BG Kritik: „Captain Marvel“
Kree Kriegerin Carol Danvers (Brie Larson) ist eine Frau ohne Wissen über ihre eigene Vergangenheit. Ausgestattet mit kosmischen Kräften und für die Gerechtigkeit im Universum streitend, trifft sie mit ihrem Mentor Yon-Rogg (Jude Law) auf die ihnen feindlich gesinnten Formwandler-Aliens der Skrulls. Von ihrem Team abgeschnitten und auf der Erde der 1990er Jahre gestrandet, gilt es zusammen mit dem noch beidäugigen Nick Fury (Samuel L. Jackson in digital verjüngt) ein Duo zu bilden, eine Verschwörung aufzudecken und nach Hause zu telefonieren.
Captain Marvel (USA 2019)
Regie: Anna Boden und Ryan Fleck
Darsteller: Brie Larson, Samuel L. Jackson, Jude Law, Lashana Lynch, Ben Mendelsohn, Clark Gregg, Djimon Hounsou und Annette Bening
Kinostart: 07. März 2019
Kritik:
Wen hat Nick Fury da eigentlich im Wind stehend, am Ende von „Avengers: Infinity War“ via Pager angepiepst? Hier kommt der Marvel Cinematic Universe-Film der dieser Frage nachgeht, bevor es dann in „Avengers: Endgame“ (schon ab dem 25. April) wieder in Richtung Thanos zurückzugehen scheint. Ist „Captain Marvel“ also nur ein Brücken- oder Zwischenstück zwischen zwei Teilen mit den „Avengers“, oder doch ein eigenständiges Werk innerhalb des großen Puzzles namens Marvel Cinematic Universe? Dazu an späterer Stelle. Kennt man keinen der vielen Versionen von „Captain Marvel“ (Details würden hier massiv den Rahmen sprengen) aus den entsprechenden Marvel Comics, so dürften die Trailer zum 21. Film(!) aus dem Marvel Universum nicht gerade als gelandete Volltreffer gewertete werden. Nicht jedenfalls, um all jene Zuschauer zum zwingenden lösen eines Tickets zu animieren, welche nicht per se jeden MCU Streifen im Kino verputzen. Das ist schade, gibt aber wiederum auch die Chance (im Falle eines Besuchs des örtlichen Lichtspielhauses) positiv zu überraschen. Ebenso schade ist es, wie spät Marvel eigentlich mit diesem Film dran ist. Hier kommt er, also genauer gesagt kommt sie, denn im neuesten Film aus dem Hause Marvel gehört ja zum ersten Male das größte Spotlight einer Frau. Unfassbar spät ist klar, aber gar zu spät?
Direkt in den Film und ins Abenteuer geschmissen, beginnt das erste Kapitel von „Captain Marvel“ für den Zuschauer ähnlich, wie es zuvor auch der ihrer Vergangenheit beraubten Protagonistin ergangen sein muss, denn beide haben wohl zunächst keinen Plan was abgeht. So startet der eigentliche Film ohne größere Einführung oder Ursprung oder Erklärung für die Energiestrahlen abfeuernden Kräfte der Hauptfigur, die auf dem Planeten Hala vorherrschende Zivilisation der Kree, oder was sonst eigentlich abgeht. Nur um irgendwie nach um die 20 Minuten das Kunststück vollbracht zu haben, dass man sich als Zuschauer völlig heimisch fühlt und bis zum Abspann (ja, es folgen Szenen darin und danach) in der Immersion von „Captain Marvel“ verweilt. Regietechnisch kann das „Half Nelson“ Team Anna Boden und Ryan Fleck (ansonsten noch „It’s Kind of a Funny Story“) auch abseits der recht gelungenen und stets gut verfolgbaren Erzählung gut überzeugen und erweist sich als weiterer Treffer von Marvels Mastermind Kevin Feige, wenn es um ungewöhnliche aber schlussendlich überzeugende Wahlen der jeweiligen Regisseure geht. Hilfreich ist es hierbei sicherlich, wenn man als Zuschauer mindestens den ersten „Guardians of the Galaxy“ und den ersten „Avengers“ zumindest mal gesehen hat, da hier Figuren, Elemente und Story-Details aus eben jenen (und weiteren Filmen der Reihe) wieder oder zeitlich gesehen eben erstmalig aufgeführt werden. Da eben in den 90er Jahren spielend, bei Figuren entsprechend digital verjüngt. Und um den Punkt der digitalen Verjüngungskur direkt zu beschließen, er funktioniert auch über eine deutlich länge Lauflänge als bisher angewandt. Im Falle von Samuel L. Jacksons Fury gefühlt durchgehend, in anderen Fällen immerhin zumeist. Wer schon vom verjüngten Michael Douglas in „Ant-Man“ überzeugt war und sich bei Downey jr in „Captain America: Civil War“ verblüfft die Augen reiben musste, wird diesen Effekt hier wohl abermals überzeugend finden.
Ausgestattet mit einer vom Comic ausgehend deutlich abgewandelten, ja, durchaus emanzipiert wirkenden Version der Ursprungsgeschichte der Carol Danvers Inkarnation von „Captain Marvel“ nimmt hier Oscar-Gewinnerin Brie Larson („Raum“) glaubhaft die Führungsposition im eigenen Film ein, und stemmt ihn gefühlt problemlos und ohne in Schweiß zu geraten. Ihr zur Seite wie schon erwähnt der wie immer voll in der Rolle des harten aber hier noch nicht so abgebrühten Agenten Nicholas Joseph Fury steckende Samuel L. Jackson. Wodurch der Film in den gemeinsamen Szenen immer wieder eine angenehme Buddy-Movie Stimmung bekommt, und sichtlich von der Chemie der beiden Darsteller profitiert. Brie Larson gibt die Titelfigur als eine kluge, aber nicht immer besonnen agierende Frau voller Mut und mit einer den Charakter definierenden Tendenz, immer wieder hart auf den Boden aufzuschlagen und stoisch Rückschläge und Hindernisse zu überwinden. Eine Frau die niedergeschlagen wird, aufsteht, um dann erneut niedergeschlagen zu werden, nur um mehr trotzig denn heldenhaft, doch weiter und immer wieder aufzustehen. Gegenteilig zu ihren phantastischen und phasenweise nahezu grenzenlos anmutenden Fähigkeiten, lässt Larson ihre Hauptfigur stets menschlich und wie mit beiden Beinen auf der Erde geblieben wirken. Wodurch sie für den Zuschauer greifbar, nachvollziehbar und eben menschlich bleibt. Etwas, wozu eben auch Fehler und ab und an Stürze gehören. Es gilt die eigene Identität zu finden, und sich gegen dominierende Kräfte (zumeist Männlichkeit) durchzusetzen, und denen zu beweisen, dass sie entgegen deren langläufiger Meinung es eben doch kann. Was immer eben auch gerade unmöglich ist für ein Mädchen, eine Frau, das „schwache Geschlecht“. Und das macht der Film sehr schön und angenehm unaufdringlich und nicht mit der Keule verklickert. Ja, Carol Danvers ist eine Frau. So wie Tony Stark ein Mann ist. Diese offensichtlichen Tatsachen muss man nicht zwingend und ewig ausführlich thematisieren. Hier stimmt die Dosierung.
Optisch gibt es wie eigentlich nahezu immer bei Marvel kaum was zu meckern, das sitzt. Von nostalgisch durchfluteten Rückblenden zwischen Kartbahn und Spielen am Strand, hoch zu Hochgeschwindigkeitsflügen in Kampfjetzt, zu noch höher und somit zu riesigen Kampfschiffen im All. Der Film liefert und wirkt dabei selbst in den ruhigen und emotionalen Momenten so gut wie nie wie im Stillstand. Wodurch die zwei Stunden und zwölf Minuten auch eher wie was bei 105 Minuten anmuten. Immer vor der Retro Kulisse der 90er Jahre mit ihren Street Fighter II Arcade-Automaten, Plastik-Trollen mit bunten Haaren, öffentlichen Telefonzellen, Game Boys und natürlich der örtlichen Blockbuster-Videothek, in der noch Videokassetten in 5er Packs über den Tresen wanderten. Und das funktioniert. Auch hier niemals zu aufdringlich, aber immer mit dem leicht augenzwinkernden Rückblick aus der Zukunft auf ein Leben in den 1990er Jahren, wirkt der Film u.a. aber nicht ausschließlich dadurch wie ein wenig spät dran, und tatsächlich wie mal eben noch vor den nächsten „Avengers“ eingeschoben. Farblich schön satt, optisch und effekttechnisch ohne gröbere Aussetzer, aber leider, leider ebenso typisch Marvel Studios, unterlegt von einem lediglich funktionalen Original-Score von Komponistin Pınar Toprak („The River Murders – Blutige Rache“). Als erste Frau allein mit der Ehre und Aufgabe der Filmmusik bei einem der Marvels betraut, dudelt die von ihr komponierte Filmmusik mehrheitlich ohne hängenbleibendes oder markantes Helden-Thema lediglich über den Film, ohne groß Spuren zu hinterlassen. Was im Ohr verbleibt, ist was bereits seit den 90er Jahren da war. Wodurch „Captain Marvel“ musikalisch mit einem netten 90er Jahre Throwback von einem Soundtrack – in dem sowohl „Nirvana“ als auch „No Doubt“ einen zumeist stimmig anmutenden Platz finden – schlussendlich doch noch ok punkten kann.
Was ist es denn nun für ein Film geworden? Zunächst einmal ein verdammt unterhaltsamer. Ja, gar ein phasenweise und oft glänzend unterhaltsamer. Das inclusive des Regie-Duos Boden und Fleck von sieben(!) Autoren verfasste Drehbuch erweist sich dafür als erstaunlich Straff und auf den Punkt, versucht aber irgendwie und aus irgendeinem Grund krampfhaft und gezwungen ein Geheimnis um die Vergangenheit der Heldin zu machen. Während dem Zuschauer diese eh längst klar sein dürfte. Ebenso straff wie das Skript ist auch der der Schnitt. Hier wurde offensichtlich alles Überflüssige auf dem digitalen Boden im Schneideraum zurückgelassen, da der fertige Film kaum Längen und dabei auch noch genug Ecken und Kanten aufweist und dessen Charaktere ebenso überzeugen, wie die gut dosierte aber nie die Oberhand oder das Hauptaugenmerk bekommende Action und der Humor. Ab und an vielleicht einen ganz kleinen Tick zu witzig (wirklich meckern auf hohem Niveau) weht „Captain Marvel“ wie ein angenehm frischer Wind durch das Universum. Ob es daran liegt, hier eine Frau in Action zu sehen, darf bezweifelt werden, ist aber auch völlig nebensächlich. Der Film rockt, die Charaktere sind für diese Art Unterhaltungs-Film gut und glaubhaft, ja, menschlich wirkend geschrieben, und immer wieder werden Situationen herrlich anders gebrochen oder aufgelöst als erwartet. Wodurch oft auch eine vortrefflich treffsichere Situationsabhängige-Komik den Film durchfließt. Dies ist aber keine „Thor: Tag der Entscheidung“ alle meine Freunde sind gerade gestorben und meine Heimatwelt ist zu Weltraumstaub vernichtet und wir bringen unmittelbar und trotzdem einen lockeren Spruch, Komik. Nein, vielmehr deutlich weniger laut, emotionaler und tiefgehender und im Moment komisch.
Ist es also ein Muss, alle Filme aus dem MCU auswendig mitsprechen zu können, um das Debüt von „Captain Marvel“ zu genießen? Nein, denn der Film funktioniert sicherlich auch für sich stehend. Und das gar erstaunlich gut, aber natürlich geht einem dann was ab. Denn andererseits nutzt der Film dieses sicherlich erhoffte Vorwissen auch immer wieder sehr süß, wie beim Spiel damit, ob und wo Fury hier womöglich sein Auge einbüßt. Schließlich kennt man ihn bisher nur mit cooler Augenklappe und als Chef von S.H.I.E.L.D, der trotz des Handicaps immer alles im Blick hat. Und wo gerade bei Handicaps, eines liegt mal wieder beim Bösewicht. Bot zuletzt Thanos noch einen formidablen Bösewicht, so geht es hier wieder üblich und fast schon typisch für Marvel nichtssagend, flach und motivationslos wirkend zur Sache. Da der oder die Bösewichte aber dem Motto einer berühmten Süßigkeit entsprechend noch als geheim eingestuft wurden, soll an dieser Stelle nichts im Detail dazu verraten werden. Platz für mehr wäre gefühlt aber gewesen. Zugehörig hierzu und als so etwas wie die Kehrseite der schieren Übermacht von „Captain Marvel“ resultierend, macht es sich der Film durch die Darstellung von Carols Fähigkeiten schlussendlich aber selbst unmöglich, noch eine glaubhafte und tatsächliche Bedrohung aufzufahren. Eben, da Frau Marvel einfach nur noch übermächtig durch Gegnerhorden pflügt. Das aber in ultra cool. Wehe, wenn sie losgelassen.
Fazit:
Besser spät als nie darf nun auch bei Marvel eine Heldin ganz vorne in ihrem eigenen Film mitspielen und ordentlich austeilen. Leider fühlt sich „Captain Marvel“ dabei aber tatsächlich etwas zu sehr wie ein notwendiges und mal eben hineingequetschtes Zwischenspiel zwischen „Avengers: Infinity War“ und „Avengers: Endgame“ an. Aber unterm Strich macht das Debüt von „Captain Marvel“ trotzdem eine verdammt gute Figur und einfach zu viel richtig, um dem Film dafür richtig böse zu sein. Schlagkräftig, witzig und emotional zugleich und hier und da gar mit Gesellschafts- Kriegskritischen Einwebungen garniertes Action-Kino aus dem Hause Marvel.
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