und ununterbrochen für Empathie und ab und zu gar zur Sympathie zu verleiten. Und das bei einem Film, der ein (aus Laiensicht) relativ realistisches Bild eines psychisch kranken Mannes zeichnet, welcher zunehmend an der Welt in der er lebt und als deren Teil er sich dennoch kaum wahrnimmt, zu zerbrechen droht, um sich anschließend wieder neu zusammen zu setzen.

© Warner Bros.

Was Phoenix Interpretation vom Joker sicherlich zu einer bemerkenswerten, aber auch kontroversen Figur im aktuellen Kino macht. Und davon kann man ja aktuell kaum genug haben. Der Rest vom Cast ist da mehrheitlich funktionales Beiwerk, was aber auch schlicht an Phoenix liegen kann, dem hier wohl niemand das Spotlight hätte streitig machen können. Egal ob Zazie Beetz als freundliche Nachbarin, Brett Cullen als Thomas Wayne (ja, der Vater von Batman Bruce Wayne) oder Robert De Niro als vom (zukünftigen) Joker idealisierten und angehimmelten Late-Night-Talkshow-Moderator Murray Franklin. Jeder macht einen guten Job, bekommt aber nicht die Szenen wie Phoenix. Aber der Film heißt ja auch „Joker“, und nicht Thomas Wayne oder Murray Franklin. Sie sind unerlässlich für den Film, aber dieser gehört eben nicht ihnen.

Bevor der Joker zu Batmans berüchtigtstem Gegenspieler wurde, war er ein Mensch mit Hoffnungen, Wünschen und Träumen. Die Gefahr, die Mythologie des Jokers mit zu viel Hintergrundwissen und Geschichte zu beleuchten ist da, und ja, hier und da schießt man auch in „Joker“ übers Ziel hinaus. Etwas weniger Erklärung hier und da hätten dem Film mutmaßlich gutgetan, da der Dramaturgie und Mythologie nicht gerade förderlich, alles im Detail serviert zu bekommen. Ebenso weniger lediglich nach Pflichtübungen und Vorgaben erscheinende Einwebungen von im weitesten Sinne Batman, Bruce Wayne und Co. zugehörigen Szenen und Momenten. Auch wirken nicht alle Auswirkungen und Ereignisse völlig nachvollziehbar, sondern geschehen scheinbar eher, weil diese im Drehbuch standen. Es wird angesprochen, aber es hapert an der Vermittlung durch den Film, wodurch gefühlt ein weiterer Teil an Wucht und potenzieller Dramaturgie verloren geht. Doch darüber hinaus? Aktuelle social mediale Aufregungen über die angebliche Gefährlichkeit des Werkes nicht teilend, kann die Empfehlung für an einem düsteren, Charakter-Drama und eher untypischen Vertreter unter den Comicverfilmungen interessierten Publikum nur lauten: Ab ins Kino, und sich selbst ein Bild davon machen. Denn auch wenn der Film – wenn man es bösartig ausdrücken will – eben nur eine auf die Comicfigur Joker übertragene Mischung des erwähnten 70er und 80er Jahre Wirkens von Martin Scorsese ist, so ist er doch ein gut sehenswertes Stück Film, getragen von einer grandiosen Performance und mit einer überwiegend gelungenen und bedrückenden Grundstimmung, in tollen Bildern und mit einem klasse Score. Ein Film, der womöglich trotz und nicht wegen der Regiefähigkeiten von Regisseur Todd Philips sehenswert ist. Hier muss von meiner Seite aus zumindest eine weitere Sichtung her, um das näher beurteilen zu können.

Aber abschließend sei nochmals angemerkt, dass „Joker“ weder ein Action-Film, noch ein typisches DC-Werk mit massig CGI und Blitzen aus der Retorte und einem eher schwachen Antagonisten als Hindernis für den Helden darstellt. Dies ist der Film über den Antagonisten, in dem es keine Helden zu geben scheint. Hier mildert keine oft zwingend wirkende humorvolle Auflockerung oder Spruch gefühlt jeden dramatischen Moment. Hier folgt auf einen dramatischen Moment ein weiterer, und noch einer, was schlussendlich und unwiederbringlich in einigen gewalttätigen und mörderischen Momenten endet. „Joker“ ist ein Charakter Drama mit einer aus einem Comic übernommenen Figur. Etwas Eigenes, abseits von verbundenen, sich dabei aber stets auch irgendwie gleich anfühlenden und daherkommenden Comic Verfilmungen, der durchaus kreative und eine Geschichte zu erzählende Nachahmer finden sollte, die ebenfalls ihre ganz eigene, abgegrenzte und andersartige Sicht auf bekannte Figuren lenken und uns teilhaben lassen könnten. Vielleicht das nächste Mal ohne so offensichtliche Vorbilder. Etwas, was dem aktuell etwas zu monotonen Comic-Film sicherlich nur guttun könnte.

Fazit:
Wem die üblichen Comic-Filme zum Halse raushängen, der sollte hier trotzdem und absolut einen Blick und ein Kinoticket riskieren. Anders, ab und an brutal und ein realistisch anmutender Blick auf die Vorgeschichte von Batmans bekanntestem Widersacher. Grandios gespieltes Drama trifft Thriller-Kino mit einem Joaquin Phoenix auf Oscar-Kurs, mit tollen Bildern, aber Schwächen in der Dramaturgie und der Originalität.

7,5/10

Autor: Michael Essmann

Ein B-Movie Freund, der seit einigen Jahren in Köln heimisch ist und dort erfolgreich Design studiert hat. Seitdem schiebt er u.a. Pixel hin und her.

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