BG Kritik: „Birth“ (Treasure Monday)

27. Juni 2019, Christian Westhus

Erstklassiges Drama mit Nicole Kidman und dabei einen Hauch kontrovers: Zehn Jahre noch dem Tod ihres Mannes ist Anna (Kidman) bereit, erneut zu heiraten. Doch als plötzlich ein zehnjähriger Junge vor ihrer Tür steht und überaus glaubwürdig behauptet, ihr verstorbener Mann zu sein, ändert sich für Anna alles.

Birth
(USA, UK, Frankreich, Deutschland 2004)
Regie: Jonathan Glazer
Darsteller: Nicole Kidman, Cameron Bright, Danny Huston, Lauren Bacall
Kinostart Deutschland: 23. Dezember 2004

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im Juni 2014.)

Der erst zweite Spielfilm von Musikvideoregisseur und Werbeclip-Legende Jonathan Glazer hatte und hat es nicht leicht, die Anerkennung zu erhalten, die er verdient. Am Anfang war es die dämlich aufgebauschte Kontroverse, weil Nicole Kidman mit einem kleinen Jungen nackt in der Badewanne hockt. Dann aber behandelt „Birth“ auch ein ungewöhnliches, ja fast absurdes Thema, das vom Publikum verlangt, sich darauf einzulassen. Es hilft aber auch zu erkennen, dass „Birth“ weniger ein Film über Reinkarnation ist, als vielmehr ein Film über unsterbliche Liebe und darüber, wie sehr der Partner, mit dem man den Rest des Lebens verbringen möchte, ein Mysterium bleibt.

Glazer muss sein Konstrukt zunächst aufbauen, ehe er sich darin bewegen kann. Doch schon der Aufbau ist enorm elegant und faszinierend, sofern man nicht jede Kleinigkeit mit der Logik-Zange hin und her wendet. Natürlich könnte man den Jungen mit Personen und Fragen konfrontieren, die ihn viel mehr aus der Reserve locken und viel schneller vor Probleme stellen müssten, sollte er ein Schwindler sein. Aber die Aufrechterhaltung der vermeintlichen Charade ist nicht der Kern des Films. „Birth“ ist weniger an Theorien zu Reinkarnation und einem Leben nach dem Tod interessiert, sondern vielmehr an verschiedenen Konzepten von Liebe, von Partnerschaft, von Menschen die andere Menschen brauchen, um sich erfüllt zu fühlen. Die Auflösung und der Weg dorthin kreieren für alle Beteiligten in ein faszinierendes Dilemma. Der verwirrte Junge, der plötzlich meint, sein wahres Ich (wieder-)gefunden zu haben. Der Verlobte, der sieht, dass seine zukünftige Frau die Gefühle für ihren toten ersten Mann wie Blei mit sich herumträgt. Diese Frau, die sich mit ihrer ersten Liebe neu infizieren lässt. Und schließlich der tote Mann, Sean, über den wir aus unterschiedlichsten Ecken viele spannende Dinge hören.

© New Line / Warner Bros

Glazers Script ist gleichermaßen an Anna und beiden Seans interessiert. Der kleine Junge ist weitaus mehr als ein Mittel zum Zweck, um einen Keil zwischen Anna und ihren Verlobten Joseph zu treiben. Joseph, den Danny Huston sanft, stolz, aber auch wütend-arrogant spielt, erkennt seine Zukünftige bald nicht wieder und sieht sich zwangsläufig im längst verarbeitet geglaubten Schatten des echten Sean verschwinden. Durch Witwe Anna, durch Schwägerin und Schwager, durch Schwiegermutter Lauren Bacall und alte Freunde (gespielt von Peter Stormare und Anne Heche) baut sich ein Bild des toten Mannes auf, den Anna damals vergötterte und den sie nicht loszuwerden scheint. Und dieses Bild von Sean, verkörpert durch den kleinen Jungen mit dem runden Gesicht, der glatt in Ohnmacht fällt, als Anna ihm sagt, er solle sich von ihr fernhalten, steckt selbst voll spannender Widersprüche.

In fremden Händen wäre der Film sicherlich über sein absurd klingendes, schnell albern wirkendes Konzept gestolpert. Doch Glazer steht komplett hinter seiner Gedankenspielerei, inszeniert mit Ruhe und visueller Eleganz. Viel schöner kann man einen Film nicht beginnen. Der alte Sean joggt im winterlichen Central Park, getragen von Alexandre Desplats Score und Harris Savides‘ gleitender Kamera. Die schneebedeckte Landschaft, ein Tunnel, Leben und Tod. Komponist Alexandre Desplat ist inzwischen einer der erfolgreichsten und meistbeschäftigten Filmkomponisten der Welt. 2004 war er noch überwiegend in Frankreich bekannt. Seine Musik zu „Birth“ ist vielleicht noch immer seine beste Arbeit. Ein, wie der Film, zugleich magischer und enigmatischer Score, mit Pfeifen und Bläsern, ein paar Streichern und Percussions.

Auf der anderen Seiten Harris Savides‘ elegante, so klare und räumlich großartige Kameraarbeit, die ihren Höhepunkt in DER berühmten Szene im Opernsaal findet. Savides und Glazer erkunden für mehrere Minuten Nicole Kidmans Gesicht, in dem sich Welten abspielen. Es gibt noch immer Leute die behaupten, Kidman könne keine Emotionen darstellen. Das Gegenteil ist der Fall. Allein diese eine meisterhafte Szene, wenn Annas Weltbild einen großen Riss erhält und droht einzustürzen, zeigt, dass Nicole Kidman zwei durchdringende und unterschwellig lebendige Augen hat, wie es sie in der Filmwelt kaum ein zweites Mal gibt. Als Frau, die von der Liebe ihres toten Mannes nicht loskommt, liefert Kidman – neben „Dogville“ – die vielleicht beste Leistung ihrer Karriere ab.

Fazit:
Nicht von der ungewöhnlichen Thematik ablenken lassen. „Birth“ ist ein faszinierendes, toll inszeniertes und umwerfend gespieltes Drama um Liebe und Tod.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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