BG Kritik: „Rebecca“ (2020)
Für Netflix nimmt sich „Kill List“ Regisseur Ben Wheatley noch einmal Daphne Du Mauriers Roman „Rebecca“ an, den Alfred Hitchcock vor 80 Jahren meisterhaft verfilmte. Mit Lily James und Armie Hammer folgen wir einer jungen Frau, die einen schwerreichen Witwer heiratet, der noch immer von seiner verstorbenen ersten Frau besessen ist.
Rebecca
(UK 2020)
Regie: Ben Wheatley
Darsteller: Lily James, Armie Hammer, Kristin Scott Thomas u.a.
Veröffentlichung: 21. Oktober 2020 (Netflix)
„Rebecca 2020“ steht als Adaption und Quasi-Remake im doppelten Schatten. Egal wie sehr man auch versucht zu betonen, man orientiere sich primär an Daphne Du Maurier, so wird zwangsläufig auch Hitchcock hinzugezogen. „Rebecca“ (1940) mag im Oeuvre des Masters of Suspense nicht denselben Stellenwert wie „Psycho“, „Vertigo“ oder „Das Fenster zum Hof“ haben, ist aber dennoch populär – und schlicht gut – genug, um als Referenz herzuhalten. Leider beschleicht den geneigten Zuschauer schnell das Gefühl, der neue Film von Regisseur Ben Wheatley („Kill List“, „A Field in England“, „High Rise“) könne weder der Vorlage noch der Erstverfilmung, ja nicht einmal sich selbst gerecht werden.
Daphne Du Mauriers 1938 erschienener – und neben Hitchcock schon rund sechsmal als Film adaptierter – Roman führt uns in eben diese 30er Jahre. In Monte Carlo begegnet unsere so unscheinbare wie namenlose Heldin (Lily James) dem schwerreichen englischen Witwer Maxim de Winter (Armie Hammer). Ein paar fingierte Tennisstunden später und die junge Frau ist verheiratet, ist die neue Mrs. de Winter und folgt ihrem Mann auf dessen prächtiges Landanwesen Manderley, mit all seinen Bediensteten, seinen unzähligen Zimmern und seinen Geheimnissen. Unsere Protagonistin kommt aus einer völlig anderen Welt, hat weder Geld, noch Stand, weder Mut noch Lebenserfahrung. Sie ist ein hübsches junges Ding, ein Niemand, und gerade deshalb – so die Vermutung – wollte Maxim sie heiraten. Das Problem? Maxim selbst und ganz Manderley ist noch immer besessen vom Andenken an die vorige Mrs. de Winter, an Rebecca. Dieser Schatten droht die unsichere Nachfolgerin zu verschlingen, untergräbt und verunsichert sie mit jedem Tag mehr.
Für lange Zeit sind das einzig Spannende an dieser neuen Version die Unterschiede – zum Buch oder zu Hitchcock. Obwohl inhaltlich in derselben Zeit angesiedelt, diktiert die Entstehungszeit des Films so manches Detail. 1940 herrschten andere Sitten und nicht zuletzt herrschte der Hays Code über die amerikanische Filmproduktion, dem – so munkelt man – u.a. ein Detail der Auflösung zum Opfer fiel. 2020 hingegen kann beispielsweise der anfängliche Urlaubsflirt in Monte Carlo intensiver werden, mit einer schlüpfrigen Beobachtung durch ein Fernglas und mit einem leidenschaftlichen Nachmittag am Strand. Waren Maxim und die neue Mrs. de Winter bei Hitchcock nie gemeinsam im Bett zu sehen, ja nicht einmal im selben Schlafzimmer, gibt es bei Ben Wheatley keinen Zweifel am Eheleben. Und besagtes Detail der Auflösung entspricht im Jahre 2020 der Buchversion, immerhin. Doch vielleicht hatten sich Hitchcock, Mega-Produzent David O. Selznick und die Drehbuchautoren auch etwas dabei gedacht – ob durch den Hays Code erzwungen oder nicht – dieses Detail für eine Filmversion zu verändern.
Diese neue „Rebecca“ Version scheint wie gelähmt durch ein unausgesprochenes Pflichtgefühl. Bloß keine Spielereien, bloß keine Experimente, bloß keine historische Veränderung – so fühlt es sich an. Doch dieser Widerspruch aus vermeintlicher Vorlagentreue und dem Affekt des 21. Jahrhunderts hat zur Folge, dass diesem Film das Historische fehlt. Darsteller, Dialoge, der gesamte Ausdruck der Präsentation – es wirkt nicht mehr authentisch. Stattdessen, kaum in Manderley angekommen, haben wir es mit einem aufwändigen Cosplay-Szenario zu tun. Darsteller und Inszenierung sind doppelt und dreifach bemüht, wollen ihren Vorgängern gerecht werden, wollen aber auch modern sein und einen Grund für diese Kostümierung finden. Doch viel mehr als Bemühen ist bei „Rebecca“ 2020 nicht zu erkennen. Selbst dieser „moderne“ Filme stellt Rebeccas einzigartige Schönheit an vorderster Stelle, um die neue Mrs. de Winter im Schatten ihrer Vorgängerin zu ersticken. Erst dahinter stehen Rebeccas Selbstbewusstsein, ihr Intellekt, ihr Durchsetzungsvermögen und ihre mannigfaltigen Talente.
Lily James ist als neue Mrs. de Winter weniger verhuscht, etwas weniger passiv, schwingt häufiger zwischen panischem Lämmchen und bemüht lebendigem Welpen hin und her, womit sie insgesamt die weniger greifbarere und – schlimmer noch – die weniger interessante neue Mrs. de Winter ist. Armie Hammer findet leider keinen Zugang zu seiner Rolle, bekommt vom Script aber auch wenig Unterstützung. Sein Maxim de Winter ist erstaunlich jung und noch einmal eine Ecke liebevoller (wenn ihn nicht gerade eine Rebecca-Erinnerung „triggert“) dargestellt als in der Hitch-Version, die Maxim schon zugänglicher gestaltete als der größtenteils unausstehliche Charakter der Vorlage. Doch der Charme seiner netten Momente dürfte kaum für erhöhten Puls sorgen und in den übrigen Momenten ist er eben der miesepetrige „grummel, grummel, Rebecca“ Maxim de Winter, noch dazu im englischen Originalton mit wenig überzeugendem Akzent. Selbst Kristin Scott Thomas, auf dem Papier eine perfekte Besetzung, legt ihre Mrs. Danver plumper und offensichtlicher an. Auch dieser Figur fehlt es an Facetten, obgleich die Mimin immerhin ein wenig Feuer versprüht, was weder James noch Hammer gelingen will.
Leider findet dieser „Rebecca“ keinen triftigen Grund, warum wir die Geschichte der neuen Misses de Winter und Manderley noch einmal neu erzählt bekommen. Was ist an den übersaturierten und teils betont künstlichen Farbaufnahmen wirklich gewonnen, außer der Look eines TV-(Streaming?) Melodramas? Kulissen und Ausstattung wirken detailreicher, kostbarer, jedoch immerzu wie Kostüme, wie ein bemühter Akt der Inszenierung. An der Küste vor Manderley finden wir eine wunderbar schroffe, felsige Strandlandschaft, die die bei Hitchcock größtenteils über Studiokulissen und Rückprojektion entstandenen Bilder vor Neid erblassen lassen. Nur wirklich bedeutungsvoll oder gar wichtig ist diese Szenerie nicht; jedenfalls nicht besonders. Erst im Schlussakt findet die „moderne“ Gesinnung des Films eine halbwegs passende Idee, wenn der Einfluss einer Figur von passiv auf aktiv gestellt wird, sie das Heft in die eigene Hand nimmt. Doch für echten Neuerungswillen ist es da schon längst zu spät.
Es ist ein Film zu nah an der literarischen Vorlage und damit zu nahe an der meisterhaften Erstverfilmung. Das ist aus mehreren Gründen enttäuschend, nicht zuletzt durch Regisseur Ben Wheatley, dessen so unangepasste, mutige und gelegentlich auch exzentrische Karriere bisher nicht auf ein derart laues Lüftchen von Film schließen ließ. Ein exzentrischer neuer „Rebecca“ hätte sich mit Wonne auf Gender-, Sexualität- und Klassenstrukturen gestürzt, hätte die Persönlichkeitssuche der neuen Mrs. de Winter forciert, das „gaslighting“ des Mittelteils betont, hätte womöglich eine Meta-Lesart gewagt, den unausweichlichen Schatten von Rebecca de Winter auf den unausweichlichen Schatten der Hitchcock-Version übertragen. Stattdessen haben wir es mit einem stilistisch wie inhaltlich flachen Aufguss zu tun; ein Film, der sich zusätzlichen Plot-Speck angefressen hat, nur um zu unterstreichen, dass man das Buch und nicht Hitchcock zum Vorbild nimmt. Doch trotz inhaltlicher Nähe geht dieser „Rebecca“ Version ein echtes Verständnis größtenteils verloren. Im Jahr 2020 ist „Rebecca“ eine ziellose Romanze, formlos und seicht, um eine Vielzahl psychologischer Facetten beraubt, stattdessen irgendwo im luftleeren Raum zwischen „Fifty Shades of Grey“ und „After Passion“ geparkt. Da hat Hitchcocks 80 Jahre alter Film noch immer mehr zu bieten.
Fazit:
Ein enttäuschendes Remake bzw. eine enttäuschende Neuinterpretation. Ben Wheatleys „Rebecca“ findet zu wenige wirkliche Ideen und Gründen, warum wir diese Geschichte noch einmal erzählen.
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