Treasure Tuesday Spezialkritik: „Kuroneko – Die schwarze Katze“

20. Oktober 2020, Christian Westhus

Noch nicht genug von ruhelosen Seelen und Rachegeistern? Wie wäre es also mit japanischer Geisterfolklore, wie im Klassiker „Kuroneko“ (1968)? Unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Toho Company

Kuroneko – Die schwarze Katze
(Originaltitel: Yabu no Naka no Kuroneko (藪の中の黒猫) | Japan 1968)
Regie: Kaneto Shindo
Darsteller: Kichiemon Nakamura, Nobuko Otowa, Kiwako Taichi u.a.

Was ist das für ein Film?
Ein folkloristischer japanischer Geister- und Gruselklassiker von Regisseur Kaneto Shindo („Onibaba“). Wir befinden uns im Japan während der Heian-Zeit (ca. 800-1200). Zwei Frauen, Yone und ihre Schwiegertochter Shige, leben in einem abgelegenen Haus in einem Bambuswald, als eine Gruppe Soldaten – in Japan herrscht gerade blutiger Bürgerkrieg – erscheint, die Frauen misshandelt und tötet. Über eine schwarze Katze werden die getöteten Frauen zu ruhelosen Rachegeistern, die sich vornehmen, jeden Soldaten und Samurai zu töten. Derweil ernennt Gouverneur Raikō seinen besten Krieger Gintoki in den Samuraistand und befielt ihm, die Geister in jenem Bambuswald zu vernichten, die seit einer Weile reihenweise Soldaten töten. So zieht Gintoki los und macht bald darauf eine überraschende Entdeckung, um wen es sich bei den Geistern handelt.

Warum sollte mich das interessieren?
Geister und Dämonen sind nach wie vor ein zentraler Trend des aktuellen Horrorgeschehens. Zumindest das dominante amerikanische Horrorkino – aber auch Streaming und TV – serviert uns noch immer ruhelose Tote oder dämonisch besessene Objekte, wahlweise sogar verfluchte Smartphone-Apps. Mehr noch als Zombies und maskierte Killer sind Geister und ähnlich geartete übernatürliche Gestalten eine ganz eigene kulturelle Facette mit teils Jahrtausende alter überlieferter Tradition. Obwohl alles andere als Mainstream, konnten sich japanische Geistertraditionen schon relativ gut und weitreichend im europäischen und/oder amerikanischen Raum ausbreiten. Grundkonzepte wie die Shintō Religion oder Phänomene wie Yōkai (Google kann helfen) sind spätestens mit dem neuen Anime-Boom der letzten Jahrzehnte zumindest in Ansätzen bei recht vielen Leuten bekannt. Spannend wird es, mal etwas mehr ins Detail und in die Vergangenheit zu gehen, sich mit etwas traditionelleren Ausdrucksformen zu befassen. Und hier ist „Kuroneko“ als parabelartige Schauer-Folklore genau richtig.

Noch dazu ist „Kuroneko“ ein schon grundsätzlich wunderbarer Film, der nicht nur an Halloween sehenswert ist. Regisseur Kaneto Shindo kreiert einige prächtig stimmungsvolle Bilder und Momente, nutzt die irgendwie klassisch japanisch anmutende visuelle Klarheit und Reduktion, um aus endlosen Schatten, viel Nebel, raschelndem Bambus und geisterhaften Gesichtern das Maximum an Atmosphäre herauszuholen. In den richtigen Momenten nutzt Regisseur Shindo gezielte Künstlichkeit, wenn beispielsweise die hell erleuchteten Geisterdamen in ihren wehenden weißen Kleidern durch die ansonsten pechschwarze Nacht gleiten. Dabei beginnt der Film mit einem schockierenden realistischen Gewaltakt, der gerade deshalb nachhallt, da die entscheidenden Momente nicht gezeigt werden.

Doch abseits von einer vertrauten und doch – für uns – entscheidend andersartigen Grundprämisse, einer enorm stimmungsvollen Inszenierung und einem wunderbar abgehobenen Finale, steckt gewaltiges emotionales und parabelartiges Potential in dieser Erzählung. Diese Geschichten werden nie einfach nur zur kurzen Schreckung erzählt – noch dazu ist „Kuroneko“ selten wirklich nagelkau-spannend, sondern eher stimmungsvoll befremdlich, ja vielleicht mystisch. Doch das Schicksal dieser beiden Frauen und ihr zweites Dasein als Rachegeister eröffnen spannende Facetten, wie auch Samurai Gintoki schon bald vor einem zünftigen Dilemma steht. So lassen sich auch unterschiedliche Schicksale und Daseinsformen von Frauen und Männern innerhalb einer landesweiten Kriegssituation beobachten. „Kuroneko“ lässt sich also aus verschiedenen Richtungen lesen und genießen – notfalls auch einfach für Katzenfreunde.

„Kuroneko“ ist leider nicht in Deutschland erhältlich, doch die britische Blu-ray der „Masters of Cinema“ Serie von Eureka (mit englischen UTs) ist für den interessierten Zuschauer mehr als lohnenswert!

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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