BG Kritik: „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ („Don’t look now!“)

11. Juli 2018, Christian Westhus

Venedig sehen … und sterben? Der Horrordrama-Klassiker mit Donald Sutherland und Julie Christie: Nach dem Tod der gemeinsamen Tochter zieht es John und Laura Baxter nach Venedig, wo John die Restauration einer alten Kirche organisiert und überwacht. Die Stadt wird gerade von einer Mordserie überschattet und dann trifft Laura auf zwei Frauen, von denen eine ein Medium ist, welches die Anwesenheit der Tochter spürt.

Wenn die Gondeln Trauer tragen
(Originaltitel: Don’t Look Now! | UK, Italien 1973)
Regie: Nicolas Roeg
Darsteller: Donald Sutherland, Julie Christie
Kinostart Deutschland: 29. August 1974 (Westdeutschland)

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im März 2015.)

Romanautorin Daphne Du Maurier schrieb die Vorlage zu Alfred Hitchcocks Meisterwerk „Rebecca“, zu seinem Klassiker „Die Vögel“ und zu diesem bis heute gleichermaßen faszinierenden wie rätselhaften Horrordrama von Nicolas Roeg. Insbesondere im Vergleich mit „Rebecca“ zeigt sich die Kombination aus Horror- und Thrillerelementen mit mal größeren, mal kleineren Ideen aus Melodrama und psychologischer Charakterstudie. Du Maurier lässt ihre existentielle Dramen wie Schauermäre klingen, was einem extravaganten Filmemacher wie Roeg, der abstrakte Filmkunstwerke wie „Walkabout“ und den David Bowie Klassiker „Der Mann, der vom Himmel fiel“ inszenierte, natürlich sehr entgegen kommt.

Roeg beginnt den Film mit einem Selbstbewusstsein, das man auch für Dreistigkeit halten kann. Niemand schneidet und montiert Filme so wie Roeg, der den Tod des kleinen Mädchens zu einem unaufhaltsamen Dominoeffekt eigentlich unabhängiger Bilder und Geräusche macht. Nach einem Schrei, der uns durch Mark und Bein geht, ehe er von einem Schnitt zerfetzt wird, springen wir schon nach Venedig, wo das Ehepaar Baxter den Neuanfang umzusetzen versucht. Restaurateur John kann sich eigentlich voll und ganz auf seine Arbeit konzentrieren, doch John ist ein Mann mit gewissen Instinkten und Ahnungen, auch wenn er sich das nicht eingestehen will. Es ist Laura, die diese Instinkte gerne hätte, die sofort sehnsüchtig darauf anspringt, als zwei ihr fremde Frauen Linderung für die trauernde Mutter offerieren. In der jahrhundertealten Stadt der Brücken und Kanäle findet man Symbole und Hinweise an jeder Ecke. Doch nicht allen davon sollte man nachgehen.

© Arthaus

Es ist so erstaunlich wie auch großartig zu sehen, wie wenig Nicolas Roeg darauf gibt einen echten Horrorfilm zu drehen. „Don’t Look Now!“, so der in seiner warnenden Direktheit effektiv-ungewöhnliche Originaltitel, ist ein zuweilen surreales Drama über Trauer und Schuldkomplexe, und darüber, welche klaffenden Löcher ein Unglück wie der Kindstod, mit dem dieser Film beginnt, aufreißen kann. So wird die Präsenz einer gewissen Gestalt, von der man bis kurz vor dem Ende nicht mit Sicherheit sagen kann, ob sie real ist, zu mehr als einer Metapher unverarbeiteter Trauer. Ein gebrochener Mensch verarbeitet sein Trauma auf vielfältige, unterschiedliche Weise. Die Baxters suchen nach Symbolen, öffnen sich dem Glauben, hoffen auf das Übersinnliche, aber einander sind John und Laura fremd geworden.

Donald Sutherland und Julie Christie waren große Stars zur Entstehungszeit. Beide haben eine effektive Präsenz und trotz Berühmtheit eine Natürlichkeit, die den Figuren zugutekommt. Insbesondere Christie, die früher und stärker aus sich herauskommt, hat einige Szenen von emotionaler Wucht. Doch „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ ist nicht zuletzt für zwei Momente berühmt. Es ist eine der berühmtesten Sex-Szenen der Filmgeschichte, wenn die Baxters in einem Moment der Zweisamkeit im Hotel vereint sind, während Roeg in Parallelmontage gänzlich Anderes zeigt. Nicht nur die ungewöhnliche Präsentation macht diese Szene besonders, sondern auch die relative Offenheit zweier weltberühmter Stars, die damals nicht miteinander liiert waren. Es ist, ganz natürlich und doch nicht selbstverständlich, das berühmte Ende, welches nachhaltig hängen bleibt. Es ist nicht die Überraschung eines etwaigen Twists, der uns die Schuhe auszieht, sondern abermals Nicolas Roegs Präsentation, seine einzigartige und tiefenwirksame Art der Montage aus Bild und Ton, die uns packt, wie es nicht viele Filme schaffen.

Fazit:
Einzigartiges Horrordrama-Meisterwerk. In seiner Inszenierungsart, seiner Atmosphäre, seine Handlung und seinen Figuren ein faszinierendes und spannendes Unikat der Filmgeschichte.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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