BG Kritik: „Die unglaubliche Geschichte des Mr. C“

26. August 2019, Christian Westhus

Großartiger Sci-Fi-Fantasy-Klassiker: Nach einem Kontakt mit einer pestizidverseuchten Wolke beginnt Scott Carey zu schrumpfen. Zunächst verliert er nur wenige Zentimeter, doch irgendwann wird sogar die eigene Hauskatze zur Gefahr.

Die unglaubliche Geschichte des Mr. C
(Originaltitel: The incredible Shrinking Man | USA 1957)
Regie: Jack Arnold
Darsteller: Grant Williams, Randy Stuart
Kinostart Deutschland: 31. Mai 1957 (Westdeutschland)

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im August 2015.)

Die Science-Fiction- und Monster-Filme der 50er Jahre werden heute häufig als nostalgischer Trash liebevoll belächelt. Jack Arnolds Schrumpf-Klassiker verdient jedoch weitaus mehr.

Kontext ist alles. Manchmal auch ein Hindernis. Denn im Kontext der Filmographie seines Regisseurs und im Kontext des populären Genrekinos seiner Entstehungszeit ist „Die unglaubliche Geschichte des Mr. C“ nur ein effektreiches Grusel-Sci-Fi-Abenteuer unter vielen. Regisseur Jack Arnold drehte zuvor den Universal Klassiker „Der Schrecken vom Amazonas“ und den Spinnen-Horrorfilm „Tarantula“; beides wahrlich keine lieblos runtergekurbelten Filmchen von der Stange, sondern gekonnt inszeniertes Genrekino. Und dennoch ragt dieser Film aus Arnolds Karriere und aus dem reichhaltigen Fundus der Genrefilme der 50er heraus.

Basierend auf einem Roman von „I am Legend“ Autor Richard Matheson, der sein Werk selbst als Drehbuch adaptierte, ist „Die unglaubliche Geschichte des Mr. C“ ein überraschend vielschichtiges und erstaunlich komplexes Drama mit übernatürlichem Auslöser. „Der Tag an dem die Erde stillstand“ von 1951 genießt bis heute, trotz seiner polemisch-plumpen Ausrichtung, einen hohen Stellenwert in der Kinogeschichte. Doch es ist dieser Film, der die Möglichkeiten des Genrekinos effektiv und vielfältig auslotet. Man könnte „Die unglaubliche Geschichte des Mr. C“ vielleicht mit „Die Fliege“ vergleichen, allerdings eher mit dem 1986er Remake von David Cronenberg. Es sind nicht die grotesken und blutigen Metamorphosen aus „Die Fliege“, die diesen Vergleich nahe legen, sondern die Art, wie ein Science-Fiction Konzept zum existentialistischen und metaphorischen Drama umfunktioniert wird. Scott Carey, ein einfacher Mann und Ehe-Mann in den 1950ern, sieht sich bald seiner Lebensgrundlage beraubt. Er beginnt zu schrumpfen und damit an Bedeutung zu verlieren.

© Universal Pictures

Jack Arnolds Film hat im Prinzip zwei Hälften. Die erste Hälfte, wenn Scott Carey seinen Größenverlust merkt und damit umgehen muss, wie auch seine Frau Louise damit umgehen muss, entwickelt sich fast wie ein Krankheitsdrama. Kleidung passt nicht mehr, Scott hat Gewichtsverlust und wundert sich bald, dass seine Frau für einen Kuss nicht mehr auf ihre Zehenspitzen hoch muss. Ärzte sind ratlos, versuchen ihr Bestes, doch Scotts Schicksal scheint besiegelt. Kurzzeitig versucht er dieses gewinnbringend an die Öffentlichkeit zu bringen, denn einen normalen Beruf kann Scott, der kaum mehr so groß wie ein Grundschulkind ist, nicht mehr ausüben. Doch Scott verzweifelt. Mit Sets in Übergröße, die Scotts Kleinwüchsigkeit hervorheben, ist diese Geschichte weniger unterhaltsame Kuriosität als vielmehr ein hochemotionales Drama. Welche Rolle kann Scott in dieser Welt und für seine Frau spielen, wenn er mit jedem Tag kleiner, zerbrechlicher, angreifbarer und kraftloser wird? Statt der Ernährer der Familie zu sein, sieht sich Scott als Bürde und sieht kurzzeitig nur einen Ausweg aus seiner Misere. Diese erste Hälfte ist so gut und überraschend, auch dank der beiden tollen Hauptdarsteller, dass die erwartungsgemäß knappe Laufzeit von nur 80 Minuten die Entwicklung arg beschleunigt und viele faszinierende Momente überspringt oder verkürzt.

Die zweite Hälfte, die Arnold mit einem bemerkenswert effektiven Schnittübergang einleitet, sieht Scott auf die Größe einer Barbiepuppe geschrumpft. Sein Kampf ums Überleben ist auch gleichzeitig ein Kampf darum, überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Seine Existenz schwindet und obwohl „Die unglaubliche Geschichte des Mr. C“ mit der Odyssee im Keller, dem Kampf gegen Katze und Spinne, der Suche nach Essen mit schier unüberwindbaren Kletterhindernissen deutlicher die Art von effektreicher Abenteueraction wird, die man ursprünglich erwartete, haben Jack Arnold und Richard Matheson keine Angst davor, die existentielle Notsituation, in die sie ihre Hauptfigur rücken, gezielt zu durchleuchten. Man mag über die Effekte, die häufig amüsant, manchmal aber nach wie vor bemerkenswert sind, schmunzeln wollen, doch der große Reiz des Films liegt nicht im Abenteuer, sondern in der Bedeutung des Abenteuers für unseren schwindenden Helden, der sich in einem sich stetig erweiternden Weltbild finden muss.

Fazit:
Spannender, technisch einfallsreicher, erstaunlich cleverer und intelligenter Sci-Fi Abenteuerfilm, der eigentlich ein großes Persönlichkeitsdrama ist.

9/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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