BG Kritik: „The Power of the Dog“

11. Dezember 2021, Christian Mester

Jetzt auf Netflix – im März sicher einer der großen Oscar-Kandidaten. Im neuen Film von der Regisseurin von „Das Piano“ steht die Rivalität zwischen zwei unterschiedlichen Brüdern (Benedict Cumberbatch und Jesse Plemons) in der Westernzeit im Mittelpunkt…

Regie: Jane Campion
Besetzung: Benedict Cumberbatch, Jesse Plemons, Kirsten Dunst, Kodi Smit-McPhee

© Netflix – Trailer Screenshot https://youtu.be/xewOJ1BSqsw

Denkt man an die Westernepoche, so denkt man an harte Knochen wie John Wayne oder Clint Eastwood, an Rancher, Ranger, Revolver, Red Dead Redemption, Überleben des Stärkeren, Dreck, Pferde, Galgen, harte Arbeit von Sonnenauf- bis untergang, und genau von diesem Schlage ist Cumberbatches Figur. Seit Jahren arbeitet er auf einer Farm und genießt es, mit seiner kernigen Art zahlreiche Untergebene zu leiten. Seinen Bruder (Jesse Plemons war neulich noch der alberne Bösewicht in „Jungle Cruise“) indes hält er für ein Weichei. Der ist ein stiller, höflicher Typ, der sich gern chiq kleidet und überdies eins von diesen neumodischen Automobilen fährt. Inmitten des Westernlebens ist wenig Platz für so einen Loser, also schikaniert Cumberbatch ihn bei jeder Gelegenheit.

Alles ändert sich jedoch, als sein Bruder eine Frau (Kirsten Dunst) findet, eine verwitwete Gaststättenbesitzerin. Plötzlich ist er ein reicher Mann und Familienmensch, der mehr und mehr sein eigenes Leben führt und nicht mehr unter den Machtgriffeln seines Cowboybruders leiden muss, unwissend aber Probleme in den eigenen vier Wänden schafft. Ein weiterer Konflikt kommt hinzu, als sich zwischen dem künstlerischen Sohn der Gaststättenbesitzerin und Cumberbatchs Figur eine seltsame, eventuell bedrohliche Bekanntschaft anbahnt, bei der lange nicht klar ist, wer was im Sinn hat.

Wie man es sich schon anhand der Beschreibung denken kann, lässt „The Power of the Dog“ gezielt verschiedene Welten aufeinander prallen. Tatsächlich ist es gar nicht mehr Westernzeit, denn der Film spielt bereits nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1925. Die Dominanz der Cowboys ist also längst am Aussterben, und es sollen nun die Herren im feinen Zwirn sein, die die Macht mit Finanzen statt Colts übernehmen. Das beinhaltet auch Platz für andere Verhaltensweisen, andere Gefühle, andere gesellschaftliche Ideale, aber auch andere gesellschaftliche Probleme.

Campions Film, eine Umsetzung eines Romans aus den 60ern, behandelt gezielt Themen wie Depression, fehlende und unerwiderte Liebe, die Bedeutung von Maskulinität zum Überleben und in der Moderne, das Eingestehen und auch Überspielen eigener Gefühle und Schwächen, sowie die Konflikte, die unweigerlich bei dem Aufeinanderprallen verschiedener Ansichten aufkommen.

Prinzipiell sieht der Film erstklassig aus und ist gekonnt inszeniert, und Benedict Cumberbatch zeigt einmal mehr, dass er überaus talentiert ist. Leider ist es aber so, dass das Drama in seiner Gesamtkomposition nicht viel zu bieten hat, insbesondere inhaltlich. Der schwermütige Score von Jonny Greenwood impliziert zwar, dass der Film tiefsinnig, aufreibend und höchst emotional sein will, aber die eigentliche Handlung hat nichts tiefergehendes. Trotz der vielen leisen Töne geht Campion sehr grob mit bildlichen Metaphern um und imitiert dann wiederum emotionale Szenen anderer Filme, wie etwa die berühmte Hemd-Szene aus Brokeback Mountain (der, als kurzer Reminder, ein ausgesprochen gelungener emotionaler Film ist). Charakterintentionen sind immer schnell absehbar, und das eigentlich überraschende Ende wird durch einen unnötigen längeren Epilog verwässert. In der ersten Filmhälfte wird Cumberbatchs Rancher als Scheusal inszeniert, der schlicht jeden stört und nervt und sogar Pferde schlägt, was dann im späteren Filmverlauf erklärt und besänftigt wird… allerdings hat er da bereits einen gewissen Zenit überschritten, sodass er sich Sympathien nicht wirklich zurückholen kann. Auch die übrigen drei Hauptfiguren bringen im Filmverlauf wenig bis keine Sympathien auf; weder Plemons als stumpfer Ignorant, Smit-McPhee als schlaksiker Weirdo oder Dunst als einsilbig traurige Fastpianistin vemögen es, davon abzulenken, dass dies eine extrem unsympathische Gruppe Menschen ist. Das beeinflusst neben der gesamten Handlung auch das Filmende, das tragisch und bitter schmecken soll, ein Ende wie „Der schwarze Falke“ oder „Vom Winde verweht“ anklingen lassen will, leider aber größtenteils mit Gleichgültigkeit zurücklässt.

(Der seltsame Filmtitel bezieht sich übrigens auf ein Bibelzitat. Ein echter Hund spielt im Film keine Rolle und niemand erhält die Mächte eines Hundes.)

Fazit:

Jane Campions Romanverfilmung ist eine versucht feinfühlig erzählte Betrachtung verschiedener Welten im Umschwung; für manch einen sicherlich eine eher langweilige Geschichte, in der gefühlt nichts passiert, für andere indes womöglich eine faszinierender Mikrokosmos subtiler Konflikte. Schade ist, dass er trotz seiner visuellen Stärken nur wenig aus seiner Handlung macht.

4/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

Um an dieser Diskussion teilzunehmen, registriere dich bitte im Forum:
Zur Registrierung