Treasure Tuesday Spezialkritik: Ju-On The Grudge (Der Film)

14. Juli 2020, Christian Westhus

Gemeinsam neue Filme entdecken. Zum Beispiel einen der ausgewählten Schätze, die wir wöchentlich beim Treasure Tuesday vorstellen. Vergessene Filme, unterschätzte Filme, alte Filme, fremdsprachige Filme. Filme die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht. Heute schauen wir uns das Kino-Original einer aktuellen Netflixserie an, welches eigentlich gar nicht das richtige Original eines mittlerweile riesigen Franchises ist. Takashi Shimizus „Ju-On: The Grudge“ (2002).

© Nikkatsu, Lions Gate

Ju-on: The Grudge
(Juon – 呪怨 | Japan 2002)
Regie: Takashi Shimizu
Darsteller: Megumi Okina, Takako Fuji, Yui Ichikawa, Misa Uehara, u.a.

Was ist das für ein Film?
„Ju-on: The Grudge“ ist der erste offizielle Kinoableger der 2000 mit dem low-budget TV-Horror „Ju-on: The Curse“ (internationaler Titel) gestarteten Horrorreihe von Autor und Regisseur Takashi Shimizu. Inklusive zweier Origin-Kurzfilme, der vierteiligen Hauptreihe, der Spin-Off Reihe, des Reboots, eines Crossovers und vier amerikanischen Remakes sind das 13 Filme (+ 2 Shorts) in gut 20 Jahren. Schöpfer Takashi Shimizu drehte davon ganze sechs Filme und die beide Kurzfilme selbst. Nun steht zudem eine Reboot-/Origin-Serie bei Netflix zur Verfügung. Grund genug, nicht nur den neu verfassten Ursprung dieses Geisterhorrors zu schauen, sondern zum filmischen Ursprung zurückzukehren.

Sozialarbeiterin Rika (Megumi Okina) besucht das Haus der Familie Katsuya, um die kranke Großmutter der Familie zu pflegen. Doch schon bald hört Rika im Haus seltsame Geräusche, sieht eine schwarze Katze und begegnet einem unheimlich bleichgesichtigen Jungen, der eigentlich gar nicht hier sein dürfte. Dann schließlich, von einem markerschütternden Rasseln angekündigt, zeigt sich der tödliche Rachegeist von Kayako. Ein wenige Jahre zurückliegendes Gewaltverbrechen legte einen übersinnlichen Fluch auf das Haus. Dieser verfolgt nun auch Rika, die bald ermittelnden Polizisten und alle, die sich in ihrer Nähe begeben.

© Highlight Film

Warum sollte mich das interessieren?
Hideo Nakatas „Ringu“ brachte 1998 den so genannten J-Horror auf den Weg. Es dauerte ein, zwei Jahre, bis der Trend des abstrakt Unheimlichen aus Fernost auch in Europa und Nordamerika ankam, doch die Kinoversion „The Grudge“ gehörte im Zuge dessen zu den ersten und erfolgreichsten Importen, nicht zuletzt begünstigt durch das ebenfalls 2002 anlaufende (und erstaunlich starke) US-Remake von „Ringu“. Die oberflächlichen Kernelemente des Trends – Rachegeister, bleiche Gesichter und langhaarige japanische Mädchen – beeinflussen das „westliche“ Verständnis von J-Horror bis heute, u.a. aufgegriffen in „The Cabin in the Woods“. Wie jeder Trend oder Hype brachte auch J-Horror billige Trittbrettfahrer und so genannte Cash-Grabs hervor, doch davon ist „The Grudge“ (dt. „der Groll“) weit entfernt.

Takashi Shimizu kombinierte die Idee des „Haunted House“ Subgenres mit der japanischen Erzähltradition des Rachegeists (genannt Onryō). Doch noch entscheidender ist, was er aus diesen Versatzstücken macht. Nicht selten wird „The Grudge“ als Kinoremake der TV-Version „Ju-on: The Curse“ bezeichnet, doch eigentlich ist es eine Fortsetzung. Es ist eine Fortsetzung in dem Sinne, dass sich beide Filme (und ihre jeweiligen Fortsetzungen) um die Vorgänge in demselben verfluchten Haus drehen, auf dasselbe auslösende Gewaltverbrechen zurückgehen. Die tatsächlichen Hintergründe um die Tragödie der Familie Saeki ist in sämtlichen Filmen der Hauptreihe eher hintergründig – mal mehr und mal weniger stark erklärt. In der episodischen und oft a-chronologischen Präsentation der Handlung wirft Shimizu neue Figuren in den Dunstkreis des Hauses und von Rachegeist Kayako, die wiederum neue Figuren in Gefahr bringen.

Der eigentümliche Horrorstil von „The Grudge“ und der Kernphase von J-Horror war nicht zuletzt auch ein Trend der jeweiligen Zeit, verhält sich aber teilweise ähnlich und doch entscheidend anders zum US-Horror, der bis heute noch gerne Geister und Dämonen beschwört. Das Grauen kommt in „The Grudge“ ruhig und geduldig. Die Kamera bewegt sich wenig und wenn dann gezielt, um geschickt den oft unscharfen Hintergrund zu erweitern, auf eine dunkle Ecke oder ein Fenster hinzuweisen, wo es eine erste Entdeckung zu machen gibt. Nahezu komplett ohne Musik präsentiert, nutzt der Film stattdessen das Tondesign, die naturalistische Stille, unmittelbare Umgebungsgeräusche und ganz zentral einen Meilenstein des Horror-Sounds. Das Todesrasseln ist so effektiv, markant und gespenstisch, dass selbst die simpelsten Momente eine gewisse Beklemmung entfalten. Auch wirkt die langsame und ausgedehnte Präsentation durch den Klang und durch den eher langsamen Schnitt der mittlerweile nervtötenden „Jump Scare“ Handhabe im modernen Horror entgegen.

Das entscheidende Erfolgsrezept des Films liegt jedoch in der Erzählweise. Es ist eine besonders spannende Angelegenheit, glaubt man sich durch amerikanischen Geister- und Besessenheitshorror der Marke „Annabelle“, „Ouija“, „Polaroid“ oder „Truth or dare“ gewappnet und erwartet hier nun „mehr vom Gleichen“. Für eine ganze Weile wirkt „The Grudge“ auch mehr oder weniger vertraut, bis irgendwann die Kompromisslosigkeit des Konzepts zum Vorschein kommt. Diese Kompromisslosigkeit liegt nicht in der Art der Spannung oder gar der Gewalt, sondern in der Emotionalität und in der Unausweichlichkeit der Bedrohung. Für Kayako gibt es keine Grenzen, keine Hindernisse und keine Sättigung. Kayakos Geist ist das entscheidende Zahnrad in einem immerwährenden Mechanismus aus Gewalt und Tod. Mit diesem Wissen funktionieren schließlich auch die episodische Erzählweise des Films und die verwirrende Kontinuität des „Ju-On“ Franchises. Dieser Fluch hat einen Ursprung, kennt in seinem daraus resultierenden tödlichen Treiben aber weder Raum noch Zeit. Werden „amerikanische“ Dämonen früher oder später doch irgendwie gebannt, kontrolliert oder aufgehalten, treibt Takashi Shimizu sein beklemmendes „Schwarzer Peter“ Spiel bis zur letzten Konsequenz fort, dringt mit den zahlreichen filmischen Ablegern sogar bis in unsere Realität herein.

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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