BG Noirvember Kritik: „The Hitch-Hiker“ (1953)

24. November 2020, Christian Westhus

Der Noirvember wird schwarz. Über den November verteilt stellen wir euch einige der besten und spannendsten Werke des Film Noir vor. Die Schwarze Serie Hollywoods: Schnüffler, Mörder und Betrüger, Femmes Fatales, dunkle Schatten und Zigarettenqualm. Der heutige Spät-Noir gilt als der erste von einer Frau inszenierte Film des Genres, Ida Lupinos „The Hitch-Hiker“, 1953.

© Kino Lorber

The Hitch-Hiker
(USA 1953)
Regie: Ida Lupino
Darsteller: Edmond O’Brien, Frank Lovejoy, William Talman
Kinostart Deutschland: —

Noir an den Grenzen dessen, was eine Genre-Definition hergeben kann. Es gibt keinen schweigsam-kratzbürstigen Ermittler, keine halbseidenen Nachtclubs, keine Femmes Fatales. Die Polizei agiert hier nur im Hintergrund, die Frauenrollen maximal Extras am Rande oder als erwähnte Ehefrau, die nie in Erscheinung tritt. Es ist nicht einmal die „moderne“ Großstadt, in der sich diese Geschichte abspielt, sondern die mexikanische Wüste. Wir folgen drei Männern durch die karge offene Landschaft. „The Hitch-Hiker“ könnte ebenso gut ein Gegenwartswestern sein. Was nach heutigen Maßstäben „nur“ ein Thriller oder Krimi geworden wäre, wurde in den 1940ern und 50ern eben Noir genannt. So kann man aber auch erkennen, was das Genre eigentlich ausmacht, nämlich nicht so sehr Oberflächlichkeiten, sondern das Innenleben, die Figuren und die Emotionen. Ob eine zugequalmte Spelunke in Los Angeles oder das endlose Land unter der Sonne Mexikos, es macht am Ende keinen zu großen Unterschied, wenn wir es auch hier mit menschlicher Verrohung und den schier unaufhaltsamen Konsequenzen eines gewaltsamen Lebens zu tun haben. Noir ist eben auch ein Weltbild.

Nach Motiven von Daniel Mainwaring, der auf den realen per Anhalter fahrenden Serienmörder Billy Cook Bezug nahm, entwickelten Regisseurin Ida Lupino, Produzent Collier Young und Robert L. Joseph das Script für diesen raspelkurz auf knackige 70 Minuten konzipierten Film. „The Hitch-Hiker“ beginnt mit einer Warnung. Dies könnte auch Ihnen passieren, heißt es, denn die Umstände dieser Geschichte basieren auf realen Begebenheiten. Die anschließende Eröffnungsmontage ist grausam-effektiv, stellt den Anhalter-Mörder vor und zeigt das Ergebnis seiner Taten. Der Mörder dieses Films heißt Emmett Myers (William Talman, hitzig intensiv) und befindet sich gerade auf der Flucht in Richtung Süden. Die Kumpel Roy und Gilbert sind auf dem Weg zu einem Wochenende an der Baja California, als sie den folgenschweren Fehler machen und Myers als Mitfahrer in ihr Auto lassen. Mit ständig gezückter Knarre beordert der Psychopath die beiden Männer herum, nutzt sie als Fluchtfahrer und Schleuser, um der Polizei zu entkommen. Und die Männer versuchen, irgendwie aus Myers‘ Umklammerung zu entkommen.

Eine weitere Ungewöhnlichkeit in Sachen Noir (und in Sachen Hollywood) war Regisseurin Ida Lupino. Frauen hinter der Kamera hat es auch zu Stummfilm-Zeiten schon gegeben, doch es blieben immer Ausnahmen. Lupino, die gleichzeitig eine recht erfolgreiche Schauspielkarriere hatte, war dennoch eine Art Pionierin. Auch, da dieser Film gemeinhin als erster von einer Frau inszenierter Film Noir angesehen wird. Es ist müßig, etwas inhärent „Weibliches“ in Lupinos Stil zu suchen. Angesichts von einigen Tausend (oder so) männlichen Regisseuren würde es niemandem einfallen, ähnliche Versuche in die andere Richtung zu unternehmen. Was Lupino gelingt, sind Atmosphäre und Figuren. Unter Mithilfe von Kameramann Nicholas Musuraca (wir kennen seine Arbeit aus „Goldenes Gift“) und durch das knackige Script gehen Noir-Ideen, Road Movie Anleihen und Westernmotive erfolgreich Hand in Hand. Und dennoch werden die drei Hauptfiguren erstaunlich lebendig und real, was nicht nur am selten so konsequent eingebauten „realistischen“ Bartwuchs liegt. Die drei Hauptdarsteller sind effektiv, wenn es zum Beispiel um eine gefährliche Schießübung geht, doch Lupino gibt ihnen auch den Raum zum Spielen und die Aufmerksamkeit, um sie als wirkliche Figuren zu erforschen.

7,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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