BG Kritik: „Captain America: The First Avenger“

15. Juli 2011, Christian Mester

Der Zweite Weltkrieg. Steve Rogers (Chris Evans) will unbedingt in die Army, um seinen Kameraden an der Front zu helfen. Aufgrund seiner nur kümmerlichen Statur und schweren Asthmas wird er jedoch immer wieder abgelehnt, bis der mysteriöse Doktor Erskine (Stanley Stucci) den Enttäuschten erspäht und ihn für ein geheimes Projekt aufnimmt. Mit Hilfe eines speziellen Serums formt er Rogers zu einem 1,85m großen 100kg-Muskelpaket mit übermenschlicher Ausdauer und Stärke.

CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER (2011)
Regie: Joe Johnston
Cast: Chris Evans, Hayley Atwell, Hugo Weaving, Tommy Lee Jones

Kritik:
Rogers freut sich über seinen Wandel zum perfekten Kämpfer, doch als das Experiment sabotiert und weitere Supersoldaten somit unmöglich gemacht werden, will man ihn plötzlich nicht mehr riskieren. Als alberne Werbefigur Captain America schickt man ihn auf eine harmlose Werbetour, auf der er alsbald von richtigen Soldaten veralbert wird. Diese staunen nicht schlecht, als ‚Cap‘ eines Tages mutig allein in den Kampf zieht und dabei Erstaunliches vollbringt. Fortan gilt es gemeinsam, den größenwahnsinnigen Nazi-General Red Skull (Hugo Weaving) davon abzuhalten, die Welt zu erobern. .

Captain America hat guten Grund zur Sorge, denn dank seines Nationalflaggenkostüms hatte es der Supersoldat außerhalb Amerika noch nie sonderlich leicht. Während ihn Erwachsene zumeist als tumbes Aushängeschild für US-Patriotismus belächeln, bestände ‚Cap‘ wohl auch in diversen Kinderzimmern keinen größeren Beliebtheits-Wettbewerb. Gegen etablierte Helden wie Batman, Wolverine, Spider-Man und Konsorten hat der Supersoldat mit den Asterix-Flügelchen am Kopf keine Chance – die angesagte Konkurrenz ist schlichtweg cooler. In Europa ist er demnach ein Held zweiter Liga, die er sich mit anderen Comic-B-Stars wie Black Panther, Luke Cage und She-Hulk teilen darf. Alles soll sich nun mit Captain America: The First Avenger 3D ändern, der sich ähnlich wie Iron Man und Thor in die Herzen aller Kinofans kämpfen will. Versprochen werden dieselben Qualitäten, die schon die anderen Marvel Studios Filme ausmachten: tolle Action, markante Figuren, Charme und Abwechslung. Führte Thor zuletzt auf den Planeten einer außerirdischen Kriegerrasse, spielt dieser nun in der zerrütteten Welt der 40er Jahre. Die Regie des im Zweiten Weltkrieg angesiedelten Actionfilms führt Joe Johnston, der zuvor Jurassic Park 3 und Wolfman inszenierte. Für die Rolle des Captains besetzte Johnston einen Schauspieler, der schon Erfahrung im Metier hat: Chris „Die menschliche Fackel“ Evans war schon an fünf anderen Comic-Umsetzungen beteiligt.

Um das größte Vorurteil direkt vorweg zu nehmen: trotz des Filmtitels, des Posters und des Heldenkostüms ist Captain America keine überpatriotische Selbstbeweihräucherung der USA. Vielmehr ist es ein kurzweiliger, aber nie alberner Retro-Sci-Fi-Actionfilm geworden, der um seine vermeintlich stupiden Motive weiß und diese selbstkritisch, sowie angenehm augenzwinkernd präsentiert. Dass der Captain ein albernes Kostüm trägt und mit seinem Schild eine eher ungünstig anmutende Nahkampfwaffe hat, ist dem Film bewusst; es wird jedoch passend erklärt, wieso alles dazu kommt und so verwendet, dass es hinreichend plausibel zum Rest passt. Viel wichtiger ist indes, dass ‚Cap‘ selbst eine tolle Heldenfigur geworden ist. Er ist ein selbstloser, bescheidener, vor allem überaus mutiger junger Mann, der Krieg keineswegs als reinen Spaß sieht. Im Gegensatz zum Punisher versucht er, Tote möglichst zu vermeiden und bemüht sich edel darum, anderen das Leben zu retten. Chris Evans gibt dabei eine sehr zurückhaltende Darbietung, die Spaß macht, sich den Umständen entsprechend nachvollziehbar verhält und dessen vorsichtige Anbandelei mit einer britischen Offizierin (Hayley Atwell) niedlich und nie störend auffällt. Er schafft, was Green Lantern kürzlich völlig misslang: eine ehrliche, vorbildliche Heldenfigur zu entwickeln, der man gerne folgt, die Frauen betört, die Kinder gern sein möchten.

Captain America: The First Avenger 3D nimmt unter den letzten Heldenfilmen visuell eine besondere Rolle ein, da er zum Großteil im Zeitalter des Zweiten Weltkriegs spielt. Damit sind natürlich 40er Jahre Mode und Kämpfe in einem von Nazis belagerten Europa verbunden, doch Johnstons Film setzt noch einen oben drauf. Aufgrund eines okkulten Artefakts aus dem Film Thor verfügt Red Skulls separate Nazi-Einheit HYDRA über futuristische Hightech; es kollidieren 40er Jahre Designstudien mit utopischen Laserwaffen aus der Zukunft. ‚Cap‘ kämpft also nicht bloß gegen Nazis, er kämpft gegen haushohe Panzer, UFO-artige Flugzeuge und maskierte Soldaten der Marke ‚das Ubersoldat‘. Das mag den Bogen das Phantastischen für manch einen zu weit überspannen, doch wer damit klar kommt, erlebt eine der comichaftesten Marvel-Verfilmungen bislang. An G.I. Joe: Geheimauftrag Cobra erinnernd, sorgt Johnston für schnelles Tempo und unterhaltsame Dauer-Action, die mit beschwingter, oftmals durchaus selbstironischer, zeitgemäßer Musik untermalt wird. Evans ist zum Glück nicht die einzige gelungene Besetzung, so wird er rundum von interessanten Figuren umgeben. Tommy Lee Jones gibt einen herrlich knurrenden Commander ab, Hayley Atwell eine überraschend ehrliche, nicht-stupide Love Interest, und sämtliche Nebendarsteller, die Captains besten Freund Bucky, das Soldatenteam Howling Commandos, seinen Doktor und seinen Chef-Entwickler spielen, reichen sich gegenseitig solide die Klinke in die Hand. Ebenfalls erfreulich ist Bösewicht Hugo Weaving, der nach seinem Agent Smith aus den Matrix-Filmen erneut einen größenwahnsinnigen Tyrannen spielen darf – dieses Mal mit knallroter Skelettfratze. Lustigerweise sprach er davor dreimal Megatron aus den Transformers-Filmen, der zur Welteroberung ebenfalls mit einem übermächtigen Würfel Böses im Schilde führte.

Wer sich im Marvel Universum auskennt, findet erneut viele eingestreute Easter Eggs vor. Nicht nur, dass Iron Mans Vater Captain America mit kreiert, es gibt die erste menschliche Fackel zu sehen, es wird impliziert, was später mit Bucky Barnes und Anim Zola passiert, und selbstredend darf die obligatorische Verknüpfung zum kommenden Avengers – Die Rächer Zusammentreffen der Superhelden nicht fehlen. Angenehmerweise ist letzteres dieses Mal nicht ganz so aufgezwungen präsentiert wie in Thor und Iron Man 2. Beim Abspann übrigens sitzen bleiben – es folgt ein erster Trailer zum im Mai kommenden Film. Wo aber nun liegen die Schwächen des Captains? So angenehm kurzweilig der Film auch sein mag, so fällt er insgesamt etwas zu kurzweilig aus. Kleine, sehr gelungene Charaktermomente heben ihn zwar über völlig seelenlosen Hollywood-Einheitsbrei wie Der Zoowärter, doch etwas mehr Tiefe würde gewiss nicht schaden. Zu kurz kommt insbesondere Bösewicht Red Skull, der faustschüttelnd wettert, die Welt erobern zu wollen, jedoch trotz netter Theatralik recht eindimensional bleibt. Einen herben Schlag trifft die technische Präsentation des Films: das verwendete, nachkonvertierte 3D ist eine absolute Katastrophe. Bis auf zwei winzig kleine Momente gibt es keine Wow-Effekte, überdies nahezu keine Tiefenwirkung im gesamten Film – das womöglich schlechteste 3D seit Louis Leterriers Kampf der Titanen. Dafür ist der Film an sich effekttechnisch klasse gemacht: beeindruckend ist der komplett computerveränderte Körper Chris Evans‘ in den Anfangsszenen, in denen der Hühne glaubhaft geschrumpft ist.

Fazit:
Wer Comic-Fan ist, der kommt um den Captain ohnehin nicht drum herum – er ist das finale Puzzlestück, bevor die Avengers im nächsten Mai das Kino sprengen und mindestens genau so gut wie der letzte Ableger, Thor. Kennt man Steve Rogers noch nicht, so darf man am besten G.I. Joe: Geheimauftrag Cobra im Zweiten Weltkrieg erwarten: flotte, aber auch trashige Mega-Action mit Retro-Sci-Fi-Elementen, die sich zum Glück nicht allzu ernst nimmt, insgesamt aber auch nie zu plump ausfällt. Wenn schon simples, stupide anmutendes Helden-Actionkino, dann bitte so charmant und visuell interessant wie in diesem Fall.

7/10

Autor: Christian Mester

Dieser Filmenthusiast (*1982) liebt es, manchmal auch mit Blödsinn, Leute für Filme zu begeistern. Hat BG im Jahr 2004 gegründet und ist dann für Pressevorstellungen, Interviews und Premieren viel rumgereist, hat als Redakteur u.a. für GameStar geschrieben, war dann mal Projektleiter in einer Werbeagentur mit Schwerpunkt dt, Kinostarts und - schaut gerad vermutlich schon wieder was.

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