Treasure Tuesday Spezialkritik: Jiro und das beste Sushi der Welt

5. Mai 2020, Christian Westhus

Was hilft gegen Lagerkoller? Filme gucken! Zum Beispiel einen der ausgewählten Schätze, die wir wöchentlich beim Treasure Tuesday vorstellen. Vergessene Filme, unterschätzte Filme, alte Filme, fremdsprachige Filme. Filme, die sich lohnen, auch wenn gerade nicht die halbe Welt über sie spricht. Heute schauen wir die Dokumentation über das womöglich beste Sushi Restaurant der Welt in „Jiro und das beste Sushi der Welt“ (2011).

© Koch Media

Jiro und das beste Sushi der Welt
(Originaltitel: Jiro dreams of Sushi | USA 2011)
Regie: David Gelb

Was ist das für ein Film?
Jiro Ono führt seit 1965 das Sukiyabashi Jiro, ein Sushi Restaurant mit zehn Sitzplätzen in einer U-Bahn Station in Ginza, Tokio. Es gilt als das beste Sushi Restaurant der Welt; das einzige, welches mit drei Michelin Sternen ausgezeichnet wurde. David Gelbs Dokumentation stellt den heute (05/2020) 94-jährigen Meisterkoch vor, der seitdem noch exklusiver geworden ist, womöglich im Zuge eines baldigen Ruhestands. Doch den eigentlichen Ruhestand kann es bei jemandem wie Jiro nicht geben. Sein Leben ist komplett auf seinen Beruf fokussiert und die entscheidende Zutat für ein erfolgreiches und erfüllendes Berufsleben ist der Drang nach und die Erfüllung von Perfektion. Jiro Ono widmete sein gesamtes Leben dem Beruf, der Selbstverbesserung und Perfektionierung seiner Speisen. Es sei vermeintlich einfaches Sushi, sagt ein Restaurantkritiker, ohne viel Spielerei, und dennoch sei Jiros Sushi das mit Abstand beste in ganz Tokio.

Jiros Kochperfektion zeigt ihn als stets fokussierten Star seines kleinen Restaurants und als Endpunkt einer im Hintergrund agierenden Mitarbeiterkette. Die Beschaffung der Waren auf dem Fischmarkt am frühen Morgen, die Lieferketten und Botengänge, die Reiswäscher und Hilfsköche im Restaurant, sie alle geben die Vorarbeit, ehe Jiro seine Meisterhände anlegt. Trotz seines rigiden Arbeitseifers ist Jiro verheiratet und hat zwei Söhne. Doch diese sind natürlich schon längst Teil des Systems geworden. Der Jüngere betreibt ein eigenes Schwesterrestaurant ebenfalls in Tokio, während der ältere Sohn erwartungsgemäß die rechte Hand des Vaters ist und diesen irgendwann beerben soll. Ob er will oder nicht. So ist Jiros meisterhafter Umgang mit Reis, Fisch, Soja und Co. auch eine Art Vermächtnis, ein Jahre andauernder Lehrgang hin zur Perfektion.

Warum sollte mich das interessieren?
„Jiro und das beste Sushi der Welt“ ist zunächst eine gewöhnliche Dokumentation, die Leben und Werk eines wahrlich arbeitsbesessenen Profis vorstellt. Der Film reißt Jiros Kindheit an, der seit dem 9. Lebensjahr auf sich allein gestellt war, zeigt in der Gegenwart einen kauzigen, strengen, aber auch unterhaltsamen alten Herrn und seine Mitarbeiter. Schon diese Aspekte der Person und der Abläufe im Restaurant sind interessant genug. Doch der eigentliche Clou lässt sich auf zwei Begriffe herunterbrechen: Food Porn.

Nein, wirklich. Wer auch nur ansatzweise Geschmack an oder ein Faible für Sushi hat, dem wird am Ende des Films der Magen knurren. Jiros Sushi Kunstwerke werden derart geschmackvoll, ja irgendwie sinnlich und pompös Appetit anregend präsentiert, dass es schon fast frustrierend sein kann, nicht eigenes Sushi zur Hand zu haben. Doch welches Sushi kann dieser Eleganz schon nahe sein? (In Tokio müsste man leben und bereit sein, zwei- bis dreihundert Euro pro Mahlzeit auf den Tisch zu legen.) Noch dazu unterlegt David Gelb seine wunderbaren Bilder mit dick aufgetragener, aber enorm effektiver Musik von Max Richter und allen voran Philip Glass. Es ist eine synästhetische Fusion, die die Besonderheit gut gemachten Essens hervorhebt. Nahrung kostet Zeit und Aufmerksamkeit, in Zubereitung und Konsum.

Vielleicht werden wir in einigen Jahren hierauf zurückblicken und eine barbarische Glorifizierung widernatürlichen Fleischverzehrs (ja, Fisch ist Fleisch) erkennen. Von der Grundsätzlichkeit der Frage des Fleischverzehrs abgesehen zeigt „Jiro“ jedoch die Vorzüge einer hochqualitativen und feierlichen Nahrungsaufnahme, die die Qualität einer perfekt zubereiteten Kleinigkeit so viel appetitlicher aussehen lässt als das Überangebot aus immervollen Supermarktauslagen, Fast Food Burgern und All-You-Can-Eat Büffets. Die anderen Seiten und die Konsequenzen des Berufs als Haute Cuisine Sushi-Koch ist sowohl dem Film, als auch Jiro und seinem ältesten Sohn bewusst. Auch sie warnen vor Überfischung, Profitgier und zerstörerischen Fangmethoden, die mehr Schaden anrichten als die Szenen auf dem Fischmarkt suggerieren.

Schau nach, wo man diesen Film gucken kann. (Aktuell bei Amazon Prime)

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Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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