BG Kritik: „Rebecca“ (1940 | Classics Kritik)
Das Remake bzw. die Neuinterpretation der Romanvorlage ist frisch bei Netflix gelandet. Ein guter Grund also, sich die Alfred Hitchcock Version von „Rebecca“ anzuschauen, der Geschichte einer jungen Frau, die einen schwerreichen Mann heiratet, der noch immer von seiner verstorbenen ersten Frau besessen ist.
Rebecca
(USA 1940)
Regie: Alfred Hitchcock
Darsteller: Joan Fontaine, Laurence Olivier u.a.
Kinostart Deutschland: 30. Oktober 1951
Obwohl „Rebecca“ der einzige Best Picture Oscargewinner in der Karriere des legendären Alfred Hitchcock ist, gehört der Film nicht gerade zu den populärsten Werken aus dieser umfassenden Filmographie. Sicherlich, mit Ausnahme von „Psycho“ sind Hitchcocks Farbfilme zumeist beliebter als seine Schwarzweiß- und Stummfilme. Vielleicht liegt es auch an der unklaren Genredefinition, an der Erwartungshaltung, einen Film vom Meister des Suspense zu sehen, obwohl sich diese Geschichte von einer Romanze, über ein Psychodrama, bis hin zu einem Whodunit-Krimi mit Geisterhaus-Ansätzen schlängelt. Womöglich liegt es an der literarischen Vorlage, denn Hitchcocks zweite Daphne Du Maurier Adaption, „Die Vögel“ (1963), überragt diesen Film in Bekanntheit und Beliebtheit (nicht so sehr in Qualität, wie dieser Autor findet). Motive aus „Die Vögel“ sind bis heute zentral mit dem kulturellen Image Hitchcocks verknüpft, was „Rebecca“ nicht so wirklich von sich behaupten kann. Gehen wir einmal ganz subjektiv in uns, aktivieren den Begriff „Hitchcock“ und überprüfen, welche Bilder und Szenen uns zuerst erreichen. Sicherlich der berühmte Dusch-Mord aus „Psycho“. Das Flugzeug aus „Der unsichtbare Dritte“. Der berühmte „Vertigo“ Dolly-Zoom. Und kurz danach vermutlich schon der Angriff auf die Telefonzelle oder die Klettergerüst-Szene aus „Die Vögel“.
Doch „Rebecca“ braucht keine derartig ikonischen Popkultur-Szenen, um einer der besten Filme des Meisterregisseurs zu werden und zu bleiben. Der stärkste Moment dieses Films, die Szene, die man womöglich am ehesten mit dem Film verbindet und im Gedächtnis behält, zeigt zwei Personen im Closeup, einen großen Schreckensblick auf der linken Seite, und drohend wispernde Lippen auf der rechten Seite. In diesem Moment läuft alles in „Rebecca“ zusammen; das Unheimliche, das Bedrohliche, das Romantische und das Tragische. Buch und Film werfen die Empfindungen ihrer Figuren mehrfach geschickt hin und her, faszinieren auf vielfältige Weise und jenseits simpler Genreeingrenzungen.
Nach einem wilden Urlaubsflirt in Monte Carlo – nun ja, zumindest so wild, wie Urlaubsflirts aus dieser Zeit bzw. in Filmen aus dieser Zeit sein durften – heiratet unser namenlose Hauptfigur (Joan Fontaine) den älteren, schwerreichen und verwitweten Maxim de Winter (Laurence Olivier), zieht mit ihm auf dessen prächtiges und weitläufiges Landanwesen Manderley. In Manderley geht ein Geist um. Es ist vermutlich nichts wirklich Paranormales, doch das Anwesen und seine Bewohner – allen voran Maxim und Haushälterin Mrs. Danvers (Judith Andersen) – sind besessen von der verstorbenen ersten Mrs. de Winter, Rebecca. Die Erinnerungen an Rebecca, eine einst wunderschöne, kluge, selbstbewusste und einflussreiche Frau, spukt durch die Flure und Zimmer von Manderley. Die namenlose neue Mrs. de Winter, eine ohnehin schon unsichere, scheue und unerfahrene Person, wird von Rebeccas entkörperlichter Dominanz noch weiter zurückgedrängt.
Nach allen Regeln der Kunst wird unsere Protagonistin in den Wahnsinn und ins nächste Fettnäpfchen getrieben. Das heißt auch, dass Hitchcock nach allen Regeln der Kunst inszeniert und mit gestalterischer Raffinesse nicht nur eine Person lebendig werden lässt, die längst verstorben ist, sondern auch eine andere Person zur faszinierenden Hauptfigur macht, obwohl sie per Definition (noch) gar keine wirkliche Persönlichkeit besitzt. Es sind die Reaktionen der Angestellten, die passiv aggressiven Kommentare Mrs. Danvers‘, oder Maxims mal weinerliche, mal grimmige Reaktion auf eine dumme Frage. Es sind die greifbaren Hinterlassenschaften Rebeccas; ihr altes Ankleidezimmer, die Gemälde und das selbstbewusst geschwungene „R“, welches überall zu finden ist. Nach einem folgenschweren Kostümball findet der Film seinen dramatischen Höhepunkt und macht mit einer großen Offenbarung eine letzte große Wandlung durch, um im finalen Drittel das zu ernten, was die exquisiten ersten beiden Drittel gesät und vorbereitet haben.
Dass all dies gelingt, ist nicht zuletzt auch ein Verdienst der Darsteller, die bis in die kleinste Nebenrolle das passende Gesicht tragen. Natürlich war das damalige Hollywood-Schauspiel ein wenig anders als heute, weniger realistisch, weniger persönlich. Doch die leichte Theatralik im Spiel der Darsteller, üblich für das klassische Hollywood der 1930er und 40er, kommt dieser Geschichte zusätzlich zugute. Diesen Eindruck verkörpert insbesondere die großartige Joan Fontaine, die nur ein Jahr nach „Rebecca“ für Hitchcocks „Verdacht“ ihren einzigen Schauspieloscar erhalten sollte. Fontaines neue Mrs. de Winter ist ein hinreißend verhuschtes, schusseliges und zunehmend irritiertes „Ding“, in dem doch ein spürbares Herz und ein authentisches Begehren stecken. Damit ist sie die perfekte Ergänzung zu Laurence Oliviers Maxim de Winter, der im Vergleich zur Vorlage ein paar weichere Kanten erhält, in seiner schroffen bis tragischen Verletzlichkeit aber dennoch fasziniert. Es war Maxim, der die Vorgänge dieses Films in Bewegung brachte und seine eigene, nur subtil umschriebene Motivation dafür hatte. Nicht zuletzt hier liegt die Faszination dieses Films, der weder eine simple „Gothic Romance“, noch ein Spukschloss-Schauermär oder ein echter Krimi ist. Aus diesen Facetten und aus erstaunlich komplexen Figuren wird ein größeres Ganzes geschaffen, das auch heute noch sehenswert ist.
Fazit:
Einer der unterschätztesten Filme in Alfred Hitchcocks meisterhafter Karriere. Zu gleichen Teilen spannend, psychologisch komplex und emotional mitreißend, verkörpert von perfekten Darstellern.
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