Treasure Tuesday Spezialkritik: „Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln“

16. Februar 2021, Christian Westhus

Paul Schrader widmet sich Leben und Tod des berühmten japanischen Autors Yukio Mishima in einem der ungewöhnlichsten und besten Biopics überhaupt. „Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln“ (1985), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Zoetrope Studios / Rapid Eye Movies

Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln
(Originaltitel: Mishima – A Life in Four Chapters | USA, Japan 1985)
Regie: Paul Schrader
Darsteller: Ken Ogata, uvm.
Kinostart Deutschland: 31. Oktober 1985

Was ist das für ein Film?
Paul Schrader – Regisseur von „First Reformed“ und Drehbuchautor von „Taxi Driver“ – verfilmt das Leben von Yukio Mishima, der seinerzeit der größte neuzeitliche Autor Japans war. Was nach einem klassischen Biopic klingt, wird gänzlich anders und ungewöhnlich präsentiert. „Ein Leben in vier Kapiteln“, besagt der Untertitel des Films. Die Gegenwartshandlung um die letzten und entscheidenden Tage Mishimas geben die Rahmung, um in den drei weiteren Kapiteln Lebenshistorie und Werk lebendig werden zu lassen. Mishimas reales Leben in Flashbacks verschmilzt mit außergewöhnlich präsentierten Einblicken in drei fundamentale Romane des Schriftstellers: „Der Tempelbrand“, „Kyokos Haus“ und „Unter dem Sturmgott“ geben einen intensiveren Blick auf das Schaffen von Yukio Mishima und verdeutlichen Lebensphilosophie und Ideologie des teils kontrovers behandelten Künstlers.

Warum sollte mich das interessieren?
Ein augenscheinlich amerikanischer Film, noch dazu mit George Lucas und Francis Ford Coppola als ausführende Produzenten, der die sehr japanische Geschichte eines sehr japanischen Autors erzählt. Natürlich ist die Produktion mindestens gleichwertig auch japanisch, doch mit Paul Schrader an der kreativen Spitze macht diese Kombination stutzig. Am Ende des Films könnte man sich sogar fragen, wie Mishima selbst auf den amerikanischen Einfluss in der Filmversion seiner Lebensgeschichte reagiert hätte. Und wäre eine solche Frage überhaupt relevant?

In der gegenwärtigen Rahmenhandlung sehen wir Yukio Mishima, wie er sich ganz adrett und formell militarisierte Kleidung anlegt, sich als höchster Offizier mit Untergebenen trifft, um zu einem bestimmten Ort für eine bestimmte Angelegenheit zu fahren. Dieser Tag ist für den intellektuellen Autor von großer Bedeutung. Erst kurz darauf lernen wir den jungen Mishima kennen, der als körperlich schwacher und leicht stotternder Junge in der Schule aneckte, aus dem Militärdienst fiel und die Wichtigkeit von Worten und Sprache entdeckte. Erst ein weiteres Kapitel später erfahren wir, was es wirklich mit dieser militärischen Kostümierung auf sich hat, was Mishima bewegt und was er bezwecken will.

Die vier Kapitel unterstehen jeweils einem Kerngedanken: Schönheit, Kunst, Tat und Die Harmonie von Stift und Schwert. In den ersten drei Kapiteln, ehe am Ende die Gegenwartshandlung ein selbiges findet, gehen biographische Flashbacks – in Schwarzweiß – mit dramatischen Nachstellungen dreier Romane Hand in Hand. Es sind diese Nachstellungen, diese Mini-Verfilmungen, die den Film so herausragend gut und faszinierend machen. Hier entfaltet sich die Psyche Mishimas, werden seine real erlebten Erfahrungen und Empfindungen zu Ideen, Ansichten und schließlich zu Ideologie. Das betrifft zunächst das Selbstverständnis und Liebesleben des Autors, beschreibt Eindrücke von Männlichkeit, Körperlichkeit und Erotik, nimmt aber auch den Militärfetisch vorweg, sowie den Wunsch eines wiedererstarkten Japans. Make Japan great again, würde es heutzutage heißen – mit fast allen dazugehörigen Implikationen.

In diesen drei Kapiteln, durch diese Fusion aus Biographie und Werkschau, wohnen wir einer ideologischen Radikalisierung bei. Und Paul Schrader schaut sich diese Radikalisierung eine lange Zeit recht neutral, wenn nicht gar mit einer gewissen Wehmut an, auf der Grenze zwischen kategorischem Ausschluss und theoretischem Mitgefühl bzw. Verständnis, seinem Travis Bickle aus „Taxi Driver“ gar nicht mal unähnlich. Diese drei Kapitel und insbesondere die Roman-Impressionen begeistern aber auch inszenatorisch und konzeptionell. Die komprimierte Handlung erschließt sich erstaunlich gut, doch es ist auch sensationell bebildert. Hier durfte sich die spätere Kostümdesign Virtuosin („Bram Stoker’s Dracula“, „The Cell“, „The Fall“, „Immortals“) Eiko Ishioka als Ausstatterin austoben. Über eine farbintensiv abstrakte und grandios entworfene Bühnenwelt tauchen wir in die Romanhandlungen ein, immerzu mit dem genauen Blick auf die sich verschiebenden oder verschärfenden Ideen. Mit dabei auch der Musikscore von Philip Glass („Koyaanisqatsi“, „Truman Show“), der hier womöglich den Höhepunkt seines Score-Schaffens abliefert. Ein musikalischer Traum. Auch Paul Schrader scheint zu wissen, dass er mit einem Meisterstück hantieren darf und geht entsprechend verschwenderisch damit um. Doch letztendlich weiß Schrader als Regisseur und über sein Script Ishiokas Bildwelten und Glass‘ Musik nur zu gut dafür zu nutzen, Mishimas fatalistische Entwicklung darzustellen. Der Autor sucht am Ende nach der Einheit von Kunst und Taten, wenn Worte alleine keine Kraft (mehr) entfalten können.

Dieser Film ist bis zum 16. März 2021 bei arte in der Mediathek verfügbar und außerdem via Rapid Eye Movies als BD erhältlich.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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