BG Kritik: „Mudbound“

18. November 2017, Christian Westhus

Neu bei Netflix: Irgendwo im schlammigen Nirgendwo von Mississippi: Zwei Familien, eine weiß, die andere Schwarz, leben als Bauern nah beieinander. Als die USA in den 2. Weltkrieg eintreten, macht sich je ein junger Mann auf, um fernab der Familie Europa und den Rest der Welt zu befreien, während in der abgelegenen Heimat noch immer nackter Rassismus vorherrscht.

Mudbound
(USA 2017)
Regie: Dee Rees
Darsteller: Jason Mitchell, Garrett Hedlund, Jason Clarke, Carey Mulligan, Mary J. Blige, Rob Morgan, Jonathan Banks u.a.
Veröffentlichung Deutschland: 17. November 2017 (Netflix)

12 Years a Neighbor. – Henry McAllan (Jason Clarke) hat einen Traum. Er will Land besitzen, eine Farm darauf, eine Familie gründen; kurzum: unabhängig sein. Als sich die Gelegenheit ergibt, zieht er mit Frau, Töchtern und Vater aufs entlegene Land in Mississippi, wo McAllans naiver Pragmatismus schnell an der harschen Realität anschlägt. Statt als Gutsherr sein Land aus der Sicherheit eines stattlichen Hauses zu koordinieren, muss McAllan mit seiner Familie direkt vor Ort ins ramponierte Farmhaus ziehen; das so ersehnte Land eine durch ständigen Regen aufgeweichte Schlammwüste. Nur samstags, am Waschtag, fühle sie sich für wenige Augenblicke wirklich sauber, wird Henrys Frau Laura (Carey Mulligan) nach einer Weile sagen. Der uramerikanische Ansporn Henry McAllans nach Eigenständigkeit und Selbsterfüllung durch Arbeit steckt sinnbildlich und wortwörtlich im Dreck. Und so, wie der Schlamm ihrer Heimat der Familie geradezu permanent anhaftet, so haftet auch Amerikas Vergangenheit als ewiger Schandfleck an diesem so gewaltigen Land.

Es ist 1941. Einige Zeit nach dem Bürgerkrieg, doch noch vor der Civil Rights Bewegung, vor dem Ende der Segregation und sogar noch vor dem Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg. Im Radio hören die McAllans und ihre einige Kilometer entfernten nächsten Nachbarn, die Familie Jackson, vom Angriff auf Pearl Harbor. Beide Familien sehen sich als Amerikaner und zwei junge Männer sehen es als ihre Pflicht, ihr Land zu verteidigen und Europa vom NS-Schrecken zu befreien. In der amerikanischen Heimat aber gibt es sehr wohl noch Unterschiede zwischen den Familien.

© Netflix

Basierend auf Virgil Williams‘ gleichnamigen Roman entwirft der Film von Regisseurin Dee Rees ein ungewöhnliches, leider aber auch sehr vertrautes Bild der USA und der langanhaltenden Rassendiskriminierung. Es gibt den offenen Rassismus, besonders plump und widerwärtig verkörpert durch McAllans Vater Pappy („Breaking Bad“ Darsteller Jonathan Banks), doch „Mudbound“ ist immer dann am stärksten und interessantesten, wenn Nuancen und Abstufungen untersucht werden. Für Hap Jackson (Rob Morgan) und seine Familie ist jede Äußerung aus Henry McAllans Mund eine Drohung oder ein Befehl. Kommt McAllan mit der Bitte um Hilfe beim Entladen von Möbeln an, wagt Hap nicht zu verneinen. Bietet McAllan den Jacksons einen Esel als entgeltlich geliehenes Nutztier an, kann Hap nur dankend annehmen. McAllan selbst fehlt das hasserfüllte Kalkül, um ihm bewusste Ausnutzung und Unterdrückung vorzuwerfen, doch Henry hat die Gesetzmäßigkeiten aus Generationen der Sklaverei, Segregation und Rassismus verinnerlicht. Er realisiert seine privilegierte Position gar nicht, folgt nur seinem Instinkt, der ihn ohne nachzudenken veranlasst, seine schwer arbeitenden Nachbarn um Hilfeleistungen zu bitten und davon auszugehen, dass sie dem folgeleisten.

Hap Jacksons ältester Sohn Ronsel spürt diesen Status Quo der Generationen auch im Krieg in Europa, wo er mit einem Panzertrupp unterwegs ist. Doch die Europäer selbst, insbesondere die „weißen Frauen“ in den bald befreiten Frankreich, Belgien und Deutschland, empfangen Ronsel mit Blumen und enthemmter Freundlichkeit. „Drüben war ich ein Befreier“, erinnert sich Ronsel nach Kriegsende, zurück in der amerikanischen Heimat, in der er den Supermarkt durch die Hintertür betreten und verlassen muss, in der er nicht mit einem Weißen vorne im Auto mitfahren darf. Ronsel und Jamie McAllan (Garrett Hedlund), Henrys jüngerer Bruder, haben durch den Krieg eine Verbindung. Beide traumatisiert, durch die verlogene Heimat desillusioniert, finden in Alkohol, Zigaretten und Gesprächen eine bald freundschaftlich anmutende Verbindung.
All diese Facetten entwickelt Dee Rees zu einem faszinierenden, gleichermaßen emotionalen und schockierenden Blick zurück, der – wie so oft – auch von der Gegenwart spricht. Seine literarische Herkunft kann „Mudbound“ nie verstecken; die Erzählung gleichermaßen episch, weitreichend und doch intim. Im steten Wechsel treten gleich mehrere Figuren als Voice Over Erzähler hervor, geben wahlweise lyrischen oder schonungslos direkten Einblick in ein Innenleben hinter oft verschlossenen Mienen. Es sind insbesondere die Darsteller, die diesen zuweilen übereifrigen Film erden und dadurch so mitreißend machen. Der Schlamm der Vergangenheit lässt sich nur schwer abwaschen, doch am Ende ist „Mudbound“ nicht ohne Hoffnung.

Fazit:
Stark gespieltes und facettenreiches Drama, packend inszeniert, wenn auch die literarische Herkunft noch mehr suggeriert als Dee Rees‘ sehenswerter Film liefern kann.

7/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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