Treasure Tuesday Spezialkritik: „Feuerwerk am helllichten Tage“

16. März 2021, Christian Westhus

Eiskalter und spannender Noir-Thriller aus China, prämiert mit dem Goldenen Bären. „Feuerwerk am helllichten Tage“ (2014), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Weltkino Filmverleih

Was ist das für ein Film?
Dieser chinesische Neo-Noir erhielt auf der Berlinale 2014 den Goldenen Bären, den Hauptpreis. Ein eisiger Thriller, der Gesellschaftsporträt gleichermaßen ist. In einer industriell geprägten Kleinstadt im Norden Chinas werden Leichenteile gefunden, entsorgt auf den gewaltigen Kohle-Transportwegen zwischen Abbau und Schienenverkehr. Der Versuch, einen Verdächtigen zu stellen, geht für Ermittler Zhang Zili gehörig schief. Noch einige Jahre später verfolgt ihn dieser verpatzte Einsatz, der ihm den Job gekostet hat. Eigentlich ist er also kein Polizist mehr, doch er ermittelt weiter, als irgendwann erneut Leichenteile gefunden werden. So gerät Zhang an die junge Frau Wu Zhizhen, die in einem Kleiderreinigungsshop arbeitet und offenbar mit mehreren Opfern in Kontakt stand. Zhang spielt das Spiel weiter, nähert sich Frau Wu an, bleibt trotz drohender Gefahr in ihrer Nähe, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen.

Warum sollte mich das interessieren?
China generell und das chinesische Kino sind gleichermaßen spannend und doch auch oft schwer greifbar. Die Tradition abgehobener Kampfkunstfilme, gewaltiger Historienepen und beinharter Actionthriller macht das Kino-Image des Reichs der Mitte aus, bis man überlegt, dass ein Großteil dieser Filme aus Hongkong stammt und der Fall Hongkong mächtig kompliziert ist. Der neuzeitliche Gigantomanismus der Außen- und Selbstdarstellung kreiert ein ganz eigenes Image, einhergehend mit Kritik, Warnungen und Vorurteilen zu dieser Darstellung. All dies wird sich – mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt – hintergründig abspielen, wenn man sich an einen Film wie „Feuerwerk am helllichten Tage“ wagt. Diao Yinans Thriller verblüfft aus mehreren Gründen, aber nicht zuletzt auch, da man einen derart stilsicheren und unterschwellig bissigen Thriller eigentlich nicht erwartet. Es ist ein Film, der sich US-amerikanische Genre-Versatzstücke zu Eigen macht, diese weiterspinnt und in gänzlich eigene Richtungen lenkt. Ein Großteil der amerikanischen Film Noir Klassiker entstand zu Zeiten des Hays Codes, platzierten ihre teils scharfen und direkten Gesellschaftsporträts unter der Zensuraufsicht der Behörden. So ähnlich – lässt sich vermuten – erging es auch Diao Yinan, der aus einer neuen Generation und anderen Kultur noch weiter geht als die Geschichtenerzähler der schwarzen Serie.

Obwohl auf vertrauten Genrewegen wandelnd, wird schnell deutlich, welch eigen- und einzigartiges Süppchen hier gekocht wird. Die Stimmung ist unterkühlt, nicht nur aufgrund des einsetzenden Winters und der Bedeutung von öffentlichem Schlittschuhlaufen. Elegant bebildert und geduldig – aber niemals langweilig – erzählt, baut sich eine greifbare Spannung auf. Dabei ist Regisseur Diao noch stärker an seinen komplexen Figuren, dem Innenleben und den komplizierten Hintergründen interessiert. Das großartige Hauptdarstellerduo lotet die feinen Spitzen dieser Figuren gekonnt aus, auch inklusive des leisen und oft absurden Humors, der durch diesen eiskalten und pechschwarzen Thriller zieht. Ermittlungen und Auflösung dieses Mordfalls sind schon faszinierend genug, doch die Dimensionen dahinter heben „Feuerwerk am helllichten Tage“ weit über die durchschnittliche Genrekonkurrenz hinaus, egal ob aus China, den USA oder vielleicht Schweden.

Dieser Film ist als DVD/BD und fast überall als VOD erhältlich. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung zudem bei Arthousecnma.de im Abo verfügbar.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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