Treasure Tuesday Spezialkritik: „Fahrstuhl zum Schafott“

9. März 2021, Christian Westhus

Der stilbildende Klassiker mit Jeanne Moreau und der coolen Musik von Miles Davis. „Fahrstuhl zum Schafott“ (1958), unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Arthaus

Fahrstuhl zum Schafott
(Originaltitel: Ascenseur pour l’échafaud | Frankreich 1958)
Regie: Louis Malle
Darsteller: Jeanne Moreau, Maurice Ronet, Georges Poujouly, u.a.
Kinostart Deutschland: 29. August 1958

Was ist das für ein Film?
„Fahrstuhl zum Schafott“ ist vermutlich ‚einer dieser Klassiker‘, von denen man unweigerlich etwas gehört, den man aber bisher nie gesehen hat. Das sollte man ändern. Die Kriminalhandlung ist augenscheinlich simpel und doch enorm facettenreich. Florence (Jeanne Moreau) und Julien (Maurice Ronet) sind ein Paar. Der Haken? Florence ist mit dem reichen Geschäftsmann Simon Carala verheiratet, für den Julien in hoher Position arbeitet. Daher plant das Paar den perfekten Mord mit perfektem Alibi. Doch ein Fehler, den Julien noch rechtzeitig aus dem Weg schaffen will, zwingt ihn noch einmal zurück an den Tatort und in den Aufzug des Geschäftsgebäudes. Gleichzeitig greifen Louis und Veronique, ein anderes Liebespaar mit krimineller Energie, die Gelegenheit beim Schopfe und stehlen ein Auto, legen sich mit einem deutschen Raser an und kommen folgenschwer in einem Motel unter. Derweil irrt Florence, die auf Julien wartet, durchs nächtliche Paris, sucht Schutz oder folgt einer flüchtigen Beobachtung, die ihr Leben auf den Kopf stellen könnte.

Warum sollte mich das interessieren?
Es war das Regiedebüt von Louis Malle, der Durchbruch für Jeanne Moreau und bot den bis heute eleganten und stilvollen Musikscore von Jazzlegende Miles Davis. Louis Malle wird für gewöhnlich in der Besprechung der Nouvelle Vague mindestens hinter den großen beiden, Godard und Truffaut, verortet, zumeist aber auch hinter einem Claude Chabrol, einem Jacques Rivette, Alain Resnais oder einer Agnés Varda. Dabei ist die jazzige Stilisierung dieses Films womöglich schon ein Indiz darauf, dass Malle andere oder eigene Ziele verfolgte. So ist dieser Debütfilm wie so oft eine selbstbewusste Übung, eine Stilübung. Jeanne Moreau hingegen ist in gewisser Weise das Gesicht der Nouvelle Vague und eine der bedeutendsten Darstellerinnen in der Filmgeschichte Frankreichs. Sie ist das perfekte Gesicht für diesen kühlen und coolen Thriller, dieser schicksalhaft tragischen Verkettung von kaltblütiger Energie, unbedachten Taten und dummen Zufällen. Rückblickend konnte es daher gar keine Alternative für die Filmmusik geben, außer Miles Davis, der „King of Cool“.

„Fahrstuhl zum Schafott“ ist allerdings nicht direkt ein Krimi oder Thriller, nicht vollständig eine Romanze, nur teilweise ein Gesellschafts- und Sittenporträt. Doch wo andere Filme in ihrer Mischung grundsätzlich zu kurz kommen, weder Fisch noch Fleisch noch Soja sind, fügt sich dieser Film zu einem so stilsicheren wie atmosphärischen und inhaltlich komplexen Ganzen zusammen. Natürlich ist die Handlung in ihren Grundzügen simpel und womöglich sogar trashig. Man könnte fast sagen, es handle sich um eine „Pulp“ Kriminalgeschichte. Doch die zwei bis drei Handlungsstränge, die beiden kriminellen Liebespaare, deren Tun und Wirken die Umstände des jeweils anderen Paars beeinflussen, sind so spannend verwoben, so stimmungsvoll eingefangen und mit effektivem Understatement interpretiert, dass man dennoch komplett darin versinkt. Louis Malles Nachfolgefilm „Die Liebenden“ (ebenfalls 1958 und ebenfalls mit Jeanne Moreau) gilt als persönlicher und ist ohne Frage absolut sehenswert, doch es ist „Fahrstuhl zum Schafott“, der zum stilbildenden und bis heute angesehenen Klassiker wurde, zu einem Geburtshelfer – wenn man so will – der Nouvelle Vague.

„Fahrstuhl zum Schafott“ ist als DVD/BD/VOD erhältlich und aktuell (03/2021) bei Prime Video kostenlos im Abo verfügbar.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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