BG Kritik: „Project Power“
Noch mehr Netflix-Action mit leichtem Superhelden-Fantasy-Touch. Hier kommen die Superkräfte aus der Dose bzw. aus der Pille. Ex-Soldat Jamie Foxx, Polizist Joseph Gordon-Levitt und eine junge Dealerin sind in der Hatz um die mächtige Pille verwickelt. „Project Power“
Project Power
(USA 2020)
Regie: Henry Joost & Ariel Schulman
Darsteller: Jamie Foxx, Joseph Gordon-Levitt, Dominique Fishback, u.a.
Erstausstrahlung: 14. August 2020
Einen Kino- und Blockbustersommer hat es nicht gegeben. Und auch wenn die Kinos des Landes wieder geöffnet sind und Filme zeigen, lassen die großen Popcorntitel mit den großen Effekten und dem großen Budget noch auf sich warten. Ob geplant oder nicht, Netflix hat zumindest in Ansätzen (und eben für Zuhause) ein paar Lücken schließen können in der Zuschauergier nach Spektakel, Action und Zerstörung. Nach „Tyler Rake: Extraction“ und „The Old Guard“ nun also „Project Power“. Und es gibt weitere Gründe, diesen Film insbesondere mit „The Old Guard“ zu vergleichen. Fast scheint es, als wolle Netflix ein eigenes Untergenre mit Superheldenfilmen ohne Superhelden kreieren. Es geht um Fähigkeiten, Superkräfte und Mutationen, höchstens sekundär um heroische Ideale und Weltanschauungen.
Wurden die natürlich entstandenen „Übermenschen“ in „The Old Guard“ noch von einer Pharma-Firma gejagt, um ihre Fähigkeiten auszubeuten, kommen die Fähigkeiten hier direkt künstlich in Pillenform, zusammengeköchelt in irgendwelchen Pharma-Drogenlaboren. Die Pille weckt in jedem Konsumenten für wenige Momente ganz individuelle Superfähigkeiten, aktiviert übersteigerte Körperfunktionen aus der Tierwelt, darunter Temperaturregulierung, Superstärke und Unzerstörbarkeit. Es ist ein wenig „Jason Bourne“, ein wenig „Limitless“ und ein ganzer Haufen Comic-Fantasy, doch so wirklich wichtig ist die Pille nicht. Die hübsch gestalteten Kapseln sind Auslöser für die erhofften und erwarteten Effekt- und Actionszenen, denn wir wollen sehen, wie eine etwas – sagen wir mal – realistischere Version der Human Torch aus „Fantastic Four“ ein paar Wohnungen zerlegt und selbst mit Waterboarding nur unzureichend ruhiggestellt werden kann.
Diese Szenen inszeniert das Regie-Duo Henry Joost und Ariel Schulman („Nerve“) mit ein paar ganz netten visuellen Einfällen, darunter Mikrofotographie und Superzeitlupe, doch es wird weder so richtig brachial, noch wird es wirklich aufregend. Auch quantitativ bleibt es überschaubar. Eine kleine Keilerei hier, eine Jagdszene dort und dazwischen – man höre und staune – eine Fluchtszene. Das ist weder wirklich schlecht noch wirklich langweilig, doch wer der Action wegen einschaltet, dürfte ein wenig enttäuscht sein. „Project Power“ hat nicht völlig andere Ziele, wohl aber eine entscheidende Gewichtung in seinen Handlungselementen. So in Ansätzen will man hier nämlich tatsächlich etwas erzählen und womöglich sogar größere Themen jenseits von Power-Pillen und kuriosen Effekten anschneiden. Das ist zunächst einmal eine löbliche Herangehensweise.
Wir befinden uns in New Orleans und damit in einer amerikanischen Stadt, die, ähnlich wie Detroit, unmöglich „einfach nur“ eine x-beliebige Stadt sein kann, die durch Bevölkerungsgruppen und jüngere Geschichte immer auch für Größeres steht. Mit einem solchen Schauplatz, dem Veteranenhintergrund einer Hauptfigur und unübersehbaren Bemühungen, nicht zuletzt auch über das Leben von Afroamerikanern (die „Black Experience“) zu erzählen, hat sich „Project Power“ unbestreitbar etwas vorgenommen. Was genau das sein oder werden sollte ist hingegen weniger einfach zu sagen, denn die Umsetzung wirkt inkonsequent und unentschlossen zwischen den Extremen aus alberner „Fun“ Action-Prämisse und ernsthaftem charakterlichen Unterbau.
Trotz relativ viel Screentime und trotz gewohnt engagierter Leistung bleiben die Rollen von Jamie Foxx und Joseph Gordon-Levitt höchstens zweidimensional und damit recht flach. Foxx‘ Hintergrund als Soldat und seine Verwicklung in den Ursprung der Power-Kraft ist eher für den Plot wichtig, nicht so sehr für die Bindung der Figur an den Zuschauer. So bleibt Foxx alias Art alias Major ein Suchender, ein Getriebener und nicht viel mehr. Gordon-Levitt als Detective Frank Shaver vermeidet aktuelle politische Spitzfindigkeiten und ist ansonsten eine halbwegs sympathische Cop-Figur und nicht viel mehr. Selbst daraus, dass er selbst „Power“ einnimmt, wird nicht wirklich viel gemacht. Es ist Robin, gespielt von Dominique Fishback, die mehr sein soll und mehr sein darf. Robins Elternhaus, ihre Arbeit als „Power“ Dealerin und ihre Rap-Ambitionen machen sie zu einer spannenden und gut entwickelten Figur, die von den beiden erwachsenen Hauptfiguren regelmäßig in die zweite Reihe verbannt wird, was oft genug nachvollziehbar ist, dem Plotting des Films aber dennoch schadet.
Bei drei Hauptfiguren kommen die Widersacher fast unweigerlich zu kurz. Erschwerend kommt hinzu, dass der Film selbst nicht genau weiß, wer der eigentliche Antagonist ist oder wann man die Perspektive ändert. Erst herrscht – wenig spannende – Uneinigkeit über Majors Absichten, dann bekommen die „Power“ Drahtzieher ein Gesicht in Gestalt von Rodrigo Santoro („300“) und selbst dabei bleibt es nicht. Das Finale verengt gekonnt den Schauplatz, findet jedoch keinen Weg, wirkliche Dramatik zu generieren. Figuren kommen und gehen, es scheppert einmal kurz, doch alles ist simpel gestrickt und läuft insbesondere auf Seiten der Gegenspieler quasi komplett ohne funktionierende Motivation ab. Gruppe A hat etwas, Gruppe B will es befreien/an sich bringen. Viel mehr ist es nicht. Und ungefähr das muss man am Ende auch über „Project Power“ sagen: viel mehr ist es nicht.
Fazit:
Halbwegs originelles und mittelmäßig unterhaltsames Spektakel in einer bemühten, aber inkonsequent erzählten Geschichte mit Figuren, die – mit vielleicht einer Ausnahme – nie auch nur versuchen, in Erinnerung zu bleiben.
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