Treasure Tuesday Spezialkritik: „Die unvergessliche Weihnachtsnacht“ (1940)

15. Dezember 2020, Christian Westhus

Zur Adventszeit ein häufig vergessener und unterschätzter Weihnachtsklassiker aus der klassischen Hollywood-Hochphase: „Die unvergessliche Weihnachtsnacht“ alias „Remember the Night“ (1940) mit Barbara Stanwyck und Fred MacMurray, unser heutiger Treasure Tuesday Tipp. Jeden Dienstag auf Erkundungstour gehen. Wir stöbern nach vergessenen Filmen, unterschätzten Filmen, alten Filmen, fremdsprachigen Filmen. Nach Filmen die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht.

© Paramount Pictures

Die unvergessliche Weihnachtsnacht
(Originaltitel: Remember the Night | USA 1940)
Regie: Mitchell Leisen
Darsteller: Barbara Stanwyck, Fred MacMurray
Kinostart Deutschland: 06. Juni 1981 (TV-Premiere)

Was ist das für ein Film?
Ein häufig unterschätzter oder gänzlich unbekannter Quasi-Weihnachtsklassiker aus der berühmten Feder von Preston Sturges (Sullivans Reisen, Die Falschspielerin). Lee Leander (Stanwyck) lässt sich zu einem Diebstahl hinreißen. Um sich selbst zum anstehenden Weihnachtsfest zu beschenken, will sie Schmuck stehlen und wird prompt erwischt. Bei der gerichtlichen Anhörung sitzt ihr Assistenzstaatsanwalt Jack Sargeant (MacMurray) als Ankläger gegenüber, der befürchtet, die Geschworenen könnten durch rührselige Weihnachtsstimmung zu nett zur Angeklagten sein. Daher lässt er den Prozess über einen Trick pausieren; Wiederaufnahme erst nach den Festtagen, wenn weihnachtliche Besinnlichkeit von winterlicher Härte abgelöst wird. Doch dann wird Jack von seinen eigenen Weihnachtsgefühlen und seinem Gewissen gepackt, entschließt sich, Lees Kaution zu übernehmen, damit sie den Heiligen Abend nicht allein in der Zelle verbringen muss. Durch ein Missverständnis landet Lee aber in Jacks Wohnung und kurz darauf in dessen Auto. Eigentlich will er nur etwas Nettes tun und Lee zu ihrer Mutter in Indiana bringen, wo auch Jacks Elternhaus steht. Doch die Reise nimmt einige ungeahnte Abzweigungen.

Warum sollte mich das interessieren?
Vier Jahre, bevor sie in „Frau ohne Gewissen“ Noir-Filmgeschichte schreiben sollten, fanden Barbara Stanwyck und Fred MacMurray hier schon einmal für die Leinwand zusammen. Zwei der charismatischsten und wandlungsfähigsten (relativ gesehen) Stars der klassischen Hollywoodphase, die hier ein Script bekommen, welches ihnen sämtliche Facetten abverlangt. Die kriminalistischen und juristischen Aspekte des Anfangs sollen zwar in erster Linie die Handlung ins Rollen bringen und die Figuren zueinander finden lassen, doch sie sind auch mehr als nur Mittel zum Zweck. Nicht nur landen beide Charaktere während ihrer Fahrt schnell in einer neuen rechtlichen Bredouille, Lees Vergehen und ihre eventuelle Reue sind ein dramatisches Kernelement, wie auch Jack als windiger Staatsanwalt, der sich mit Haken und Ösen durch juristische Grauzonen windet, gewisse Entscheidungen trifft und Entwicklungen durchmacht. Aus dem Kriminalfall entsteht die Moral und wird kombiniert mit klassischer Screwball-Attitüde. Was sich liebt das neckt sich. Aus der bissigen Romcom wird durch die wehmütige Land-Heimeligkeit der zweiten Filmhälfte, wenn man bei Jacks Familie in Indiana gelandet ist, eine echte Romanze mit einigen erstaunlich komplexen dramatischen Entwicklungen. Mit einer passenden Dosis Weihnachtskitsch aufgepeppt, bilden zum Ende hin sämtliche Aspekte kombiniert den perfekten Abschluss.

Regisseur Mitchell Leisen, kein übermäßig großer Regie-Name dieser Zeit, konnte in seinen 30+ Filmen für Paramount dennoch die halbe Hollywood A-Klasse der 30er und 40er vor der Kamera versammeln und setzt das erstklassige Preston Sturges Script hier gekonnt um, ohne der Geschichte zu sehr einen markanten Regie-Stempel aufzudrücken. Die beiden hervorragenden Hauptdarsteller und die wunderbar effektiven Nebenrollen gehen einen ganz ähnlichen Weg. Es ist die etwas subtilere, bittersüße Version des großen (und sehenswerten) Weihnachtskitsch-Klassikers „Ist das Leben nicht schön?“ (1946). Vermutlich hat „Die unvergessliche Weihnachtsnacht“ daher auch den weniger großen Stellenwert und den weniger großen Bekanntheitsgrad. Insbesondere in Deutschland ist der Film kaum bekannt. Wie so viele amerikanische Filme der Kriegsjahre fand „Remember the Night“ erst später den Weg zu uns. Viel später. Satte 40+ Jahre später. Wirklich etablieren konnte sich dieser Film hier also nie. Auch die deutsche TV-Landschaft holt dieses Festtagsjuwel nur äußerst selten hervor, was mehr als bedauerlich ist. Aber daran kann man arbeiten. Man kann sich mit Neugierde vorwagen und dafür sorgen, dass „Die unvergessliche Weihnachtsnacht“ nicht vergessen wird.

Auf DVD erhältlich.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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