BG Kritik: „Die Kunst des toten Mannes“ (Velvet Buzzsaw)
Jake Gyllenhaal in einem Netflix-Thriller vom „Nightcrawler“ Macher: Die Kunstszene von Los Angeles ist in Aufruhr, als in der Wohnung eines verstorbenen Mannes dessen Zeichnungen und Gemälde gefunden werden. Die Kunstwerke ziehen Kritiker und Kunstkenner sofort in ihren Bann, doch plötzlich häufen sich mysteriöse Vorfälle. Tragen die Bilder womöglich eine Art Fluch mit sich?
Die Kunst des toten Mannes
(Originaltitel: Velvet Buzzsaw | USA 2019)
Regie: Dan Gilroy
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Zawe Ashton, Rene Russo, Toni Collette, Natalia Dyer, John Malkovich, Daveed Diggs
Veröffentlichung Deutschland: 01. Februar 2019
Kunst liegt im Auge des Betrachters. Was genau Kunst ist, was sie will und wo sie herkommt – das sind Teile einer großen Frage, die unmöglich zu beantworten ist, nicht zuletzt, da es so viele Formen vermeintlicher Kunst gibt. Diese kalkulierte Fangfrage in einem Film beantworten zu wollen, wo Kino doch besonders stark die Grenzen zwischen Kunst, Unterhaltung und Finanzgeschäft verschwimmen lässt, könnte in gewisser Weise ein cleverer Ansatz sein. Es ist aber womöglich der einzige wirklich clevere Einfall, der Drehbuchautor und Regisseur Dan Gilroy für seine Kunstsatire mit Horrorelementen (oder umgekehrt) eingefallen ist.
Das Intro auf einer Ausstellung macht uns mit Kunstszene, Figuren und Ton des Films bekannt – allesamt ein wenig exzentrisch und überhöht. Diese ersten zehn Minuten wirken so klischeehaft und ohne spürbare Finesse präsentiert, man könnte denken, selbst Menschen, die noch nie einen Fuß in eine „Art Gallery“ gesetzt haben, hätten sich diese Szenen ausdenken können. Jake Gyllenhaal, unser quasi-Hauptcharakter, trägt den so klingenden Namen Morf Vandewalt. Als größter Star unter den Kunstkritikern ist er hier quasi Gott; seine Worte und seine Urteile wortwörtlich Gold bzw. Geld wert. Mit dabei ist Rene Russo als gerissene Kunsthändlerin, Toni Collette als Museumsleiterin, die sich nach mehr sehnt, und John Malkovich als Künstler, der, da er nicht mehr trinkt, in einer künstlerischen Schaffenskrise steckt. Oh, und Daveed Diggs, der mit dem Broadway Megaerfolg „Hamilton“ berühmt wurde, taucht als aufstrebender Künstler auf, spielt jedoch eine noch kleinere Rolle als Malkovich, der vom Script im Laufe der Handlung praktisch vergessen wird.
Wir sind stattdessen zunächst und für längere Zeit bei Josephina (Zawe Ashton), der Assistentin von Rene Russo, die zu Beginn gleich mehrere negative und schmerzhafte Erfahrungen macht. Doch das Schicksal scheint sich zum Besseren zu wenden, als sie vermeintlich zufällig entdeckt, dass in der Wohnung ihres gerade verstorbenen Nachbarn hunderte ausdrucksstarke Kunstwerke versteckt sind. Alle sind sofort hin und weg von den Bildern, die an Francisco Goya erinnern und häufig aus dem eigenen Leben des Künstlers inspiriert scheinen. Vandewalt, der sogleich ein Buch zum lange unbekannten Künstler schreiben will, und ein Polizeiermittler geben uns ein paar Stichworte zur Biographie des Mannes mit auf dem Weg, die auch einem Michael Myers gehören könnte. Vielleicht überhören wir noch den augenzwinkernden Kommentar eines Kollegen, der seine Begeisterung über die Bilder mit den Worten beschreibt, diese Kunst würde ihn ansprechen, ergo mit ihm sprechen. Als kurz darauf erste Bilder lebendig werden und einen Unfall auslösen, enttarnt sich der Film frühzeitig mehr oder minder selbst.
Wenn die Mächte in den Kunstwerken erwachen, werden auch dickste Horrorklischees lebendig. War „Nightcrawler“, die letzte Zusammenarbeit von Gyllenhaal und Dan Gilroy, noch ein gleichermaßen klug entwickelter und geschickt inszenierter Film, wirkt „Velvet Buzzsaw“ (Originaltitel) wie das, was man vor einigen Jahren noch abfällig als „TV-haft“ bezeichnet hat. Die Szenen des vermeintlich Übersinnlichen und Tödlichen sind größtenteils reizlos, wirken wie Ideen, die für die neue Staffel „American Horror Story“ durchgefallen sind. Dem Horroraspekt fehlt auch die nötige Konsequenz, die zentrale Verbindung zur Kunstwelt und zum satirischen Anspruch des Films. Doch auch dort wirkt „Die Kunst des toten Mannes“ irgendwie zahnlos.
Wir erkennen das Grundproblem dessen, was man uns hier als „zeitgenössische Kunstszene“ verkaufen möchte. Es herrscht ein Konflikt zwischen künstlerischem Anspruch und kommerziellem Wert. Diese Menschen mit ihren riesigen Egos und ähnlich dicken Geldbeuteln sind keine wirklichen Kunstliebhaber, nein, nein, sie wollen ihren Geltungsdrang befriedigen und ordentlich abkassieren. Die persönlichen Hintergründe des Künstlers, die Seele dieser Bilder, die sich, so scheint es, manifestiert und verselbstständigt, interessiert fast niemanden. Es ist eine Problemstellung, die absolut oberflächlich ist, die ein wirklich bissiger Film als Grundwissen voraussetzen würde, um dann darauf aufzubauen. Gilroy findet kaum Wege dazu. Er verpasst es, die übersinnliche Komponente zu konkretisieren, der Metapher eine zentrale Wichtigkeit zu geben.
Auch interessieren ihn seine Figuren offenbar nur am Rande. Fast könnte man meinen, dies sei der überlange Pilotfilm zu einer Serie, in der wir irgendwann Figuren wie die von John Malkovich, Toni Collette oder Daveed Diggs näher kennen lernen, über sie neue Blickwinkel auf die Kunstwelt erhalten. Doch ihre Facetten und Dilemmata sind selten mehr als Ansätze, wenn sie überhaupt welche haben. Das gilt auch für die Hauptfiguren, Morf Vandewalt und Josephina, die natürlich bald zueinander finden. Dass Morf eigentlich mit einem Mann liiert ist oder zumindest war, gibt Gyllenhaal Grund zu einer leicht affektierten – aber immerhin charakterstarken – Performance, spielt ansonsten aber kaum eine Rolle. Eine wirklich kluge Beobachtung springt in einem Dialogsatz heraus, die Lust auf mehr macht, auf Tiefergehendes zu dieser Figur. Stattdessen gähnt sich das Script eine neue lauwarme Gruselszene hervor oder spielt uns Satireszenen vor, die gerne hören würden, wie man sie mit Paul Verhoeven vergleicht. Vergebens. In einer Szene entdeckt ein Kunstagent in einem Atelier abgestellte Müllbeutel, die er natürlich für ein sensationell hintersinniges Kunstwerk hält, während wir uns fragen, ob wir zwischenzeitlich bei SNL gelandet sind. Doch Kunst liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Und das trifft am Ende auch auf die Kunst von Dan Gilroy zu.
Fazit:
Weder als schräger Horrorfilm wirklich gelungen, noch als Satire auf die moderne Kunstwelt nennenswert bissig oder clever. Ein paar Darsteller mit Lust am Exzentrischen reichen nicht, um „Die Kunst des toten Mannes“ wirklich erinnerungswürdig zu machen.
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