BG Kritik: „Free Guy“ (Disney+)

2. Oktober 2021, Christian Mester

Guy (Ryan Reynolds) lebt ein beschauliches Leben in einer Großstadt, arbeitet als Bankangestellter und denkt sich nichts dabei, dass er täglich mehrfach überfallen wird. Oder dass überall mysteriöse Leute mit Sonnenbrillen herumlaufen, die seltsame Outfits tragen, mit allen möglichen Waffen um sich schießen und sich an keine Regeln halten. Was er nicht weiß: er ist ein NPC, ein Hintergrundcharakter in „Free City“, einem Multiplayer-Game a la GTA Online… doch alles ändert sich, als er eine bestimmte Spielerin namens Trinity Molotovgirl (Jodie Comer) trifft.

Regie: Shawn Levy
Cast: Ryan Reynolds, Jodie Comer, Taika Waititi

© 20th Century Studios – Screenshot aus offiziellem Trailer https://www.youtube.com/watch?v=JORN2hkXLyM

Kritik:
Onlinegames wie die Battlefield oder Call of Duty Reihen, World of WarCraft, Runescape, GTA Online, Guild Wars 2 oder Destiny 2 sind mittlerweile so beliebt und geläufig, dass es eigentlich ein Wunder ist, dass sich erst wenige Filme mit dem Thema befasst haben. Der prominenteste davon war sicherlich Steven Spielbergs „Ready Player One“ (tatsächlich steckt mit Zak Penn der gleiche Drehbuchautor hinter beiden Scripts), allerdings zeigte der wiederum ein Zukunftsbild mit noch nicht existierender hyperrealistischer VR. „Free Guy“ ist da wesentlich gegenwärtiger und nahbarer. Das ungefähre Filmkonzept? „Die Truman Show“ meets John Carpenters „Sie leben“ in einem Videospiel voller Explosionen.

Anfangs funktioniert das, wenn sich Reynolds mit seiner typischen fröhlich-naiven Art durch die Spielwelt lächelt und völligen Irrsinn als Normalität vorstellt, und dann ganz nach dem Carpenter-Klassiker via Aufsetzen einer Brille beginnt, die eigentliche Welt um ihn herum zu erkennen – auch wenn es dafür keine so ikonische Prügelei gibt wie zwischen Rowdy Roddy Piper und Keith David. Plötzlich kann er wie Neo Einfluss auf die Spielwelt nehmen und beispielsweise Healthpacks für menschliche Spieler nehmen, endlich mehr In-game Geld verdienen und dann auch nach und nach andere Spielfiguren aufklären, was dem eigentlichen Spielentwickler in der realen Welt natürlich auf den Keks geht. Als Antagonist agiert Taiki Waititi (eigentlich hauptsächlich Regisseur von Filmen wie „Jojo Rabbit“ und „Thor 3“) als klischeebeladener Gamestudioboss, der alles löschen will, damit alle Spieler auf das teure Nachfolgespiel wechseln müssen und praktischerweise auch keiner herausfinden kann, dass er die Spielinhalte inklusive Guys revolutionärer künstlicher Intelligenz von zwei jungen Entwicklern geklaut hat. Als Bösewicht ist er also gleichzeitig Gegner von Guy, den ‚lebenden‘ NPCs in Free City, den beiden ursprünglichen Entwicklern und von allen Spielern außerhalb.

Letzten Endes macht der Film leider nicht viel aus der Idee. Einiges ist wohl ganz witzig, etwa wenn Reynolds auf eine etwas andere Kopie stößt oder kurz zum Marvel Universum gegriffen wird, aber der Großteil der Gags fällt doch eher flach aus und erinnert an andere Shawn Levys wie die „Nachts im Museum“ Trilogie oder dem unsäglich mauen „Prakti.com“, in dem Vince Vaughn und Owen Wilson Mitvierziger-Praktikanten bei Facebook spielten. Die Free City NPCs sind leider alles belanglose Stereotypen und die Darsteller der Menschen außerhalb des Games (Waititi, Jodie Comer, Joe Kerry) mögen zwar an sich alle sympathisch sein, haben aber belanglose, eindimensionale Charaktere, deren Verlauf und etwaige Romanzen gänzlich kalt und belanglos bleiben. Dass es trotz Gamewelt relativ wenig Gameverweise gibt und viele Chancen ungenutzt bleiben, lässt auch vermuten, dass die Taktgeber hinter allem nicht wirklich Gamer oder Gameenthusiasten sind, und das hier lediglich als Produkt sehen, nicht als liebevollen Tribut an eine ganze Medienwelt. Erinnert sich noch wer an die „Call of Duty“ Werbespots mit Jonah Hill und Sam Worthington? So ungefähr wirkt „Free Guy“ in Spielfilmlänge.

Enttäuschend ist vor allem die Action, denn die ist insgesamt zwar laut und ständig präsent, wirkt aber ständig substanzlos, wie ein zufälliger Gametrailer. Ein Problem liegt hier ganz klar darin, dass Guy zu Beginn unsterblich ist und am laufenden Band Soldatentrupps, Kampfroboter, Hubschrauber und Panzer um ihn herum kämpfen und explodieren. Wenn ihm dann was passiert, ist es nicht schlimm, und anders als Truman in „Truman Show“ wächst er einem im Laufe des Films leider nicht wirklich ans Herz, sodass man dann später für ihn sein könnte, wenn es mal wirklich um sein Pixelleben geht. Für den späteren Verlauf fällt den Machern dann auch nichts Nennenswertes mehr ein, vergleicht man etwa mit dem „Ready Player One“ Showdown mit Mechagodzilla oder dem „Tron“ Motorradrennen. Auch schwebt über allem das ständige Fragezeichen, wieso der Studioboss wirklich nicht die Fähigkeit haben soll, Guy oder andere Querulanten einfach per Knopfdruck zu löschen. Das Spiel an sich ist schließlich keineswegs so komplex und gewaltig wie etwa die Matrix.

Natürlich will „Free Guy“ nur eine sanfte Komödie sein, versucht sich dann aber sogar dezent an einem gesellschaftskritischen Kommentar, indem Guy hinterfragt, wieso es in Spielen nonstop Gewalt geben muss. Tatsächlich wird er laut Film ruckzuck zur weltberühmten Ikone, eben weil er als scheinbar einziger Charakter in einem Spiel anderen hilft, anstatt alles und jeden egoistisch niederzumähen und sich allen Loot zu nehmen. Auch besiegt er den finalen Gegner nicht durch besondere Kampffähigkeiten. In anderen Konstrukten wäre die Frage sicherlich eine Diskussion wert, allerdings ist hier mit „Deadpool“ Star Ryan Reynolds zum einen wirklich das allerletzte Avatar-Gesicht gewählt, das sich vorbildlich für Pazifismus einsetzen sollte, andererseits wird völlig außer Acht gelassen, dass es neben Actionshootern auch noch schier unendlich andere Gamegenres gibt, von Tierbabyaufzucht bis hin zum schnöden Bauernhof-Simulator, die Pazifismus in unterschiedlichster Form ausleben und zelebrieren. Co-Darstellerin Jodie Comer wirft dann sogar noch ein, dass Waffengewalt „in unserer Welt“ immer noch ein großes Problem sei. Auch hier – im Prinzip löbliche Aussage, aber gerade in diesem Film und dieser Filmart völlig unangebracht und zwecklos; man hört die Grillen der Moral zirpen und den einsamen Strohball des Interesses vorbeiwehen.

Fazit:
Wer die Dwayne Johnson „Jumanjis“ und „Pixels“ mochte, wird hier sicher ähnlichen Spaß haben. Reynolds‘ Version einer GTA Online Gameverfilmung ist bunt, temporeich und hier und da mal fraglos heiter bis spaßig………………. aber so wirklich originelle Ideen, denkwürdige Action oder ein zeitloses Geek-Kalauerfest a la „The Lego Movie“ sucht man hier ebenso vergebens wie tatsächliche Gameliebe.

4/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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