BG Kritik: „James Bond 23: Skyfall“

28. September 2018, Christian Mester

Bei einem Auftrag in Istanbul wird Bond versehentlich von einer Kollegin niedergeschossen und taucht dann als tot erklärt unter. Als er ruhelos jedoch kurz darauf erfährt, dass es in London ein Attentat auf M’s Büro gab, das nur ein Insider hat umsetzen können, hilft er ihr eine alte offene Rechnung zu begleichen…

SKYFALL (2012)
Regie: Sam Mendes
Cast: Daniel Craig, Javier Bardem, Judi Dench

Kritik:
Wie schwierig darf man es sich vorstellen, nach 22 James Bond Filmen den nächsten entwerfen zu müssen? Darf man es als besonders leicht verstehen, weil sich nach so vielen Teilen doch präzise sagen lassen müsste, was funktioniert und was nicht? Oder ist es außerordentlich anspruchsvoll, nach derart vielen Filmen neu zu überzeugen, neu zu überraschen, ohne dabei außen vor zu lassen was nach Tradition verlangt wird? Casino Royale war 2006 die Feuerprobe des aktuellen Bonds Daniel Craig, der sich in neuer Interpretation schier grandios zu behaupten wusste und Glück hatte, Teil eines fantastischen Films zu werden, der atemberaubende Action, einen spannenden Bond Bösewicht, das wahrscheinlich beste Bond Girl der gesamten Reihe, plus einer sehr persönlichen, spannenden Geschichte bot.

Der Nachfolger Ein Quantum Trost konnte zwei Jahre später dann offensichtlich nur an den Folgeerwartungen zerschellen, tat sich aber auch sonst nichts gutes damit, zwar großartige, aber fürchterlich geschnittene Action, sowie einen bloß schwachen Gegner und ein nur solides Bond Girl aufzutischen. Die Pause zum dritten fiel dann länger aus. 4 Jahre waren es, in denen American Beauty, Jarhead und Road to Perdition Regisseur Sam Mendes ans Steuer durfte. Eine eigene, in sich geschlossene Geschichte sollte sein Film erzählen, ohne QUANTUM, ohne Versper Lynds Vergangenheit, dafür mit großem Fokus auf den Hintergrund von Bonds langjähriger Chefin, Judi Dench’s M. Dass sein Film sehenswert und im inszenatorischen überzeugen würde, ward nie bezweifelt, doch kann Mendes Blockbuster-Action inszenieren und das in Einklang mit dem Rest bringen?

Dass Explosionen, Fights und Schießereien nicht unbedingt Mendes‘ Metier sind, wird in Skyfall erst rückblickend deutlich – viel Action gibt es in den langen (aber nie langatmigen) 140 Minuten nicht, und wenn, ist sie abwechslungsreich, aber nicht immer mit genügend Drive versehen (s. Eröffnungsszene), ist sie durchaus destruktiv, aber nicht unbedingt spektakulär (s. U-Bahn „Gruß“), ist sie schön unberechenbar, aber kraftlos (s. Angriff auf das Verhör M’s), ist sie insgesamt gut, aber nicht beeindruckend oder denkwürdig. Zu loben ist indes, dass sie im Vergleich zum Vorgänger wieder angenehm flüssig und übersichtlich inszeniert ist, statt mit Stakkato-Epilepsie-Einstellungen auf Über-Bourne zu machen. In allen Szenen macht Craig, der seit Casino sichtlich gealtert ist, dies aber nutzt, um Bond als gezeichneten, vernarbten Mann voller Traurigkeit zu spielen, der sich eisern in seinem Job vorwärts bewegt, nicht ruhig bleiben kann, immer noch eine exzellente Figur, der man fraglos lieber folgt als einem Aaron Cross.

Mendes‘ Regie ist etwas träge, aber via Kameraguru Roger Deakins visuell derart brillant umgesetzt, dass ein Oscar gewiss sein müsste. Ob die Skyline Shanghais, eine von Laternen beleuchtete Casino-Insel in Macau, ein Herrenhaus im vernebelten schottischen Moor oder das kühle Grau Londons – optisch deklassiert Deakins die meisten Filme des aktuellen Jahres als spiele er in einer ganz anderen Liga; im Grunde inszeniert Deakins Bonds Welt so ansehnlich wie Stardesigner Tom Ford Bond’s Anzüge in jeder Einstellung perfekt aussehen lassen. Stimmig, aber nicht auf John Barry’s Höhen: Mendes‘ Busenkomponist Thomas Newman. Schick aber cheesy: die Titelsequenz mit Adele’s schönem Titelsong. Als Bond Girls sind Berenice Marlohe und Naomie Harris jeweils keine Vesper, bekommen in ihren jeweiligen Szenen aber zufrieden stellend zu tun und sind angenehme Ergänzungen zur Story, so wie Handlanger Patrice (Ola Rapace, richtig, Noomi Rapace’s Ex) trotz Persönlichkeitsvakuum Bond mehrmals gut beschäftigen kann. Ein erstes Gespräch zwischen Bond und Marlohe, in der er ihre zunächst arrogant wirkende Fassade psychisch demontiert, gehört gar zu den besten Dialogen des Films. Mehr denn je gefragt, und wieder erhaben ist Judi Dench, die ihre M mit diesem Film zu Bonds wohl wichtigstem Chef macht. Ein Fehlgriff hingegen ist der neue Q, gespielt von „Das Parfüm“ Mörder Ben Wishaw, der Bond mit seiner jungen Hipsterhacker-Art als erstes ein „soll das ein Witz sein?“ entlockt – was der Film dann nicht wieder zu enthebeln schafft. Es gibt viele kleine und große nette Verweise auf vorherige Filme der Reihe, z.B. ein Whisky Jahrgang 1962, ein bestimmtes Auto oder ein Lauf über (nur ausreichend umgesetzte CGI-)Komodo-Warane, der nicht von ungefähr an Bonds Besuch auf der Krokodilfarm in Leben und Sterben lassen erinnert. Darüber hinaus gibt es weitere… Handlungs-entwicklungen, die Bond einige seiner bisher weg gelassenen Traditionen zurückbringen; mal holprig und platt, mal treffsicher. Mendes schaukelt es stets zum guten.

Schwer diskutabel ist allerdings Bond Bösewicht Silva, sowie die Handlung des Films. Als blonder Verräter ist Javier Bardem prinzipiell fesselnd und originell. Er ist ein vielseitiger Charakter, der zugleich charmant, sadistisch, unberechenbar, präzise vorbereitet, verletzlich, nachvollziehbar – und etwas wahnsinnig erscheint. Über die genaueren Probleme im Zusammenhang mit der Handlung soll es genauer im finalen Spoiler-Absatz gehen; grob gesagt wirkt er etwas zu chaotisch, seine Pläne machen nicht den größten Sinn, seine Reaktionen darauf sind manchmal schwer einzuordnen, und wie es mit der Geschichte, genauer gesagt mit M’s Geschichte, zu der Bond dann unweigerlich auch hinzugewoben wird, schöpft es das vorhandene Potential nicht aus, schlittert knapp an der unfassbar guten Chance vorbei, den vielleicht interessantesten und besten Bond von allen zu schaffen.

Dabei fällt unweigerlich auch auf, mit welcher anderer großen Filmreihe der letzten Jahre Skyfall sehr große Parallelen hat:

Mit Spoilern der Handlung:
Im Film wird erklärt, dass Silva einige Jahre zuvor M’s Lieblingsagent war und sie ihn bei einer Mission im Stich ließ, sogar bewusst in chinesische Folter ausliefern ließ um dafür andere zu befreien. Silva, der sich für sie sogar das Leben nehmen wollte, nahm ihr das übel und versucht anschließend, sich mit einem perfide vorbereiteten, wenn auch etwas sehr umständlichen Plan zu rächen. Sehr interessant ist dabei, dass M in der Eröffnungssequenz des Films in etwa das gleiche mit Bond macht: sie riskiert sein Leben für die Mission, was dieser ihr jedoch nicht krumm nimmt. So hat man generell einen sehr interessanten Spiegel, denn Silva und Bond reagieren auf das gleiche unterschiedlich: der eine loyal, der andere Blutrache schwörend. Eine fantastische Sache, die umso interessanter wird weil man dazu verleitet ist, Silva durchaus zu verstehen: M behandelt Bond fast immer als entbehrlich, man dankt es ihm nicht. Im Gegenteil, hier droht er zwangs Fitnesstest sogar, als Strafe nicht mehr machen zu dürfen, was sein Leben auszeichnet: seinem Land zu dienen. M setzt Bond zudem nicht als Freund ein, sondern weil sie sich bei ihm sicher kann, dass er ihren Dreck nicht an die Außenwelt trägt, ihren Ruf nicht ruiniert. Silva stellt Bond auf die Probe, denn denkt er wirklich für sich oder ist nur ein blinder Gefolgsmann? Dazu hatte er in Ein Quantum Trost erst gerade selbst einen persönlichen Racheakt, und kann Silva demzufolge um so stärker nachvollziehen.

Als Silva M das erste Mal „Mutter“ nennt, darf man gar geschockt sein – ist er ihr Sohn? Ist er leider nicht, nur eine Neckerei des verstoßenen Angestellten, aber man bedenke die familiären Verknüpfungen, würde M ihren eigenen Sohn von ihrem gefühlten „Adoptivsohn“ Bond – M ist das nächste was Craigs Bond Familie nennen würde – jagen lassen. Ein starkes, shakespearsches Potential, das Mendes leider nicht übernimmt. Es distanziert Silva damit zu nur einem weiteren Ex-Double-O Agenten wie GoldenEyes Alec Trevelyan, bei dem irgendwann die Treue futsch war, als woanders mehr Geld und Annehmlichkeiten lockten. Mehr und mehr werden dann die Parallelen zu einem anderen Film auffällig: Nolan’s Batmanreihe. Die Regisseur Mendes als großen Einfluss für Skyfall nennt – welch Wunder:

– Silva ist etwas feminin, sehr theatralisch, wirkt weich obwohl er sehr grausam ist, und hat großen Spaß an dem, was er macht
– wie der Joker hat er eine schwere Gesichtsverletzung
– wie der Joker lässt er sich bei einer Polizeiaktion extra fangen, um dann mit Hilfe von Explosionen aus einem schier unausbrechbarem Gefängnis zu fliehen
– wie der Joker greift er eine Polizeiaktion an und flieht in Copuniform
– wie Batman ist Bond Waise und hat einen alten Mann, der das Herrenhaus seiner Eltern pflegt und sich um versteckte Waffen und Geheimtunnel kümmert
– wie der Joker attackiert Silva mit schwerem Geschoss (Kampfhubschrauber statt Raketenwerfer) ein gepanzertes Versteck (Herrenhaus statt SWAT Bully), in dem eine dritte verzweifelt zu beschützende Person (M statt Dent) hockt – was letztendlich nur Falle des Helden ist, den Bösen aus der Reserve zulocken
– wie in Batman Begins besucht der Bösewicht im Finale das Elternhaus, um es dem Helden dann abzufackeln
– in Skyfall und The Dark Knight Rises wird der Held als tot vermutet und kehrt zurück; wie Batman muss auch Bond eine Prüfung bestehen, um wieder aufzutauchen
– sowohl in Rises als auch Skyfall gibt es eine prägnante Szene auf dem Eis
– in Rises und Skyfall sagen jeweils Charaktere, dass ein Sturm aufzieht
– wie Lucius Fox arbeitet Q an einem großen Bildschirm, an dem er mit Positionen arbeitet
– wie in The Dark Knight stellt der Böse dem Helden eine unlösbare Aufgabe, ein unschaffbares Spiel, bei dem eine Frau stirbt
– wie Batman stellt sich auch Bond über die Dächer „seiner“ Stadt, als Zeichen, dass er über sie wacht

Das soll nicht heißen, dass Mendes Nolan bewusst nachgemacht, oder kopiert hat, was auch egal wäre, da Skyfall an sich ein toller Film geworden ist. Es ist nur sehr amüsant, diese Ähnlichkeiten zu sehen.

Fazit:
Äußerst elegant und spannend, toll besetzt und abwechslungsreich, ist Skyfall ein vortrefflicher neuer Bond: anschauen.

8 / 10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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