BG Kritik: „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“

23. Februar 2011, Christian Mester

Als der junge Reporter Tim (Jamie Bell) eines Morgens ein Modellschiff mit dem Titel Einhorn kauft, erhält er eine Warnung. Er solle es besser aufgeben und sich nicht mit den Falschen anlegen, so der gut gemeinte Rat. Tim macht sich nichts aus der Drohung, bis er sein Zuhause durchsucht vorfindet, das Schiff fehlt und plötzlich auch noch ein Toter vor der Haustür liegt. Ein Vorfall, der Tims Neugier weckt, der Sache auf den Grund zu gehen. Zusammen mit seinem Hund Struppi geht es demnach auf Spurensuche…

TIM UND STRUPPI: DAS GEHEIMNIS DER EINHORN
THE ADVENTURES OF TINTIN (2011)
Regie: Steven Spielberg
Cast: Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig

Kritik:
Man mag es kaum glauben, aber die Verfilmung der Schlümpfe gehört 2011 bereits zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres. Das ist gerade deswegen interessant, weil die blauen Zwerge auf einem belgischen Comic aus dem Jahre 1958 basieren. Auch Spielbergs neuer Abenteuerfilm basiert auf einem Comic aus Belgien. Tintin, wie die Figur von Autor Hergé eigentlich heißt, ist sogar noch wesentlich älter als Peyos Schlumpfhausen und bereits seit 1929 in diversen Comics, Büchern und Filmen im Dienst.

Zwanzig Jahre lang besaß Regisseur Spielberg die Filmrechte am Stoff, konnte sich aber nie festlegen, wie er die Figuren Tim & Struppi umsetzen sollte. Schließlich war es Regiekollege Peter Jackson (Herr der Ringe), der ihm ans Herz legte, den Film im Motion-Capture-Format zu drehen. Es ist dieselbe Technik, mit der Schauspieler Andy Serkis bereits zu Gollum, zu King Kong und 2011 zum Schimpansen Caesar gemacht wurde. Ein Verfahren, das in gänzlich animierten Filmen wie Der Polarexpress, Die Legende von Beowulf, Eine Weihnachtsgeschichte und Milo und Mars jedoch bereits arg kritisiert wurde. Ob Spielbergs Wahl des Formats demnach die richtige war?

Der sogenannte Uncanny-Valley-Effekt beschreibt die Eigenart, dass beim Versuch, möglichst realitätsnahe Menschenabbilder zu schaffen, kurz vor Erreichen des Idealbildes ein unangenehmes Gefühl auftritt. Man fühlt sich irritiert, sieht ein bekannt wirkendes Gesicht, das jedoch völlig seelenlos erscheint. 2005 erlebte man dies bei einem CGI Tom Hanks in Der Polarexpress, 2007 bei einem CGI Anthony Hopkins in Die Legende von Beowulf (mit einer nackten CGI Angelina Jolie als Grendel konnte sich amüsanterweise jeder anfreunden). Nach den ersten Trailern zu Tim & Struppi durfte man jedoch berechtigte Sorgen haben, denn der frühe Eindruck von CGI Tim war der gleiche wie bei seinen MoCap-Kollegen: ein beunruhigender.

Leider ist zu berichten, dass die Sorge nicht aus der Welt geschafft wurde, denn der animierte Tim sieht auch in der fertigen Fassung missraten aus. Von allen Figuren ist er einem echten Menschen am meisten nachempfunden, hat in Zuge dessen jedoch ein außerordentlich ausdrucksloses Gesicht erhalten, das gespenstisch puppenhaft wirkt. Man könnte glatt meinen, Tim habe in seinem vorherigen Abenteuer einen Schönheits-Chirurgen aufgesucht und sein Gesicht mit Botox straffen lassen. Glücklicherweise ist dies bereits fast der einzige wirkliche Makel am Film, dessen Rest fantastisch geworden ist.

Die anderen Hauptfiguren haben Tims Problem nicht: sie sind dicke, unförmige, bärtige, vernarbte oder extrem schlaksige Männer, die mit Knollennasen und anderen überzeichneten Gesichtszügen reine Cartoon-Schöpfungen sind. Sie sehen somit toll aus und sorgen glücklicherweise für die meisten Szenen. Während Tim selbst immer ernst bleibt und nur seinen Auftrag im Auge hat, blödeln die anderen, was das Zeug hergibt. Der Film ist ungeheuer lustig geraten und spricht dabei viele verschiedene Arten von Humor an. Da wird in einen Motor gerülpst, damit dieser weiterläuft, über einen der Bösen wird gemunkelt, dass er auf seiner Farm die Schafe zu gern hatte, andererseits wird so oft klamaukhaft gestolpert, dass sogar ein Mr. Bean stolz wäre.

Ebenso unterhaltsam ist die Action-Komponente des Films, denn obgleich er aufgrund seines Looks wie eine klein Kinderfilm erscheinen mag, bietet der Film ein paar der besten Actionszenen des Jahres. In bester Mission: Impossible-Manier wird ein abstürzendes Flugzeug noch in der Luft repariert, Piraten kämpfen akrobatisch in den Mästen zweier Schiffe und zwei Hafenkräne lassen daran erinnern, dass Steven Spielberg zuletzt die Roboterschlachten Transformers 3 und Real Steel – Stahlharte Gegner produziert hat. Highlight ist eine irrwitzige Verfolgungsjagd durch marokkanische Straßen, bei der Tim und Haddock vor Panzern, bewaffneten Bösewichten und vor tosenden Wassermassen fliehen. Die Action ist spektakulär inszeniert, rasant, aber immer übersichtlich und mit vielen Überraschungen gespickt. 3D darf man sich in diesem Fall allerdings sparen: der eingesetzte Effekt ist minimal.

Dass die Handlung sehr dünn sein mag, ist ausnahmsweise einmal kein Gegenargument, da der Film äußerst abwechslungsreich zwischen den Schauplätzen wechselt. Bis auf eine wahrlich nervtötende Sequenz mit einer Opernsängerin gibt es keine Hänger. Wenn es einmal keine Action gibt, unterhalten die starken Nebenfiguren. Wie viel man von den tatsächlichen Schauspielern wie Daniel Craig und Andy Serkis letztendlich sieht und was darüber hinaus den Grafikern zu verdanken ist, lässt sich nur vermuten. Zusammen mit Spielberg haben sie jedoch hervorragend inszenierte Figuren geschaffen, die Spaß machen und in Erinnerung bleiben.

Weiß man, dass Steven Spielberg Regie geführt hat, sind die Parallelen zu seinen Indiana Jones Filmen selbstredend nicht von der Hand zu weisen. Auch hier geht es um einen reisenden Abenteurer, der auf der Suche nach speziellen Objekten von einer aufregenden Situation in die nächste gerät. Der einzige markante Unterschied liegt darin, dass Tim unterwegs keine Freundin bekommt und sich ausschließlich auf sein Abenteuer konzentriert. Dabei fühlt man sich unweigerlich an die Stärken der Indy Filme erinnert, denn Tim & Struppi: Das Geheimnis der Einhorn hat viele großartige Indiana Jones Momente – und ist letzen Endes sogar besser als der letzte offizielle Teil Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels.

Fazit:
Spielbergs Verfilmung von Tim & Struppi ist ein äußerst lustiger und mitreißender Abenteuerfilm geworden, der abgesehen von Kleinigkeiten großen Spaß macht. Dass Tim selbst oftmals wie eine Schaufensterpuppe aussieht, lässt sich verschmerzen, da er nur selten im Mittelpunkt steht – meistens übernehmen die interessanteren Nebenfiguren. Auch sorgen viele opulente Actionszenen dafür, dass man den gespenstischen Look der Hauptfigur hinnehmen kann.

7/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung