BG Kritik: „Rumble Fish“

25. August 2020, Christian Westhus

Ein oft vergessenes Coppola-Meisterwerk: Rusty James (Matt Dillon) versucht als junger Straßenrowdy dem großen Schatten seines berühmten Bruders (Mickey Rourke) zu entkommen und diesen zu überbieten. Doch der Bruder, der so genannte Motorcycle Boy, ist seinem Image und dem Kampf der Straße überdrüssig.

Rumble Fish
(USA, Frankreich 1983)
Regie: Francis Ford Coppola
Darsteller: Matt Dillon, Mickey Rourke, Diane Lane, Dennis Hopper, Nicolas Cage
Kinostart Deutschland: 03. August 1984 (Westdeutschland)

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im November 2015.)

Der Regisseur von „Der Dialog“, „Apocalypse Now“ und der „Pate“ Trilogie hat noch mindestens ein weiteres Meisterwerk gemacht, welches im Schatten der großen Klassiker ein wenig untergeht.

Nachdem er vier oscarprämierte und finanziell lohnenswerte Meisterwerke in Serie abgeliefert hatte, setzte Francis Ford Coppola insbesondere seinen „Der Pate“ Erfolg mit dem extrem persönlichen Traumprojekt „Einer mit Herz“ (1981) zumindest finanziell komplett in den Sand, konnte sich aber mit der wenig experimentellen und dadurch solide erfolgreichen Filmadaption des S.E. Hinton Jugendbuchklassikers „Die Outsider“ direkt wieder ein wenig abfangen. Doch Coppola wäre nicht Coppola, würde er sich danach Ruhe gönnen und simplere bzw. konsumierfreundlichere Filme angehen. Noch im selben Jahr wie die „Outsiders“ – 1983 – kam mit „Rumble Fish“ eine Adaption eines weiteren S.E. Hinton Romans in die Kinos. Und „Rumble Fish“, an der Oberfläche ein kaum zu verkennender Verwandter der „Outsiders“, ist definitiv kein Film eines Regisseurs, der auf Nummer Sicher gehen will.

Coppola geht Hintons symbolistisch aufgeladene Geschichte über Jugendängste und Gang-Idole an wie der junge Godard, nur eben mit dem Selbstbewusstsein und filmtechnischen Pomp eines Mannes, der das US-Kino der 70er geprägt hat wie neben ihm nur die Kollegen und Freunde Spielberg und Lucas. Aus dem betörend schönen, super kontrastreichen Schwarzweiß tritt Matt Dillon als Rusty James, ein großmäuliger, aufstrebender junger Straßenrowdy, der als jüngerer Bruder des legendären Motorcycle Boy gleichermaßen in dessen Windschatten fährt und aus diesem ausbrechen will. Der junge Matt Dillon besitzt die perfekte Ausstrahlung und Attitüde für einen jungen Mann, der an das Gesetz der Straße glaubt, der Differenzen über Gesten der Gewalt und Kraft regelt oder sofort direkt zur Konfrontation kommt. Rusty James ist kein Genie, aber wirklich dumm ist er auch nicht, nur denkfaul und etwas langsam, was Dillon – in Begleitung des jungen Nicolas Cage, ein Neffe Coppolas – spannend umsetzt.

© American Zoetrope / Koch Films

Eine solche Konfrontation, in der James einmal mehr beweisen will, dass er nicht nur der würdige Bruder des Motorcycle Boys ist, sondern auch ein würdiger Nachfolger, gibt es gleich im ersten Drittel des Films. Coppola und sein Choreograph inszenieren die Keilerei zweier Gruppenanführer an einer Bahnunterführung, setzen den Kampf aber weniger als Gefecht um, vielmehr als überstilisierten Tanz, der sicherlich nicht zufällig an „West Side Story“ erinnert. Es ist eine sensationelle Szene, die Coppolas ganzes Können als experimentierfreudiger Regisseur aufzeigt und die in der bewusst unwirklichen ersten Begegnung mit Mickey Rourkes Motorcycle Boy mündet.

Der ehemalige „Boy“ ist diesen sinnlosen Kämpfen, diesem endlosen Kreislauf stolzer Hahnenkämpfe und männlicher Dominanzposen überdrüssig. Rourke spielt das unfreiwillige Idol der Straße als grüblerischen, vernarbt-lebensweisen Einzelgänger mit unerwartet sanfter, ja fast kindlicher Flüsterstimme. Der Kontrast der beiden Brüder nimmt den Großteil der Filmhandlung ein, in der Rusty James an die Grenzen seiner Straßenkämpferpersönlichkeit gerät und in der es natürlich auch um den Erfolg bei einer Frau (Diane Lane) geht. Dennis Hoppers Kurzauftritt als Vater der beiden Brüder entwirft ein wirkungsvolles Bild einer potentiellen Zukunft und einer lebendigen Vergangenheit, aus der diese beiden Jungs ihre Lebenswege angingen. Rusty James wildes Verlangen nach einem Sinn, nach Anerkennung ist ungemein faszinierend und nicht erst, wenn der Motorcycle Boy über eine ganz bestimmte Art von Zierfischen spricht, die er in direkter Analogie zu seinem Umfeld sieht.

Fazit:
Fast vergessenes Wunderwerk von Francis Ford Coppola. Ungewöhnlich und ausdrucksstark inszenierte Geschichte jugendlicher Sinnsuche.

9/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung