BG Kritik: „Bis das Blut gefriert – The Haunting“ (Treasure Monday)

30. Juni 2020, Christian Westhus

Gruselklassiker und Erstverfilmung der Romanvorlage, die auch der Netflixserie „Spuk in Hill House“ diente. Ein Wissenschaftler lädt Probanden in ein altes Anwesen mit düsterer Vergangenheit ein, um paranormale Phänomene zu erforschen und zu beweisen. Doch eine Probandin, die schüchterne Eleanor (Julie Harris), reagiert ganz besonders auf Hill House.

Bis das Blut gefriert
(Originaltitel: The Haunting | USA, UK 1963)
Regie: Robert Wise
Darsteller: Julie Harris, Claire Bloom, Richard Johnson, Russ Tamblyn
Kinostart Deutschland: 03. Januar 1964 (Westdeutschland)

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im Oktober 2015.)

Wohliger psychologischer Grusel, mit einem Klassiker des Genres. Jeder Mensch wird auf die Frage, was sie in Angst versetzt, etwas Anderes nennen, eine ganz persönliche Variation unterschiedlicher Stimuli, die Furcht, Unsicherheit und Unbehagen heraufbeschwören. Dennoch scheint die Angst vor dem Unerklärlichen in uns selbst, das Gefühl, nicht einmal sich selbst trauen zu können, im Vergleich deutlich universeller zu sein. Robert Wises Klassiker „Bis das Blut gefriert“, basierend auf Shirley Jacksons Roman „The Haunting of Hill House“, zieht seinen Reiz eben daraus, seine Hauptfigur so sehr ins Zentrum zu rücken, dass ihr psychischer Ausnahmezustand auch auf den Zuschauer übergreift.

Die von Julie Harris verkörperte Eleanor Lance ist eine der faszinierendsten Figuren des Horrorkinos. Das mag anmaßend erscheinen, doch warum „Bis das Blut gefriert“ bis heute seinen Status als Maßstäbe setzender Klassiker halten konnte hat nicht zuletzt mit den Figuren zu tun. Eleanor ist schwach, in sich gekehrt und zutiefst verunsichert, verbrachte ihr sprödes Leben bisher nahezu ausschließlich damit, ihre kranke Mutter zu pflegen. Auf die Einladung von Professor Markway folgt sie mehr aus einer existentiellen Not, denn aus Interesse an seiner Forschung. Für Eleanor, so glaubt sie, ist es ihre letzte Chance, ihrem Leben noch einen entscheidenden Impuls zu geben. Und nur zu gut positioniert sie sich als introvertierte Jungfer in einem überschaubaren Personalkreis, zu dem neben Markway auch der forsche junge Mann Luke und die telepathisch begabte, sexuell undurchschaubare Thea gehören. Von diesen Figuren gleichermaßen angezogen und abgestoßen reagiert Eleanor ganz besonders auf das Haus und dieses scheinbar auf sie.

© Warner Bros.

„The Haunting“ (Originaltitel) ist ein Musterbeispiel des klassischen Geisterhausfilms. Geradezu exemplarisch spielt Robert Wise alles durch, was wir von diesem Subgenre kennen und erwarten. Hill House selbst ist mal wieder ein außerordentliches Set, ein wild wucherndes Ungetüm zahlreicher Flure, geheimnisvoller Zimmer, geheimer Gänge und einsturzgefährdeter Wendeltreppen. Doch Regisseur Wise klappert nicht nur erwartungsgemäß die Mechanismen des Genres ab, er inszeniert sie nahezu an der Perfektion und mit einem so effektiv-geringen Bombast, mit so viel Wert auf unheilvolle Stille und subtile Erscheinungen, dass sein Film nur herausragen kann. Es klingt so simpel, doch wenn Eleanor sich in der Nacht ängstlich an eine fremde Hand klammert, diese an sich drückt, nur um kurz danach eine beklemmende Entdeckung zu machen, sind Stil und Marschroute des Films klar. Hier gibt es kein permanentes Kettenrasseln, keinen dominanten Soundtrack und trotz wundervoller Schwarzweißfotografie keine übermäßig langen Schatten, sondern eine faszinierende Vermischung von subtilen Toneffekten, kleineren Begebenheiten und der psychischen Grundsituation bei Eleanor.

Wenn der Grusel und das Gepolter am Ende auch zu etwas führen, wenn die Figuren oder zumindest wir noch einen Mehrwert haben, abgesehen von ein paar Strichen auf der Erschrecker-Liste, setzt sich ein Film wie dieser langfristig fest. Julie Harris‘ großartige Leistung verhält sich wie eine Ablehnung von Genrekonventionen. Den spannenden Charakter Eleanors als Unterbau, die immer mehr in die Vergangenheit von Hill House und in die Nöte ihrer eigenen Existenz driftet, spielt Harris keine ‚Scream Queen‘, kein banales Horroropfer, sondern eine komplex entwickelte Figur, deren Charakter durch Horrormotive und Angstvorgänge maßgeblich beeinflusst und weiterentwickelt wird. Bis heute hat der Moment, wenn eine Holztür sich nicht so verhält, wie es Naturgesetze vorschreiben, zu den bemerkenswertesten Momenten des Genres. Doch es ist Eleanor und mit ihr der Kampf um ihre individuelle Erfüllung, der uns überhaupt erst so richtig am glänzend inszenierten Grusel in Hill House teilnehmen lässt.

Fazit:
Ein eleganter, vielschichtiger, als Charakterdrama höchst faszinierender Gruselklassiker.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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