Treasure Tuesday Spezialkritik: American Animals (2018)

21. April 2020, Christian Westhus

Bleiben wir vorsichtig und bleiben wir zu Hause … um Filme zu gucken. Zum Beispiel einen der ausgewählten Schätze, die wir wöchentlich beim Treasure Tuesday vorstellen. Vergessene Filme, unterschätzte Filme, alte Filme, fremdsprachige Filme. Filme, die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht. Heute geht es um einen modernen Hybriden aus True Crime Doku und „Basierend auf wahren Begebenheiten“ Krimidrama, „American Animals“.

© Film4, Ascot Elite

American Animals
(USA 2018)
Regie: Bart Layton
Darsteller: Barry Keoghan, Evan Peters, Blake Jenner, Jared Abrahamson

Was ist das für ein Film?
Die wahre Geschichte, wie im Jahre 2004 vier junge Männer, überwiegend Studenten, das wertvollste Buch der Vereinigten Staaten aus der Uni-Bibliothek in Lexington, Kentucky zu stehlen versuchen. Der junge Spencer (Barry Keoghan aus „The Killing of a Sacred Deer“) entdeckt John James Audubons „The Birds of America“ in der Sondersektion der Bibliothek und ist sofort fasziniert. Es ist nicht sofort die Idee eines Raubes, aber vielleicht, ja, irgendwie doch. Es ist mehr eine Schnapsidee, die Spencer mit Kumpel Warren (Evan „Quicksilver“ Peters) durchspricht und die dazu führt, dass beide bald ernsthafte Pläne zum großen Diebeszug angehen. Sie überwachen die Örtlichkeiten, fertigen Raumskizzen an, organisieren Durchführung und nehmen sogar Kontakt mit einem internationalen Abnehmer für wertvolles Diebesgut auf. Wessen Idee war das noch gleich?

Diese Frage stellen sich auch die heutigen realen Spencer und Warren, sowie ihre beiden Komplizen. Denn dieser Film ist in Teilen auch eine Dokumentation, die die realen Beteiligten zu Wort kommen lässt. Bei einigen der Beteiligten besteht die Sorge, jemandem beim Raub körperlich zu schaden, explizit z.B. die Bibliothekarin (Ann Dowd), die als Einzige Zugang zum abgeriegelten Raum besitzt. Durch andere Köpfe angehender Diebe geht die Frage, wann man diesem Spuk endlich ein Ende setzt, wann man erkennt, dass man einen Spaß, eine Schnapsidee weit genug getrieben hat. Und überhaupt umgibt die ganze Aktion ab einem gewissen Punkt eine Ausweglosigkeit. Man hat das Spiel so weit getrieben, scheint der Gedanke, also muss man es auch wider besseres Wissen durchziehen. Und die Präsentation des Films verrät schon: diese Jungs werden früher oder später geschnappt, verbringen nicht ihr Ende aus „Die Verurteilten“ an einem schönen Strand, wie es ihnen in einem Dialog vorschwebt. Der Zuschauer weiß es und mindestens die Hälfte der Jungs scheint zu ahnen, dass ihnen diese Sache zum Verhängnis wird. Doch weder können sie klar und deutlich Nein sagen und aussteigen, noch können wir unseren Blick von dieser Geschichte abwenden.

Warum sollte mich das interessieren?
„This is not based on a true story“ heißt es schriftlich zu Beginn des Films. Durch einen visuellen Trick wird daraus „This is a true story“. Der zweite Film von Dokumentarfilmer Bart Layton („The Impostor“) verbindet dokumentarische Interviewszenen mit den realen Beteiligten und fügt diese in eine ausgedehnte Spielhandlung ein. „Szenen nachgestellt“, wie es heißt. „American Animals“ ist der spannende und endlos faszinierende Mittelweg aus True Crime Dokus und „Basierend auf wahren Begebenheiten“ Filmen wie z.B. „The Bling Ring“. Und womöglich sollten mehr Filme diesen Weg erforschen, der in diesem Falle ein „Das Beste aus beiden Welten“ Erfolg ist.

Durch den Einfluss der realen Figuren erhält „American Animals“ eine ganz besondere Art der Wahrhaftigkeit. Die vier heutigen Männer sind sich in ihren Beschreibungen nicht immer einig. So entstehen „Rashomon“-artige Widersprüche. Wo genau fand dieses folgenschwere erste Gespräch über das Buch statt? Hatte der Mann einen blauen oder einen violetten Schal? War es vielleicht ein ganz anderer Mann? Und wessen Idee war das alles? Layton setzt diese Widersprüche erfrischend clever um, lässt die realen Personen hin und wieder Teil der nachgestellten Welt werden. Doch Layton schöpft auch endlose Details und faszinierende Beobachtungen aus diesen Grauzonen. Es ist die Subjektivität von Realität, von Erinnerung, doch es sind auch Widersprüche der Wahrheit, der juristischen Wahrheit. Wir sehen ganz direkt und unvermittelt, wie die Spielhandlung zum formbaren Gegenstand in den „Händen“ der heutigen Männer wird. Ob dies aus Selbstschutz, Selbstgeißelung oder schlicht aus falscher Erinnerung passiert, bleibt offen und damit dem Zuschauer selbst überlassen.

Es gibt keine einfachen Antworten auf die Frage, warum sich die vier Jungs zu diesem Raub entschlossen und ihn durchzogen. Noch heute scheinen die nun erwachsenen Männer größtenteils verwirrt und enttäuscht von ihrem jüngeren Selbst. Und doch gelingt es dem Film, eine Umgebung und Gedankenwelt vage genug anzureißen, dass sich diese absurde Idee für einen Moment nachvollziehbar anfühlt. Dies gelingt, ohne die Taten verlockend und anziehend zu machen. Was fraglos verlockend wirkt ist das verstärkte Miteinander von Spencer und Wallace, die zusammen den Anstoß gaben, sich gegenseitig pushten, doch die Tat selbst, wenn es sich dann abspielt, ist in seiner unmissverständlichen Enttäuschung und dem daraus resultierenden Chaos eine willkommene Alternative zur bewusst vage und „grau“ interpretierbaren Moral eines „Bling Ring“ oder der wilden „Beide Seiten der Medaille“ Präsentation eines „Wolf of Wall Street“.

Diesen Film gibt es aktuell im Abo bei Amazon Prime zu sehen und als DVD/BD/Digital überall zu kaufen.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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