BG Kritik: „Outlaw King“

10. November 2018, Christian Westhus

Netflix liefert kein offizielles, aber ein historisches Quasi-Spin-Off zu „Braveheart“ mit Chris Pine in der Hauptrolle. Schottland zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Robert the Bruce, Earl of Carrick (Pine) entscheidet sich, mit der Unterwerfung vor dem englischen König Edward I zu brechen und wagt eine erneute Revolution für ein unabhängiges Schottland. Von Edward zum Abtrünnigen erklärt und von englandtreuen schottischen Lords geächtet, sieht sich Robert einer Übermacht gegenüber.

Outlaw King
(Originaltitel: Outlaw / King | USA, UK 2018)
Regie: David Mackenzie
Darsteller: Chris Pine, Florence Pugh, Aaron Taylor-Johnson, Stephen Dillane
Veröffentlichung Deutschland: 09. November 2018 (Netflix)

„Outlaw King“, oder wie ihn seine Freunde nennen: „Braveheart 2“

Robert the Bruce. Der Name könnte einem bekannt vorkommen, selbst wenn man kein Fachmann für Geschichte ist. In Mel Gibsons „Braveheart“ (1995) war Robert the Bruce ein schwächlicher Verräter mit leprösem Vater, der am Ende nur durch (Film-)Wallaces fast schon mythologische Größe in der Lage war, die schottischen Truppen gegen die Engländer zu führen. Ungefähr dort und doch ganz anders setzt David Mackenzies „Outlaw King“ an. Der Unabhängigkeitskrieg ruht und die schottischen Nobelmänner schwören König Edward I (Stephen „Stannis Baratheon“ Dillane) teuer erkaufte Treue. Erst Wallaces Tod und seine als Warnung verteilten Körperteile rütteln Robert the Bruce wach. Auch sein Vater, ein alternder Mann, aber weit entfernt von der grotesken Gestalt aus „Braveheart“, bereut die blutige Unterstützung Edwards. „Freiheit!“, scheinen Bruce Junior und Senior zu denken. Doch die englische Armee ist übermächtig, die schottischen Klans keineswegs geeint und in seiner ersten aktiven Aktion stellt Robert sicher, dass die neue Krone eines freien Schottlands auf seinem Haupt sitzt.

Wir müssen auch über Schriftzeichen sprechen. Als „Outlaw King“ steht der Film bei Netflix und in jedem Bericht gelistet, doch die tatsächliche Titeleinblendung im Film sieht minimal anders aus: „Outlaw / King“ heißt es dort. Mit Schrägstrich. Nicht simpel der Gesetzlosenkönig, sondern ein Mann zwischen zwei Extremen, als Gesetzloser und König, dessen Schicksal dadurch zwei Möglichkeiten seines Endes bereithält, als Gesetzloser oder als König. Diese gegenteiligen und doch auch wechselseitigen Aspekte beeinflussen die Darstellung Roberts. Das Verlangen nach der Krone ist da, doch dieser Robert ist ein glaubwürdig sanfter und in entscheidenden Momenten kompromisslos-harter Mann, der die englische Tyrannei mit ihren hohen Steuern und unnötigen Kriegen beenden will. Robert wühlt selbst im Dreck, lässt Verwundete auf seinem Pferd reiten und führt ein knappes Dutzend Krieger im Guerilla-Stil in eine von Engländern besetzte Burg. Amerikaner und Teilzeit-Starfleetkapitän Chris Pine spielt Robert the Bruce zurückhaltend, jedoch mit einer spürbaren Entschlossenheit und Rastlosigkeit in jeder Szene. Selbst sein schottischer Akzent im Originalton ist, sofern man das als Nicht-Schotte beurteilen kann, äußerst glaubwürdig.

© Netflix

David Mackenzies Film beginnt mit einer fantastischen Plansequenz, die in klugen Bildern und effektiv zugespitzten Dialogszenen die gesamte Komplexität der politischen Situation vorwegnimmt; im Großen und im Kleinen. Hier noch küsst Robert the Bruce die Hand des englischen Königs und liefert sich ein freundschaftliches Duell mit dessen Sohn, dem Prinzen von Wales, ehe Edward Longshanks die Macht der englischen Armee beeindruckend demonstriert. Sogar Roberts neue Ehefrau, Elizabeth de Burgh (Florence Pugh), wird von Edward vermittelt und ist als Erinnerung an Roberts Treueschwur gedacht. Doch nicht nur kommen Edward bald Zweifel, Elizabeth ist zudem eine selbstbewusste und belesene Frau, die ihren Ehemann bald schon nicht einfach als ihre Pflicht sieht, sondern wirklich von ihm und seinem neuen Plan überzeugt wird. Solange Robert und seine Brüder nach schottischen Verbündeten suchen, die schottische Kirche hinzuziehen, um sich auch in Gottes Namen für den schottischen Thron würdig zu machen, und solange das erste Gefecht mit Aymer de Valence bevorsteht, ist „Outlaw / King“ ein spannender und reizvoller Zusatz zu „Braveheart“, in seinem Fokus auf Politik und Zwischenmenschlichkeit wie eine komprimierte (frühe) Staffel „Game of Thrones“.

Doch irgendwann werden Robert the Bruce und seine Männer von Rückschlägen geplagt, müssen mehr und mehr zu Rebellen und damit zu William Wallace werden, ehe alles erwartungsgemäß in einer großen Schlacht endet. Die kleineren Gefechte und das große Aufeinandertreffen sind mehr als ordentlich inszeniert, zuweilen hart, blutig und insbesondere für Vierbeiner ausgesprochen unangenehm. Doch die ungehemmte Wucht aus „Braveheart“ bleibt unerreicht. Selbst das moderne Fernsehen hatte mit der „Schlacht der Bastarde“ aus „Game of Thrones“ mindestens Gleichwertiges zu bieten. Andererseits, ist dieser Film als Netflix-Produktion groß anders? „Outlaw / King“ setzt uns grausame Gewalt und unnötige Verschwendung von Leben zu Unterhaltungszwecken vor, ohne dabei irgendetwas Neues bieten zu können. Das emotionale Potential einer erfolgreichen Entscheidungsschlacht oder tragischen Niederlage ist inzwischen überschaubar. Wie oft noch können und wollen wir kriegerische Massen aufeinander zurennen und martialische Freiheitskämpfe als Unterhaltung sehen? Da spielt auch die Netflix Herkunft von „Outlaw / King“ keine Rolle, denn mit einem Budget im dreistelligen Millionenbereich haben wir es hier mit einem „Kino“ Blockbuster für die Massen zu tun.

Dabei schlummert im Drehbuch der Wille zu mehr, zu einer Alternative zum altbekannten Ablauf eines historischen Kriegsdramas. Robert the Bruce ist Witwer; seine erste Frau starb bei der Geburt von Tochter Marjorie. Das junge Mädchen ist etwas unsicher, aber auch neugierig, wie sie ihrer neuen Mutter Elizabeth begegnen soll. Elizabeths Selbstbewusstsein fasziniert Marjorie und auch uns, wie auch die zurückhaltend-respektvolle Annäherung zwischen den Neuvermählten spannend ist, die in der Dramatisierung dieses Films keine Funktionsehe führen, nicht auf Knopfdruck funktionieren, sich stattdessen tatsächlich kennen und schätzen lernen. Wirklich viel Zeit hat der Film dafür nicht übrig, doch auch nur, da es eben in der zweiten Hälfte mehr um andere Dinge gehen muss. So verkommen Elizabeth und Marjorie am Ende zu halb vergessenen Fußnoten und „Ach, übrigens…“ Einschüben, die man gerne auch zum Kernpunkt eines anderen „Outlaw King“ hätte machen können, gerade mit einer glühend intensiven Darstellerin wie Florence Pugh. Dieser theoretische Film wäre weniger spektakulär, aber menschlicher und vor allem eigenständiger. Nur zu leicht hätte man hier die Fragwürdigkeit der mörderischen Schlachtenunterhaltung aufgreifen und in einen menschlichen Kontext setzen können. In „Hell or High Water“ vermochte Regisseur Mackenzie noch feine Details einer Familienbeziehung auszuleuchten, doch hier muss er sich einem Wunsch nach Größe und Spektakel unterordnen, die dem Film mehr schadet als nutzt. „Outlaw King“ muss nicht der Präzedenzfall für die Zukunft des Mittelalter Schlachtenepos sein. Doch als eben solches Epos ist der Film nur einer von vielen und wahrlich nicht beste.

Fazit:
Hochwertig produziert, mit inszenatorischer und finanzieller Gewalt gefilmt und in seiner ersten Hälfte mit vielen spannenden politischen und charakterlichen Details. Doch je mehr „Outlaw King“ zu einem Schlachtenepos wird, desto bekannter und austauschbarer kommt uns das alles vor.

6,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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