BG Kritik: „The Suicide Squad“

8. August 2021, Christian Westhus

James Gunns Reboot/Remake/Sequel des Suicide Squads: Amanda Waller versammelt wieder Schurken und Halbwahnsinnige, darunter Harley Quinn, Deadshot und einen Hai, um eine größere Bedrohung aufzuhalten. Chaos vorprogrammiert.

The Suicide Squad
(USA, UK, Kanada 2021)
Regie: James Gunn
Darsteller: Margot Robbie, Idris Elba, John Cena, Daniela Melchior, Viola Davis, David Dastmalchian, uvm.
Kinostart Deutschland: 05. August 2021

In gewisser Weise ist „The Suicide Squad“ eine eigene kleine „Justice League“ Situation, mit dem #GunnCut statt dem #SnyderCut. Natürlich gähnt auch immer mal wieder ein vorsichtiges „#ReleaseTheAyerCut“ durchs Internet, doch der Zug dürfte spätestens jetzt abgefahren sein, wo Warner Bros. den vorigen „Suicide Squad“ (2016) durch eine runderneute Remake-/Reboot-Version überschreiben und praktisch aus der Welt schaffen. Zumindest aus der ehemals als DCEU bekannten Welt scheint David Ayers finanziell immens erfolgreicher, aber nie wirklich beliebter Film gestrichen zu sein. Und das ausgerechnet durch einen vermeintlichen „Marvel-Regisseur“. Sicher, so ganz unmöglich ist es nicht, „The Suicide Squad“ als Fortsetzung von „Suicide Squad“ zu sehen. Die Widersprüche sind nicht wirklich größer als die, die „Wonder Woman 1984“ im größeren DCEU-Kontext auslöst. Und dennoch wirken die Abgrenzung und die damit verbundene Leugnung des ersten Films gewollt und von zentraler Wichtigkeit.

Mit Margot Robbie, Viola Davis, Joel Kinnaman und Jai Courtney kehren gleich mehrere Darsteller des ersten Films in identischen Rollen zurück, was die Franchise-Verortung auf den ersten Blick schwierig gestaltet, James Gunns generelle Haltung zum Thema Kontinuität auf den zweiten Blick aber auch wunderbar unterstreicht. Gunn nimmt sich was er will und was er braucht, hat die Sicherheit im Hinterkopf, keinerlei erzählerische Verpflichtungen durch dieses Casting eingehen zu müssen. Im Gegenteil, „The Suicide Squad“ setzt noch einen drauf. Man muss nicht all zu tief im Comic „Lore“ stecken, um zu erkennen, dass der von Idris Elba gespielte Bloodsport eine Copy-Paste-Version von Will Smiths Deadshot darstellt. Mit John Cenas Peacemaker, einem radikaleren Quasi-Captain America, wird die charakterliche Doppelung direkt im Film kommuniziert. Und statt Killer Croc bekommen wir hier Killer Shark beziehungsweise King Shark, einen anthropomorphen Hai, im englischen Original von Sylvester Stallone gesprochen und mit einem Intellekt irgendwo zwischen Drax und Groot von den „Guardians of the Galaxy“.

© Warner Bros.

Mit all diesen Namen ist kaum die Hälfte des Ensembles dieses kunterbunten Spektakels abgesteckt. Die Truppe besteht aus teils vollkommen verrückten Figuren; eine beknackter als die andere. Es ist ein Fest. Aus diesem Chaos zieht James Gunn insbesondere im ersten Drittel einen großen Reiz, denn schnell wird deutlich, dass (fast) niemand der Figuren hier sicher ist. Klar, Margot Robbies Harley Quinn wird den Film überleben, so viel steht fest. Doch aus der Figurenliste ableiten zu wollen, wer im weiteren Verlauf das Kernteam des Squads bildet – und wichtiger noch, welche Figuren im erzählerisch-emotionalen Zentrum stehen – dürfte sich schwierig gestalten und einige Überraschungen parat halten. Mit einer überraschenden Brutalität und einer darin verbundenen kindischen Freude will uns Gunn überraschen, wenn sich schon nach wenigen Minuten einige Hochkaräter blutig und matschig verabschiedet haben. Wie der Film seine FSK-16 Freigabe erhalten hat, bleibt auch im weiteren Verlauf ein Rätsel, denn auch nachdem sich Plot und Ensemble geordnet haben, um in der verhältnismäßig simplen Story auf ein großes Ziel zuzusteuern, findet das Script Mittel und Wege, um neue Grenzen des Big-Budget Superheldenkinos auszuloten.

Die Gewalt durch blutige Kopfschüsse, zerfetzte und gefressene Körper, ist natürlich selbstzweckhaft. Der blutig-brutale Spaß ist der springende Punkt. Doch zum allergrößten Teil findet Gunn einen guten Weg, die cartoonige Absurdität der Geschehnisse so zu nutzen, dass der Gewaltschock in pure Unterhaltung und gelegentlich sogar in subversive Kritik umschlägt. Die finale Finte, wenn sich der Squad durch ein kleines Terroristendorf mäht, ist so fies wie clever. „The Suicide Squad“ versteht besser als der Vorgänger, dass wir es hier zumeist mit Figuren zu tun haben, die eigentlich die Gegenspieler der gefeierten Helden darstellen. In Sachen bösem Witz, anarchischer Attitüde und absurder Zuspitzung zeigt „The Suicide Squad“ auch einem „Deadpool“ was eine Harke ist. Es wäre zu hoch gegriffen, von einem radikal „freien“ Film zu sprechen, davon, Warner Bros. hätten James Gunn $200 Mio. in die Hand gedrückt und ungeniert machen lassen. Was hier veranstaltet wird ist dennoch erstaunlich nah an einem solchen Szenario dran. Waren Gunns „Guardians“ Filme schon kurios-schräge Ausnahmen im häufig recht homogenisierten MCU, darf er hier noch einmal mehr vom Leder lassen und offenbaren, warum er seine kreativen Anfänge beim berühmt-berüchtigten Troma-Studio machte.

Es ist verblüffend, wie dem Film praktisch nichts heilig ist und wie praktisch nichts sicher ist, wie die geradlinige Mission des Squads ohne größere Umschweife auf ein klares Ziel zusteuert und wie dieser wilde Reigen trotzdem charakterliche und emotionale Höhen erreicht. „Guardians Vol. 2“mag in seiner „saubereren“ Art besser funktionieren, doch „The Suicide Squad“ ist keineswegs eine flache Sketchparade .Oder anders formuliert: in diesem Film hat eine Ratte mehr Persönlichkeit und mehr narrative Relevanz als das komplette Personal des ersten „Suicide Squad“. Dass wir auch hier auf einen gigantomanischen Effekt-Bombast-Showdown zusteuern, erscheint zunächst zu simpel für einen so ungehemmten Film wie diesen. Doch das Finale ist nicht nur spektakulär und abwechslungsreich, es serviert auch das Gaga-Kirschtopping für diese wilde Fahrt. Dass dabei bis zuletzt auf ein größeres Franchise-Worldbuilding und auf wirkliche Referenzen zu anderen Superhelden verzichtet wird, kommt einer großen Befreiung gleich. „The Suicide Squad“ ist keine Revolution des Superheldenkinos, wohl aber eine enorm unterhaltsame und erfrischend ungehemmte Generalüberholung.

Fazit:
Ungehemmt und ungemein unterhaltsam. „The Suicide Squad“ ist ein anarchischer Superhelden- bzw. Superschurken-Spaß, der neue Grenzen fürs Big Budget Comic-Kino erforscht.

8/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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