BG Kritik: „The Village – Das Dorf“ (Treasure Monday)

25. Juni 2019, Christian Westhus

Der Film, der M. Night Shyamalans kreativen Abstieg einleitete. So hieß es jedenfalls damals und so heißt es noch immer häufig. Kann man das wirklich so sagen? Darum geht’s: Eine kleine, dörfliche Gemeinde lebt abgeschottet im ländlichen Pennsylvania. In den weitläufigen Wäldern rund um das Dorf hausen mysteriöse Kreaturen, die das Dorf nicht betreten, solange die Dörfler den Wald nicht betreten. Doch es kommt zu Vorkommnissen mit toten Tieren und Grenzüberschreitungen. In dieser Phase der Unsicherheit finden die blinde Ivy (Bryce Dallas Howard) und der eigenbrötlerische Lucius (Joaquin Phoenix) als Paar zusammen. Ein Schicksalsschlag verlangt bald, dass jemand aus dem Dorf die Waldgrenze überschreiten muss.

The Village – Das Dorf
The Village
(USA 2004)
Regie: M. Night Shyamalan
Darsteller: Bryce Dallas Howard, Joaquin Phoenix, William Hurt, Sigourney Weaver, Adrien Brody, Judy Greer
Kinostart Deutschland: 09. September 2004

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im November 2014.)

Das größte Problem von M. Night Shyamalans viel gescholtenem Film „The Village“ ist das komplizierte Ansehen seines Regisseurs und die damit verbundene Publikumsreaktion. Gelingt es, sich davon zu befreien oder dem zumindest nicht zu viel Bedeutung beizumessen, ist der Blick frei auf einen außerordentlich berührenden und stimmungsvoll eingefangenen Film.

M. Night Shyamalan war zu Beginn des neuen Jahrtausends das Wunderkind Hollywoods. Nach zwei kaum beachteten ersten Filmen („Praying with Anger“ und „Wide Awake“) war „The Sixth Sense“ 1999 ein sechsfach oscarnominierter (2x für Shyamalan selbst) weltweiter Kassenknüller. Das atmosphärische Gruseldrama mit dem Twist, über den die ganze Welt sprach, machte Shyamalan schlagartig bekannt und begehrt. „Unbreakable“ (2000) war mit seiner ungewöhnlichen Superheldenthematik verschachtelter und dennoch ein großer Erfolg, wie auch der Kornkreise/Alien Invasionsfilm „Signs“ 2002. Shyamalan wurde auch für ein durchschnittliches Kinopublikum ein Name, der mit Qualität, aber auch mit einer gewissen Erwartungshaltung verbunden war. Die Erwartung an vermeintlich intelligenten und stilvollen Grusel und an eine Überraschung am Ende. „The Sixth Sense“ und „Unbreakable“ machten mit überraschenden Wendungen im jeweiligen Schlussakt von sich reden, und auch „Signs“ führte im Finale vage Informationen neu zusammen und setzte sie in ein neues, überraschendes Licht. Doch die verpflichtende Erwartung einer Überraschung ist ein Oxymoron, an dem ein Schreiber nur scheitern kann.

Nach drei Kinohits fühlte sich Shyamalan jedoch unfehlbar. „The Village“ wird gemeinhin als Anfang vom Ende angesehen, als der Moment, wo der junge Regisseur, der zwischenzeitlich als legitimer Nachfolger von Steven Spielberg UND Alfred Hitchcock bezeichnet wurde, vom „The Sixth Sense“ Wunderkind zum Problemfall wurde, verantwortlich für spätere Komplettausfälle wie „The Happening“ und „The Last Airbender“. Die Welt sprach darüber, wie absurd der Twist war, wie wenig Sinn er angeblich machte, wenn man ihn realistisch betrachtet. Doch über die Bedeutung der neu offenbarten Informationen wollte eine lautstarke Mehrheit sich nicht wirklich auslassen. Man könnte fast sagen, „The Village“ besitze gar keinen Twist. Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie ihn „The Sixth Sense“ und „Unbreakable“ kurz vor Schluss als Umkehrung oder Neuausrichtung des Gesehenen präsentierten. Nach der Offenbarung, was es mit dem Dorf, den Kreaturen und dem Wald auf sich hat, läuft der Film noch gut zwanzig Minuten. „The Village“ will nicht unsere Perspektive ändern, will uns nicht austricksen, sondern lässt uns Einblick halten in eine Mikrokosmos Gesellschaft mit Parabelfunktion.

© Touchstone Pictures / The Walt Disney Company

Nicht der Film, sondern das Dorf hat ein Geheimnis. Es ist eine Gesellschaft, die auf Angst und Lügen aufgebaut ist, um etwas Kostbares und Wichtiges zu schützen. Lange Zeit ist dies gut gegangen, doch die Zeiten scheinen sich zu ändern. Der Film beginnt mit dem Tod. Ein Mann vom Ältestenrat muss seinen Sohn begraben. Kurz darauf werden gehäutete Tiere gefunden, scheinbar das Werk der Waldkreaturen, die näher und näher ans Dorf rücken. Es ist eine Gesellschaft, in der Gefühle zurückgehalten werden. Eine Frau bemerkt die Zuneigung eines Nachbarn nur, als sie darauf aufmerksam gemacht wird, dass er den Körperkontakt mit ihr forciert vermeidet, um seine wahren Gefühle nicht zu offenbaren. In dieses Gefüge treten Ivy und Lucius, die bald ihre echte und wahre Liebe füreinander entdecken. Beide haben sie eine Sonderstellung im Dorf. Ivy, als zweitälteste Tochter von Bürgermeister Walker (William Hurt), ist blind, doch ihre Schlagfertigkeit und ihr erhöhtes Empfinden, die wahre Natur der Menschen spüren zu können, helfen ihr, sich frei im Dorf zu bewegen. Lucius Hunt, als ältestes Mitglied der zweiten Generation, ist still, grüblerisch, sieht die Dinge häufig etwas anders als der Ältestenrat.

Als Film in der Tradition der letzten drei Shyamalan Erfolge wurde „The Village“ als Grusel- und Horrorfilm angesehen und vermarktet. Und natürlich gibt es derartige Momente, wenn die Anwesenheit der Kreaturen im Wald angedeutet wird oder wenn sie mit den rot leuchtenden (Rot ist die verbotene Farbe im Dorf; natürlich rot!) Umhängen das Dorf betreten. Doch im Kern und im Herzen ist „The Village“ eine moralische Parabel und ein Liebesdrama. Natürlich wurde das schon damals häufig erkannt, doch man warf Shyamalan vor, es nicht geschafft zu haben, daraus einen guten Film zu machen. Shyamalans Figuren sind in ihrer Ernsthaftigkeit, in ihrer beherrschten Emotionalität, unter der es mal mehr, mal weniger brodelt, sicherlich nicht einfach einzusortieren. Manche Dialoge wirken gestelzt, mit Bedeutung und Wichtigkeit überladen. Doch im Gegensatz zu „Signs“, wo das prätentiöse Gequatsche auf Dauer ermüdete und in einem unbefriedigenden Ende mündete, bleibt „The Village“ sich und seinen Themen treu.

Die emotionale Beherrschtheit ist Teil dessen, was durch dieses Dorf aufgebaut werden soll. Die Liebe zwischen Ivy und Lucius, die diese Angst vor wahren Gefühlen, vor unkontrollierbarer Leidenschaft in der großen Szene auf der Veranda langsam durchbrechen, ist der nötige Kontrastpunkt dazu. Das wird kaum deutlicher als in der vielleicht besten Einzelszene Shyamalans bisheriger Karriere, wenn die blinde Ivy ihre Hand in die Dunkelheit ausstreckt, die Monster in der Nähe wissend, aber auf Lucius‘ Hand wartend. Es ist ein meisterhaft inszenierter, hochemotionaler Moment, der einen Wendepunkt markiert. Auch Dank James Newton Howards fantastischer Musik und der gewohnt ausdrucksstarken Lichtwelt von Kameragenie Roger Deakins. Es geht nicht um die Bedrohung durch die Monster oder um das Geheimnis hinter den Wäldern. Es geht um Ivy und Lucius, es geht um das, was sie repräsentieren und was zum Erhalt ihrer Liebe möglicherweise geopfert wird. Bryce Dallas Howard ist großartig als Ivy, die gleichzeitig die unbeschwerte, noch kindliche Unschuld verkörpert, die die Ältesten bewahren wollen, die aber eine erwachsene Neugier entwickelt und Entscheidungen für ihr Leben treffen will. Die Erfüllung des finalen Auftrags hat die Macht, das Leben im Dorf unrettbar zu verändern, aber auch, ihm einen Neuanfang zu gewähren, die Strukturen durch eine Rettung der Nachfolgegeneration zu wahren. Der Film entlässt uns mit der Frage zurück, ob diese Strukturen es wert sind, bewahrt zu werden, ob das Experiment „Dorf“ funktioniert.

Fazit:
M. Night Shyamalan hatte nicht ohne Grund mal einen sehr guten Ruf. „The Village“ ist moralische Parabel und Liebesdrama, weniger ein Horrorfilm. Visuell herausragend und stark gespielt fasziniert der Film auf emotionaler und intellektueller Ebene. Vorausgesetzt, man weiß mit Shyamalans Inszenierungsstil, seinem Ruf und dem Schlussdrittel umzugehen.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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