BG Kritik: „Artemis Fowl“

30. August 2020, Christian Westhus

Ein supercleverer Junge erforscht das Verschwinden seines Vaters und entdeckt das im Geheimen lebende Erdvolk; Feen, Elfen, Kobolde und Zwerge. „Artemis Fowl“ – Actionreiche Jugendfantasy in Disneys aufwändiger und teurer Adaption der beliebten Buchreihe. Nun direkt bei Disney+ zu sehen und hier als Kritik.

© Disney

Artemis Fowl
(USA 2020)
Regie: Kenneth Branagh
Darsteller: Ferdia Shaw, Lara McDonnell, Josh Gad, Judi Dench, Colin Farrell, Nonso Anozie u.a.
Deutschlandstart: 14. August 2020 (Disney+)

Im Zuge der großen Welle aus Verschiebungen und Umwandlungen im Veröffentlichungskalender 2020 war „Artemis Fowl“ bei Disney der erste große Titel, der direkt und humorlos auf einen Start direkt bei Disney+ degradiert wurde. Schon zuvor hatten sich Befürchtungen und negative Vorberichte zum Film breitgemacht, die durch Trailer und Weiteres noch unterstützt wurden. Mancherorts erwartete man in „Artemis Fowl“, die nach offiziellen Angaben rund 125 Millionen Dollar teure Adaption der beliebten Romanreihe von Eoin Colfer, einen neuen „Battlefield Earth“, einen Fehlschlag für die Geschichtsbücher. Doch negative Übertreibungen gehören im Filmgeschäft ebenso dazu, wie Übertreibungen in die andere Richtung. „Artemis Fowl“ ist keineswegs ein filmischer Super-GAU, der eine ganze Generation in „davor“ und „danach“ unterteilt. Nein, „Artemis Fowl“ ist lediglich eine komplett misslungene Adaptionsvollkatastrophe, vergleichbar mit „Eragon“, „Die Legende von Aang“ und „Der dunkle Turm“.

Die mittlerweile achtteilige Buchreihe des Iren Colfer entführt den Leser in eine dieser gerne genutzten literarischen Nebenwelten. Statt Zauberern oder griechischen Göttern gibt es hier das Erdvolk: Elfen, Feen, Zwerge, Kobolde und Co. leben im Geheimen in einer weitreichenden und fortschrittlichen Welt unter der Erde, nutzen Magie und futuristische Technologie. Artemis Fowl jr., ein 12-jähriges Universalgenie, lernt von diesen Wesen in Märchen, die ihm sein Vater (im Film gespielt von Colin Farrell) vorliest. Die Fowls sind Superreiche, die an der irischen Küste leben und allerhand exotische Kunstobjekte besitzen. Oder gestohlen haben. Es sind echte authentische Feen-Objekte, wie Artemis im Laufe der Handlung herausfindet.

Großzügig formuliert ist „Artemis Fowl“ eine, äh, recht freie Adaption des ersten Romans in welchen aus unerklärlichen Gründen ein komplett für diesen Film erfundener Macguffin gepackt wurde. Und nicht nur das, dieser Macguffin, also das begehrte, letztendlich aber funktionslose „Ding“, welches die Handlung in Bewegung setzt, gehört zu den dümmsten, unsinnigsten und banalsten seiner Art. Doch nicht nur dieser Gegenstand bläst die Handlung auf zu einem inkohärenten, formlosen und konfus erzählten Unheil auf, welches sich in elendigen 90 Minuten kaum nachvollziehbar entfaltet. Wir haben die Entführung des Vaters, den Auftrag des Entführers, Artemis‘ Recherche und den Kontakt ins Erdreich, zu Feen-Polizistin Holly Short und Zwerg Mulch Diggums. Trotz einer Vielzahl plumper Dialoge und billigster Exposition-Erklärszenen bleibt gar keine Zeit, um diese neue Welt, ihre Völker, ihre Regeln und Gewohnheiten kennen zu lernen. Auch wenn es zum erwarteten Kontakt zwischen Artemis und Holly kommt, werden wir nicht schlauer. Kaum hat man in einem fahlen Dialog ein nützliches Detail aufgeschnappt, sind drei weitere Dinge passiert, die nicht nachvollziehbar sind oder so scheinen, als würden sie nicht hierher gehören. „Artemis Fowl“ ist erzähltechnisch vollkommen gescheitert, recht gut veranschaulicht an einem magischen/technischen Detail: die Funktion einer Zeitbombe (oder so) wird in einer Szene, die nicht zur Haupthandlung gehört, demonstriert, bis sie dann in der zweiten Hälfte erneut zum Einsatz kommt … und vollkommen anders funktioniert.

© Disney

Und Artemis Fowl selbst? Eigentlich ein kesser Dieb und dreister Ganove, in diesem Film jedoch ein nervtötend kluger und charakterlich langweiliger 12-Jähriger, dem man eine heldenhaftere Motivation für seine Taten andichtet. Er erklärt sich am Ende zum kriminellen Genie, hat jedoch nichts dafür vorzuweisen. Sein größtes Verbrechen ist seine wenig sympathische Arroganz, dicht gefolgt von seiner Ausdruckslosigkeit. Kurzum: Arty Fowl jr. ist eine sagenhaft schlechte Hauptfigur, noch verstärkt durch einen bedauernswerten Jungdarsteller, der entweder nicht viel leisten kann oder es nicht darf. Manch flache Hauptfigur wird aber durch facettenreiche Nebenfiguren aufgewertet. Vielleicht auch hi—nein. Keine Chance. Zwerg Mulch Diggums mag durch Olaf-Stimme Josh Gad vielleicht ein, zwei kontextbefreite Lacher erzeugen, doch ansonsten ist seine Figur eindimensional und widersprüchlich. Ähnlich schlecht sieht es bei Fee Holly aus, deren Beziehung zu Artemis zwar den klassischen Weg von Ablehnung hin zu Freundschaft durchläuft, dabei aber nicht im Geringsten glaubwürdig ist. Diese Momente verpuffen im luftleeren Raum einer Adaption, die Buch-Fans verärgert und Filmzuschauer verwirrt oder langweilt. In gewisser Weise erinnert der Film an Disneys anderen Jugendfantasy-Flop „Das Zeiträtsel“ („A Wrinkle in Time“), nur dass man bei diesem immerhin das Engagement der Regisseurin spürte. „Artemis“ Regisseur Kenneth Branagh ist inmitten bunter Kostüme und wilder CG-Actionszenen nahezu unsichtbar, was nicht unbedingt als Kompliment zu verstehen ist.

Zu allem Überfluss werden noch mühevoll eine unlogische Rahmenhandlung, der unbrauchbare Schurke und ein Verräter in Reihen der Feen in die Handlung gedrängt und gleich wieder vergessen. Nichts davon funktioniert. Und der krude Käse macht nicht einmal losgelöst von allem als effektreiche Fantasy-Action Laune. Es geht hektisch und wild zur Sache, doch es ist ohne Koordination, ohne wirklichen Schmiss inszeniert, mit teils mittelmäßigen Effekten und eben komplett ohne emotionale Energie, da Handlung und Figuren keinerlei Mehrwert geben. Letztendlich fühlt sich „Artemis Fowl“ an wie ein überlanger Prolog. Nicht so, wie der erste Roman (oder zum Vergleich „Harry Potter und der Stein der Weisen“) eine große Reihe einleitete, sondern wie ein müdes Vorspiel, in welchem sich die Figuren gerade gefunden haben, etwas mit dem Macguffin passiert und es in Richtung Hauptteil gehen kann. Nur, dass dieser Film urplötzlich ein albernes Ende aus dem Hut zaubert und im dusseligen Epilog sogar weiteren Abenteuern spricht (die es als Filme nicht geben wird), obwohl niemand genau weiß, was das alles hier sollte. Und das schließt die handelnden Figuren des Films mit ein.

Fazit:
Kein Wunder, dass Disney diesen Film so gut es ging unter den Teppich kehren wollte. Als Adaption der Vorlage nicht zu gebrauchen und als eigenständige YA-Actionfantasy nicht zu genießen. Umständlich erzählt, in allen Belangen flach und ohne nennenswerte Reize.

2,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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