BG Kritik: „Blutgericht in Texas – The Texas Chain Saw Massacre“ (TCM 1)

2. Februar 2022, Christian Mester

Schon die Fahrt zu einem alten Ferienhaus fällt für eine Gruppe Jugendlicher schräg aus, da sie einen durchgeknallten Anhalter mitnehmen, der sich mal ebend lachend selbst aufritzt. Kurz darauf stoßen sie auf den Rest seiner verkorksten Hinterwäldler-Sippe, nebst dem Menschenhaut tragenden Kannibalen und Hobbyknochentischler Leatherface mit seinem liebsten Baumarktartikel, der Kettensäge.

© Vortex Inc – Trailer Screenshot https://youtu.be/BKn9QIaMgtQ

The Texas Chain Saw Massacre (US, 1974)
Blutgericht in Texas
Regisseur: Tobe Hooper
Cast: Marilyn Burns, Gunnar Hansen

Kritik:
The Saw is Family: Mittlerweile (2019) gibt’s acht Chainsaw Filme an der Zahl. Die ersten vier, darunter Teil 3 mit Viggo „Aragorn“ Mortensen und Teil 4 mit Oscar-Gewinner Matthew McConaughey und Renee Zellweger, die von Michael Bay produzierte Neuauflage und der zweite Reboot Texas Chainsaw aus dem letzten Jahr. Reichlich „Massaker“ also, aber kennen braucht von denen nur die Hälfte. Das Remake von 2003 mit Jessica Biel ist wirklich einer der besseren Horrorfilme der letzten Zeit und der originale zweite Teil mit Dennis Hopper als Doppel-Kettensägen schwingenden Polizisten ist einfach herrlich nuts – ans legendäre Debüt kommt jedoch keiner heran. (und ja, beim ersten Originaltitel heißt es noch Chain Saw statt Chainsaw)

Die Handlung ist nicht mal einfallsreich und aus heutiger Sicht typisches Slasherszenario (auch wenn Texas zu seiner Zeit noch zu den frühsten seiner Art gehörte, Halloween, Freitag der 13te und Co KG kamen erst ein paar Jahre später ins Rollen), aber hier ist alles auf Inszenierung ausgelegt. TCM kann auch heut noch so eindringlich wirken – wenn man sich drauf einlässt und dem Film eine Chance gibt – da er extrem authentisch erscheint. Das Haus der Kannibalen, die sengende Hitze, die wenig cineastisch wirkenden Überfälle und ungelenken Fluchtversuche wirken nicht sehr Hollywood, sondern fast eher wie ein dokumentierter Fund. Und was es für einer ist. Leatherface ist nicht bloß ein Killer, er zieht die Gesichter seiner Opfer als Wellness-Gurkenmaske an und bastelt sich Möbel aus ihren Knochen. Was in heutigem Horror wie der Hannibal Serie oft visuell interessant und ordentlich in Szene gesetzt ist, wirkt hier erschreckend chaotisch, gewöhnlich und alltäglich, was das Grauen umso mehr verstärkt. Texas war vom wahren Fall Ed Gein inspiriert und erfüllt die gruselige Vorstellung solcher Soziopathen mehr als genug.

Genügen würde ja schon die Vorstellung, dass ein zurückgebliebener Fettsack nachts mit einer laufenden Kettensäge hinter einem herrennt, aber bei Hooper ächzt der Terror aus jeder Fuge. Leathers Familie mit dem kriegsgestörten Anhalter, dem schulterzuckenden Koch und dem womöglich 260 Jahre alten Opa sorgt für eine gruselige Vielfalt an Schrecken. Apropos Authentizität: Marilyn Burns mag nie stärker ins Rampenlicht gekommen sein und auf ewig das Texas Girl geblieben sein, aber ihre Darbietung als panische junge Frau im Texas Kettensägenmassaker, fast wahnsinnig werdend bei all dem Geschredder und Vorschlaghammergehämmere, könnte die eindringlichste Horrorperformance aller Zeiten sein. Beste insofern, dass ihre Angst, ihre markerschütternden Schreie und ein Harley Quinn ähnliches Wahnsinnsgegacker einfach jeden packen und durchrütteln. Selbst Blade würde hier zum Popcorn greifen und „Alter!“ sagen. Das ist kein Film, den man halb gelangweilt beim Farmville spielen schauen kann, und während die meisten 0815-Jugendlichen in Slashern egal bleiben, wird auch der empathieloseste bei Burns weich werden und ihr Erlösung wünschen, egal wie.

Wer das Original nie gesehen hat und nur den reißerischen Titel kennt, wird bestimmt verblüfft werden, wie graphisch der Film ist – nämlich geringfügig. Der Film heißt zwar Kettensägen-Massaker, aber Leatherface sägt sich nie durch einen Bodycount, der Spartiaten glücklich machen würde, obwohl die Kombination Kettensäge und Teens spielend leicht in einem Haufen kaum noch zuzuordnenbarer Körperteilen enden müsste. Hooper, der noch Poltergeist, The Funhouse und Lifeforce gemacht hat, arbeitet listig mit Andeutungen. Der Terrorhorror wird wie beim The Hills have Eyes Remake auf die Spitze des Erträglichen getrieben, doch das meiste Blutvergießen passiert in der eigenen Vorstellung, nicht auf der Leinwand. (Da die 4K Fassung nicht in Reichweite läuft, bezieht sich die Kritik nur generell auf den Film. Der Trailer der Überarbeitung zeigt aber schon, dass Tobe Hoopers Meisterwerk scheinbar sehr davon profitiert und trotz Politur nichts von seinem Schmutz verloren hat)

Fazit:
The Texas Chainsaw Massacre ist heute wie damals schwere Kost, die, wenn man sich denn drauf einlässt, einen der schaurigsten Horrorfilme darstellt. Ein brillanter Genrefilm, der entgegen des Titels kein Splattergemetzel ist, aber dennoch reinbretzelt als gäbs morgens halb zehn auf einmal kein Knoppers mehr. Vielleicht nicht die Marke Horror, die in der Freundesrunde Spaß macht (dafür das Remake nehmen) , aber ein unantastbarer Klassiker.

10/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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