BG Kritik: „Lucy“
Verrückte Sci-Fi-Action vom Regisseur von „Das 5. Element“: Eine junge Frau (Scarlett Johansson) gerät in einen großen Drogendeal und muss um ihr Leben bangen. Doch Kontakt mit der neuen Substanz macht aus ihr eine übermächtige Kriegerin.
Lucy
(Frankreich 2014)
Regie: Luc Besson
Darsteller: Scarlett Johansson, Morgan Freeman, Choi Min-sik
Kinostart Deutschland: 14. August 2014
(Diese Kritik erschien ursprünglich zum Kinostart des Films im August 2014.)
Wie viel Prozent Gehirnkapazität braucht es, um zu akzeptieren, dass Scarlett Johansson zurzeit einer der größten Actionstars des westlichen Mainstreamkinos ist? Nicht viel und falls das doch zu schwer zu erreichen ist, legt Regisseur Luc Besson ein weiteres Argument vor. Er stattet Black Widow mit Fähigkeiten aus, die ihre Avengers Kollegen beeindrucken würden und verbindet Scarlett Johansson gleichzeitig mit ihrer Rolle als stetig lernende Computer KI in „Her“.
Luc Besson träumt groß. Der Regisseur von „Leon – Der Profi“ und „Das fünfte Element“ ist kein bescheidener Mann, aber einer, der in den letzten Jahren überwiegend Animationsfilme drehte (drei Filme zu den Minimoys) oder Filme wie „Taken“ und „From Paris with Love“ produzierte, in denen Ein-Mann-Armeen im bösen Ausland grob ausmisten. „Lucy“ zeigt Besson wieder als verspielten Träumer, der zu lange im US-Blockbusterkino gebadet hat. Um aus Scarlett Johansson eine neue Superheldin zu machen, nutzt Besson einen pseudowissenschaftlichen Ansatz, der eigentlich schon längst als Irrtum zu den Akten gelegt wurde. Das Gerede von den ominösen 10% Gehirnkapazität, die wir nutzen, ist natürlich Käse. Sobald der Film den genetischen Ursprung der Droge und seine evolutionären Thesen als wesentlich leichter zu akzeptierende Grundlage ins Spiel bringt, ist das Spiel mit der Prozentskala gänzlich überflüssig. Aber es ist eben genau das; eine Skala. Lucy entwickelt sich weiter, erreicht höhere Level und bewegt sich auf ein klar abgestecktes Ziel zu, auf die vollen 100%. Wie Erfahrungslevel im Videospiel nutzt der Film die Prozentskala, um Fortschritt anhand arbiträrer Abstufungen zu suggerieren. „Pacific Rim“ tat das mit seiner Kaiju-Skala ebenfalls, ohne die Abstufungen auffällig zu unterscheiden.
Zunächst kommt etwas dabei heraus, das aussieht, als würde die Frucht der Vereinigung von „Matrix“ und „Ultraviolet“ so tun, als sei es „Crank Reloaded“. Scarlett Johansson überzeugt durch ihre super trockene und leise ironische Teilnahmslosigkeit, mit der die zunehmend von menschlichen Empfindungen entfernte Lucy durch die Gegend marschiert. In stilleren Szenen ist sie fast schon zu nuanciert für diesen „mehr ist mehr“ Film. Einmal mit der Wunderdroge infiziert, wird aus Lucy rasch eine eiskalte Killerin, die im Vorbeigehen Sprachen lernt, Krankheiten in Körpern fremder Leute entdeckt und sich an den Geschmack der Muttermilch erinnern kann, die sie als Säugling bekam. Besson kennt keine Grenzen bei seiner Fantasy-Superheldin. Manches passiert einfach nur, damit es passiert, damit wir Lucy mit Zell-Manipulation ihren Körper verändern sehen können. Eine Verfolgungsjagd, die zur Hälfte keine Verfolgungsjagd ist, sondern eine einzelne Hatz durch den Pariser Feierabendverkehr, macht besonders viel Spaß.
Das ganz große, Grenzen sprengende Absurd-Action-Fest ist „Lucy“ aber leider nicht und das wird schon recht früh deutlich. Zu Beginn spielt Besson noch mit assoziativen Einspielern, zeigt Ausschnitte aus Tierdokumentationen, um die Wirkung einer Szene zu unterstreichen. Je länger der Film läuft, desto rarer wird richtige Action und wenn die „bösen“ (aus Taiwan operierenden) koreanischen Drogengangster in Paris aufmarschieren, um mit Waffengewalt ihre Ware zurückzuholen, erinnert es leider an die fragwürden und schwer tragbaren Filme, die Besson zuletzt produzierte. Ab einem gewissen Punkt wird klar, dass Besson seinen „Inception“ und seinen „2001 – Odyssee im Weltraum“ machen will. Je länger der Film läuft, desto deutlicher werden die Parallelen. Statt seine neu geschaffene Superheldin in absurde Actionszenen zu schicken, ist Besson auf der Suche nach einem Gottwesen und schickt Lucy dabei auf eine spirituelle Reise jenseits der Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft. Ständig sprechen Lucy und Wissenschaftler Professor Norman (Morgan Freeman, mal wieder von Desinteresse beherrscht) von Zellen, die Informationen wiedergeben. So kann es kein Zufall sein, dass Lucy irgendwann wie der Fleisch gewordene Monolith aus eben „2001“ auftritt.
Besson übernimmt sich dabei jedoch, wühlt wild in Ideen herum und zeichnet in arg breiten Strichen, so dass „Lucy“ als transzendental-intellektuelle Science-Fiction kaum funktioniert. Die großen Ideen sind da, wirken aber wie ein Wikipedia Best-Of. Die Frage ist, wie ernst Besson dieses Anliegen wirklich war. Es ist ein schmaler Grat, abzuwägen und zu entscheiden, ob die Inszenierung selbstironisch und bewusst übertrieben ist, oder ob Besson Coolness mit Albernheit verwechselt. Ihm als Regisseur ist tatsächlich beides zuzutrauen, wenn unsere 20-Prozent-plus Lucy tötungsbereit den Flur entlangmarschiert, auf dem Weg zu ihrem Peiniger, unterlegt mit dem Kernstück aus Mozarts Requiem. Subtil wie ein Vorschlagshammer in die Kauleiste, dass man die Szene eigentlich unmöglich ohne euphorisch-amüsiertes Gelächter begleiten kann. Luc Bessons Selbstüberschätzung, Kreativität und Erfindungsreichtum machen aus „Lucy“ ein einzigartiges Biest von Film. Es ist entweder die bescheuerte Krönung eines idiotischen Films oder der ironische Höhepunkt eines grenzenlosen Unterhaltungsfilms, wenn Lucy am Ende ein gewisses technisches Gerät ausspuckt. Hier entscheidet sich für den Zuschauer, ob das unvermeidbare Lachen Spott ist oder Jubel. Eins steht jedenfalls fest: Langweilig wird „Lucy“ nicht so schnell. Unterhaltungsfilmen wie diesem begegnet man nur äußerst selten im zunehmend uniformen Multiplex.
Fazit:
Wunderbar überdrehtes Sci-Fi- und Actionchaos, das mit großen Ideen um sich wirft, ohne diese wirklich anzupacken. Einfallsreich und unterhaltsam, von einer überzeugenden Scarlett Johansson zusammengehalten.
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