BG Kritik: „Wer ist Hanna?“
Hanna (Saoirse Ronan) wird von ihrem Vater (Eric Bana) fernab der Zivilisation aufgezogen und zur Kämpferin und Killerin ausgebildet. Als sie sich, kaum 16 Jahre alt, für ihren Lebensauftrag bereit glaubt, beginnt ihre Mission. Sie will die Sondereinheit von Agenten ausschalten, vor denen sich ihr Vater versteckt hielt und die er mit seiner Tochter als Waffe beseitigen will. Auf ihrer Jagd und Flucht entdeckt Hanna die Welt, die für sie bisher hinter den Wäldern im Verborgenen lag.
Wer ist Hanna?
(Originaltitel: Hanna | USA, UK, Deutschland 2011)
Regie: Joe Wright
Darsteller: Saoirse Ronan, Eric Bana, Cate Blanchett
Kinostart Deutschland: 26. Mai 2011
(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart des Films im Mai 2011.)
Hanna wohnt im Wald. Dort ist es finster und auch so bitterkalt. Mit ihrem Vater lebt das junge Mädchen in einem kleinen Häuschen und macht den lieben langen Tag nichts weiter, als zu jagen, zu trainieren, Sprachen zu lernen und weiter zu trainieren, wenn sie nicht gerade Grimms Märchen liest. Joe Wrights ungewöhnliches Thriller-Drama etabliert früh und direkt sein Hauptmotiv, die Grimm’sche Märchenwelt, die sich wie ein roter Faden und kontinuierlich deutlicher werdend durch den Film zieht. Nach dem gefeierten „Abbitte“ und dem verschmähten Drama „The Soloist“ betritt Wright hier neues Terrain. Es ist eine krude Mischung, die eigentlich nicht funktionieren dürfte. Ein Genre- und Stimmungsdurcheinander, das mal donnernd und brutal, mal sanft und zerbrechlich daherkommt und einen großartigen Gesamtfilm ergibt.
Das Mädchen aus dem Wald erkundet die Welt. Im Wald machen sich Pubertät und Jugenddrang breit und so wird der Plan des Vaters in Angriff genommen. Ein Verständnis von der Welt hinter den sieben Bergen hat Hanna nur in der Theorie. Für sie gilt die Maxime ‚Töten oder getötet werden’, denn erzogen als wandelnde Waffe kennt sie nur das Gesetz der angeblichen Natur. Der Stärkere überlebt und Gefahr gilt es zu beseitigen. Kaum verwunderlich also, wenngleich natürlich nicht weniger schockierend, das kaltblütige und präzise Vorgehen der weißblonden 16-Jährigen, die, von einer mechanischen Zielstrebigkeit getrieben, rennt, tötet und weiter rennt. Hanna ist zunächst kein Charakter, sie ist eine Idee und eine Methode. Dass man die menschliche Natur nicht folgenlos domestizieren und konditionieren kann, wird auf Hannas Solo-Trip durch die Welt schnell deutlich. Aus den eisigen Höhen Finnlands und von Nordafrika über Spanien und Frankreich bis nach Berlin geht ihre Reise, die eine Entwicklungsreise darstellt. Hier beginnt der märchenhafte Reigen, ganz passend in der quasi-orientalen Pracht Marokkos. Nach Berlin getrieben folgt sie einer amerikanischen Familie bis weit aufs europäische Festland und erhält staunend Einblick in die sagen- und mythenreiche Zivilisation, darunter Musik, Elektrizität und Jungs. Aber auch die Freundschaft mit einer frühreifen kleinen Göre als Türöffner in unerforschtes Gebiet. Ein Mädchen aus der anderen Welt, welches Hannas Kulturschock durch Überstilisierung erst so richtig griffig macht.
Die sensible, von schrägem Witz und inszenatorischem Einfallsreichtum geprägte Coming-of-Age Story, mit ihren Adoleszenz- und Welterkundungsthemen, wird immer wieder von der schillernd präsentierten Bedrohung unterbrochen. Da gibt Tom Hollander ganz großartig den nicht näher charakterisierten Handlanger, den Auftragsmörder, den Jäger. Boshaft und unergründlich, dabei so zielstrebig und kaltblütig wie all die anderen professionellen Mörder, die wir in diesem Film abseits der Hippie-Familie kennen lernen. Seth Lochheads Script lässt Themen und Ideen gegeneinander antreten. Man könnte auch von Stereotypen sprechen, aber dafür funktioniert es zu gut. Regisseur Wright und ein ungeheuer talentiertes Darstellerensemble geben überdurchschnittlicher Genreware besondere Klasse und Prägnanz. Speziell die Märchenaura hüllt die facettenreiche Jugendgeschichte in einen eigentümlichen Glanz. Da hat besonders Cate Blanchett sichtbar Freude dran, die wahlweise als Hexe, Stiefmutter und böser Wolf auftritt, dabei natürlich auch die Beißerchen immer schön pflegt. Geradezu gigantisch in seiner symbolischen Konsequenz das Finale im Spreepark, einem stillgelegten und zunehmend verwahrlosten Freizeitpark an der Spree, als es durchs Lebkuchenhaus bis zum Wolfskopf geht. Da ist Eric Bana inzwischen zum Stichwortgeber reduziert. Die Hintergrundstory, die Motive und Erklärung zusammenhält, ist ein nötiges Allerlei aus bekannten Versatzstücken. Wichtiger ist das Jetzt und da räumt Hanna weiterhin auf und stolpert ungehindert in die unerfreuliche Erkenntnis ihrer eigenen Existenz.
Und Saoirse Ronan kann mit ihren 16 Jahren mühelos dieses ungewöhnliche Action-Thriller-Märchen-Drama tragen. Nicht mehr nur für ihre Altersklasse muss man die junge Irin mittlerweile als überragendes Talent bezeichnen, die eine unglaubliche Präsenz hat und den vielschichtigen Kosmos ihrer Figur jederzeit greifbar macht. Die brutale Kälte und Präzision, wie auch die kindliche Sensibilität und die gierige Faszination fürs Neue im unbekannten Märchenland. Dass sie auch in den ausreichend dosierten Actionszenen zu überzeugen weiß, darf sie mehrfach unter Beweis stellen. Wrights Stil ist körperlicher geworden, kühler, aber noch immer beeindruckend. Besonders mit der beweglichen Kamera vollführt er Wunderdinge, was die immer mal wieder kurz, knackig und hart aufblitzenden Actionszenen betrifft. Es ist ein zielstrebiges Vorgehen der Gewalt und der Gewalttäter. Die Choreographie erinnert an Jason Bourne, nur weniger hysterisch und wirr in der Umsetzung. Das Actionhighlight gehört dann, bei all der überzeugenden körperlichen Arbeit Ronans, Eric Bana, denn plötzlich haut Wright mit seinem Kamerateam um Steadicam-Meister Tilmann Büttner mal eben eine Actionszene zum Niederknien raus. Ein brutales und effizientes Scharmützel in einer U-Bahn Halle, eingefangen in einem einzigen Take. Das ist dann doch typisch Wright. Eine Wucht, gerade weil es so realistisch und knackekurz ist. Umso nützlicher der elektronische Action-Disco Score der Chemical Brothers, der sich mit zunehmender Spieldauer immer prominenter mit Bass und elektronischem Geschwurbel in den Vordergrund spielt. Nach Trent Reznor und Daft Punkt beweisen auch die „Brüder“, dass ambitionierte Filmmusik auch aus dem Popmusik-Bereich kommen kann. Und dass sich eine wiederkehrende Jahrmarktmelodie zum „Twisted Nerve“ des 21. Jahrhunderts aufspielen könnte, unterstreicht die kongeniale Synthese aus Bild und Ton.
Fazit:
Ein ungewöhnlicher Actionthriller in Gestalt eines Jugenddramas, in Gestalt einer Märchenallegorie, in Gestalt eines Actionthrillers. Ein kreativer Film mit Köpfchen, der gleichermaßen unterhaltsam wie mitreißend ist.
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