BG Kritik: „Avatar – Aufbruch nach Pandora“

14. Dezember 2009, Christian Mester

AVATAR (2010)
Regie: James Cameron
Cast: Sam Worthington, Zoe Saldana, Stephen Lang

Story:
Kriegsveteran Jake Sully (Sam Worthington) bekommt ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann. Auf einem fernen Planeten ist die Menschheit auf ein Mineralvorkommen gestoßen. Das Problem: dort lebt eine intelligente Alienrasse namens Na’Vi, deren Anwesenheit Probleme bereitet. Mit Hilfe eines künstlich geschaffenen Alienkörpers ist Jake sodann auserkoren, diplomatische Kontakte aufzubauen. Während er in die faszinierende Welt Pandoras eintaucht und Gefallen an der mutigen Neytiri (Zoe Zaldana) findet, plant das Militär insgeheim die Vernichtung der vermeintlich primitiven, wehrlosen Kultur…

Kritik:
Viele hielten den Regisseur von „Terminator“ 1,2, „Aliens“, „Titanic“, „True Lies“ und „The Abyss“ für überheblich, als er 2005 „King Kong“ sah, Peter Jackson gratulierte und dann Zähne knirschend befand, dass die aufwendigen Effekte des 200 Millionen Dollar teuren Remakes für sein „Avatar“ nicht ausreichend würden. Während der Rest der Welt nachfolgend über Davy Jones und Transformers staunte, feilte Cameron stillschweigend an neuen Technologien, die nie da gewesenes realisieren sollten. Die Mühen haben sich gewiss gelohnt, denn schon wenige Minuten nach Aufspann ist klar, dass der Aufbruch nach Pandora Filmgeschichte schreibt.

Als Besucher zahlreicher Hollywood-Produktionen ist man als Zuschauer visuell verwöhnt, übersaturiert. Einzig Filme wie „The Fountain“ oder „Sunshine“, die durch besonders ausgefallene Motive bestechen, vermögen es heute noch, aus der Menge der vielen Titel herauszuragen. „Avatar“ ist 2009 ein Gamechanger. Nie gab es eine künstlich geschaffene Welt, die derart realistisch wirkte. Die außerirdische Welt ist so glaubwürdig illustriert, dass man das Gefühl bekommt, die sechsbeinigen Riesenpanther anfassen zu können, die fluoreszierende Vegetation riechen zu können, dass man Pandora tatsächlich besuchen könnte. Dass Jakes bizarrer Ersatzkörper blau ist, drei Meter in die Höhe ragt und einen Schwanz besitzt, ist augenblicklich vergessen. Was auf Bildern noch seltsam wirken mag, fügt sich nahtlos. Neytiri und die anderen Na’Vi werden umgehend als glaubwürdige, authentische Filmfiguren akzeptiert.

Vor allem in 3-D hinterlässt der Film tiefe Eindrücke. Wer sich dazu entscheidet, sein Geld für die Luxusvorstellung des Films auszugeben, der wird mit toller räumlicher Tiefe belohnt, die glücklicherweise nie zum Gimmick verkommt. 3-D Titel wie „G-Force“ und „Final Destination 4“ fielen im Vorfeld durch stupid plakative In-die-Kamera Szenen auf, Camerons Werk hingegen verzichtet auf pubertäre Spielereien und lässt stattdessen einfach fantastische, an Dokumentarfilme erinnernde Bildtiefe sprechen. Letzten Endes beeinflusst es die Qualität des Films in keinster Weise, aber wie ein besserer Fernseher verbessert es das Erlebnis. Es steht also jedem frei, wobei die zusätzlichen Kosten in diesem Fall wirklich lohnen.

Manch einer hatte befürchtet, dass die vorausgehende Tagline „vom Regisseur von Titanic“ tieferen Schmalz bedeuten könnte, doch der bleibt aus. Es gibt eine aufblühende Romanze zwischen Jake und Neytiri, diese hält sich jedoch dezent zurück. Überhaupt halten sich zwei größere Aspekte die Waage. Zum einen sind es die vielen Actionszenen, die über den ganzen Verlauf der Handlung verstreut werden, sehr aufregend ausfallen und abwechslungsreich sind, zum anderen ist es Jakes Entwicklung vom ziellosen Nichts zum wichtigen Helden. Dank der beiden äußerst sympathischen Darsteller Sam Worthington („T4“), Zoe Saldana („Star Trek 11“) und Sigourney Weaver („Alien“) eine herzliche, oft auch lustige Angelegenheit. Joel David Moore („Hatchet“) und Michelle Rodriguez („Fast & Furious“) ergänzen die drei mit netten Momenten. Tiefergehendes lässt sich leider missen, da man anscheinend gezielt auf Kurzweil setzt, um die zweieinhalb Stunden unterhaltsam gestalten zu können. Es ist Cameron, von daher ist bezüglich der Action nichts Geringeres als Spektakel zu erwarten. In ausgedehnten, ständig übersichtlichen Sequenzen kämpft Jake mit allerlei unterschiedlichen gefährlichen Kreaturen, jagt mit drachenähnlichen Flugechsen zwischen fliegenden Bergen hindurch und legt sich im späteren Verlauf mit einer ganzen Armee an, die im typischen Cameron-Stil durch allerlei futuristische Hardware vertreten ist. Alles ist grandios inszeniert und führt unweigerlich dazu, dass die meisten freudestrahlend aus dem Kino rennen werden und „Avatar“ einen der besten Filme aller Zeiten nennen. Er ist in der Tat der visuell bislang aufregendste Spielfilm, der jemals in Kinos zu sehen war und tricktechnisch eine unangefochtene Meisterleistung, doch genügt das?

1991 hat James Cameron einen Film namens „Terminator 2“ gedreht, der damals ebenfalls revolutionär war. Nicht in vergleichbarem Rahmen, doch die Effekte des T-1000 ließen damals zu Recht gleich reihenweise Kinnladen herunterklappen. 18 Jahre später reicht „Avatar“ nicht an “Terminator 2“ heran. Der nahezu perfekte Actionfilm schlägt den modernen Neuling im Detail, insbesondere aber in der Handlung. Es ist unübersehbar, dass die Geschichte des Films aus verstreut bekannten Versatzstücken zusammengeklaut wurde. „Pocahontas“, „Der mit dem Wolf tanzt“, „Fern Gully“, „Avatar“ ist grundsätzlich die altbekannte Siedlergeschichte, nur, dass es anstatt um Indianer um Aliens geht. Nun wäre das nicht weiter schlimm, wären die beteiligten Figuren ausgesprochen gut. Sie sind es nicht. Sie sind nicht schlecht, fallen hinsichtlich der gewaltigen Optik aber merklich zurück. Karikaturenhaft gleich, sind die Bösen schlichtweg böse, die Guten nur gut. Übergreifende Statements drängen sich auf: Die Materialisten zerstören die Natur um Geld zu machen, die Herzensguten setzen auf Werte wie Liebe, Vertrauen und haben innige Bindung zur Natur (so innig, dass sie sich in der Tat per Kabel mit ihr verbinden können). Der holde Held sieht sich Konflikt gegenüber und macht sich auf, die Prinzessin und den Tag zu retten.

Camerons Sozialkritik ist leicht verdaulich und offensichtlich, kann gleichzeitig aber ebenso kritisch beäugt werden. In seiner Vorstellung muss es ein übergelaufener weißer Amerikaner sein, der den offensichtlich primitiven, hitzköpfigen Lendenschurzträgern hauptsächlich deswegen verbunden ist, weil er zufällig mit der Tochter des Häuptlings anbandelt. Bevor er sich in die barbusige, oftmals fauchende Future-Nell verliebt, ist er selbst auf Seiten des Militärs und versorgt ihren schlimmsten Feind persönlich mit hilfreichen Infos. Es erscheint egoistisch und simpel, wodurch Jakes späterer Umbruch und seine Heldentaten nicht ganz den Impact bekommt, den sie haben sollten. Problematisch ist auch, dass Neytiri und ihre Mutter die einzigen Na’Vi sind, die man etwas näher kennen lernt. Die übrigen sind wortkarge, ständig grimmig drein blickende Krieger, die es schwierig machen, Sympathien aufzubauen. Ihre Naturverbundenheit und Spiritualität ist zuweilen auch etwas zuviel des Guten, zumal man einmal tunlichst mit dem Kopf schütteln kann, wenn man sieht, wie ein ehemaliger Verräter und Mitschuldiger ihrer beinahen Ausrottung mal eben sein verlorenes Vertrauen zurück gewinnt.

Man kann verstehen, dass Cameron die Handlung bewusst einfach hält, um den Zuschauern genügend Zeit zum Erfassen des Panoramas zu geben, aber je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr hätte man aus dem Konzept machen können. Die Story von „Terminator 2“ war nicht gerade awardverdächtig, wurde aber packend und interessant inszeniert. In „Avatar“ gibt es vergleichbare Tragik und Gefahrenmomente, doch merkwürdigerweise ergreifen sie nie. Das Problem ist, dass die Figuren zu vorhersehbar, zu uninteressant bleiben. Giovanni Ribisi („Nur noch 60 Sekunden“) beispielsweise spielt einen Leiter der Pandora-Mission, der den Auftrag bekommen hat, wertvolles Unobtainium abzubauen. In einer nahezu peinlich einfachen Szene erklärt er dies, nachdem er – wie alle klischee-bösen Wallstreet Anhänger – im Büro Golf spielt, wobei der typische deutsche Kinobesucher nicht dazu kommt, den Wortwitz zu erfassen. Unobtainium ist ein erfundenes Wort, das auf den englischen Begriff „unobtainable = unerreichbar“ zurückfällt. Man sucht also nach einem Unerreichbarium, das ein genau so debiler MacGuffin ist wie die Hasenpfote in „Mission Impossible 3“.

Stephen Lang spielt einen 0815-Sarge, der sich als reines Werkzeug sieht und wie eine Maschine handelt. Wenn sein Charakter zumindest abfällig von den Wilden denken würde oder er Gründe für derartiges Verhalten hätte (Sohn oder Frau verloren, etc.), keine Chance. Er ist einfach nur böse und da Cameron anfangs zahlreiche Soldaten und Kampfhubschrauber zeigt, muss es ja nach Filmgesetz dazu kommen, dass sie eingesetzt werden. Nur wenn es dann zum Kampf kommt, bleibt man relativ spannungsarm, da man selbst wenig Bindung zu beiden Charakteren aufbaut. In „The Dark Knight“ war jede Auseinandersetzung zwischen Batman und dem Joker faszinierend, da beide Figuren faszinierend und ihre Duelle Sprengstoff waren; die Kämpfe in „Avatar“ hingegen sind beeindruckend schön und klasse inszeniert, hinterlassen aber wenig Eindruck.

Dabei hätten nur kleine Änderungen schon vieles interessanter machen können. So wird vielen beispielsweise nicht auffallen, wie viele Motive es in dem Film gibt. Anfangs verspricht Quaritch dem Invaliden Jake, ihm neue Beine zu geben – während er in einem Mech sitzt. Jake bekommt aber auf anderem Wege neue Füße, in dem er einen künstlichen Na’Vi Körper schlüpft. Später stoßen beide in ihren künstlichen Körpern aufeinander, was den von Technik besessenen Menschen gegen einen ideellen Kontrahenten schickt. Cameron geht auf Motive leider nicht ein, und er verfehlt es auch, die Story interessanter zu machen. Der Kampf gegen die geldgierigen Minenbesitzer wäre direkt interessanter, ginge es nicht um Geld, sondern um das tatsächliche Überleben der Menschheit. Der daraus resultierende Konflikt, der damit verbundene Zeitdruck und die daraus folgenden Auseinandersetzungen hätten der Geschichte wesentlich mehr Kraft verleihen können. Auch ist James Horners Soundtrack insgesamt sehr schwach, viele seiner Themen erinnern an vorherige Produktionen („Enemy at the Gates“); Leona Lewis‘ Abspannsong wird wohl nicht lange zu hören sein, da es ihm an denkwürdiger Melodie fehlt (ein neues „My Heart will go on“ bleibt demnach erspart). Dennoch ist, um auf einen der ersten Paragraphen zurück zu kommen, „Avatar“ höchstens eine Enttäuschung für diejenigen, die sich neben der herausragenden Optik eine ebenso herausragende Handlung wünschen. Abseits der revolutionären Bilder, die fraglos volle Punktzahl bekäme, ist es ein gut inszenierter, guter Actionfilm mit guten Darstellern. Gut, empfehlenswert, auf gleichem Niveau wie „Iron Man“ und „Fluch der Karibik“, aber längst kein „Watchmen“.

Fazit:
Keine Frage – visuell ist James Camerons neuester Streich ein atemberaubender Dschungeltrip im All, mit bemerkenswerten Effekten und Actionspektakel bis zum Abwinken. Dass die Handlung ziemlich simpel ausfällt und ziemliche Pocahontas-Ähnlichkeiten aufweist, ist klar und kein Beinbruch. Vom Regisseur von Terminator, The Abyss und auch Titanic haben wir Story und Figuren aber dann auch schon mal besser gesehen – also nur fast volle Punktzahl.

8 / 10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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