BG Kritik: „Young Adult“ (Treasure Monday)

26. Juni 2019, Christian Westhus

Neues vom „Juno“ Team aus Regisseur Jason Reitman und Autorin Diablo Cody: Mavis Gary (Charlize Theron) ist geschieden, nähert sich der 40 und die Buchreihe, für die sie als Ghostwriter schreibt, soll eingestellt werden. Als sie hört, dass ihr Lover aus High School Tagen (Patrick Wilson) Vater geworden ist, macht sie sich auf in die alte, gehasste, kleinstädtische Heimat, um den Ex-Freund aus dessen angeblich so schrecklicher Ehe und in ihre Arme zu treiben. Doch auf dem Weg dorthin bleibt sie beim vermeintlichen Loser Matt (Patton Oswalt) hängen.

Young Adult
(USA 2011)
Regie: Jason Reitman
Darsteller: Charlize Theron, Patton Oswalt, Patrick Wilson
Kinostart Deutschland: 23. Februar 2012

(Diese Kritik erschien im Rahmen der Kritikenreihe Treasure Monday, ursprünglich veröffentlicht im Februar 2015.)

Nach drei bei der Kritik und/oder dem Publikum sehr erfolgreichen Filmen („Thank you for smoking“, „Juno“ und „Up in the Air“) gilt „Young Adult“ gemeinhin als erster Schritt hinab auf der Karriereleiter, die für Jason Reitman zuletzt Fehlschüsse wie „Labor Day“ und Totalflops wie „#Zeitgeist“ bereithielt. Doch das Gegenteil ist für „Young Adult“ der Fall. Nicht den Anfang vom Ende, sondern den letzten echten Höhepunkt markiert der von „Juno“ Autorin Diablo Cody geschriebene Film.

„Young Adult“ lebt voll und ganz von seiner Hauptfigur und der Reaktion des Publikums auf diese. Auftritt Charlize Theron als Mavis Gary, die sich bald schon zu einer der spannendsten Frauenfiguren der letzten Jahre entwickelt hat. Mavis ist festgehangen in der Vergangenheit, an der Idee einer aufregenden Zukunft als Erwachsene. Dabei ist sie schon längst erwachsen, doch ihre gescheiterte Ehe, das Ende ihrer Buchreihe und eine emotionale Leere lassen sie in ein Loch fallen. Dies ist nicht die Zukunft, die sie sich gewünscht hat. Das Spannende an Mavis ist, dass sie sich einen Teil dieser Zukunft vielleicht doch in etwa so gewünscht hat, nun aber feststellen muss, dass es ihr nicht genügt. So macht sie sich auf, den Ex-Freund aus High School Zeiten zu treffen, der frisch Vater geworden ist. Auf dem Weg dorthin, während der wunderbar effektiven Eröffnungstitel (die nur kurz unterbrochen werden, damit Mavis ihren Hund pinkeln lassen kann), hört Mavis ein und dasselbe Lied (auf Kassette!) immer und immer wieder, wie ein unbewusster Drang, das Leben zurück zu spulen, wieder eine junge, beliebte High Schoolerin zu sein, die das Leben noch vor sich hatte und diese Zukunft mit riesigen Luftschlössern bebaute. Nach weniger als zehn Minuten haben Diablo Cody und Jason Reitman eine enorm faszinierende, wunderbar widersprüchliche und schwierige Hauptfigur geschaffen.

Die Zukunft, inzwischen auch als Gegenwart bekannt, holt Mavis nach und nach ein. Selten ansprechender als in dem Moment, als die Band der Frau ihres Ex, Buddy Slade, genau das Lied covert, das Mavis auf der Fahrt in die alte Heimat gehört hat. Die Welt hat sich in den rund 20 Jahren nach dem Ende der High School weiter gedreht. Mavis hinkt hinterher oder zumindest sieht sie sich ihren eigenen Anforderungen entsprechend noch in der Bringschuld. Doch so, wie Mavis sich in die Vorstellung hereinsteigert, Buddy aus dessen objektiv betrachtet wunderbar funktionierenden, laut Mavis aber schrecklichen Ehe herauszulösen, sieht die ehemalige Schulschönheit die Schuld eigentlich nicht bei sich selbst. Auch der Rat bzw. die Kritik des ehemaligen Schulkollegen Matt (Patton Oswalt) kann daran nichts ändern.

© Paramount Pictures

Diablo Codys exzellentes, von gewohnt flippigen, aber nicht zu grellen Dialogen durchzogenes Drehbuch setzt Mavis und Matt als ungleiches und doch ähnliches Charakterpaar gegenüber. Mavis kann sich nur deshalb an den Mann, der sich selbst als „fetter Nerd“ bezeichnet, erinnern, da er das Opfer einer brutalen Prügelattacke durch Mitschüler war, die damals für viel Aufsehen sorgte. Wunderbar beiläufig und spitzfindig verweist Matt darauf, was die damals allseits beliebte Mavis im Geheimen mit solchen Jungs gemacht hat, die ihm Bein und Geschlechtsorgane zertrümmerten. Sie kommen aus verschiedenen Welten und doch können sie sich hier und da in die Augen blicken. Gerne mithilfe harter Alkoholika. „Young Adult“ ist eine echte Bewährungsprobe für all diejenigen Zuschauer, die ein Problem mit unsympathischen Hauptfiguren haben. Sympathie für Mavis, die (u.a.) aus purem Egoismus eine Ehe inklusive Kind auseinanderbringen will, dürfte sich schwierig gestalten. Diablo Cody und Jason Reitman sind eher an Mavis als Charakter interessiert, denn Mavis ist ohne Rücksicht auf Verluste ein Biest und Miststück. Uneinsichtig, gierig, unehrlich, egoistisch und dabei ständig jammernd, obwohl ihre eigene selbstzerstörerische Art Wurzel nahezu aller Probleme ist, die sie beschäftigen. Und Cody ist zu klug, um aus „Young Adult“ einfach eine flippige „Vom Saulus zum Paulus“ Geschichte zu machen.

Figuren wie Mavis findet man im Kino selten. Eine komplizierte, häufig verachtenswerte, aber in ihrer selbstzerstörerischen Hilflosigkeit auch faszinierende Figur, auf die sich Charlize Theron mit Wonne stürzt. Eine weniger talentierte Darstellerin und eine weniger präzise Regie könnte Mavis problemlos in Gefilde stürzen lassen, wo jede Faszination vergebens ist, wo man sich einfach nur wünscht, die Figur möge aus dem Film und damit aus unserem Leben verschwinden. Cody, Reitman und Theron wissen immer, wie weit sie gehen dürfen und was sie machen müssen, um Mavis trotz ihrer Fehler interessant und faszinierend zu halten. Es ist neben „Monster“ die mit Abstand beste Leistung in Therons Karriere, die Mavis‘ Wut, ihre Lethargie und ihren Spott immer mit einer spürbaren Nuance Wehmut und Hilflosigkeit unterlegt. Ähnlich großartig ist Oswalt, der als Therons Gegenüber eine ähnlich dreidimensionale Figur mit Fehlern und komplizierten Eigenheiten spielt. Mit Eigenheiten, die sich nicht mit einmal gut zureden ausblenden lassen. Mavis‘ vermeintlicher Existenzgrund Buddy Slade ist mit Patrick Wilson ideal besetzt. Wilson nimmt man ab, er könnte zu High School Zeiten ein prolliger Aufreißer und überbeliebtes Sport-Ass gewesen sein, der mit dem Alter „vernünftig“ wurde und sich in der angeblichen „Spießigkeit“ des Ehelebens wohl fühlt. Viel mehr muss Wilson nicht leisten, denn Mavis‘ Suche nach Glück und seelischer Erfüllung erfordert mehr, als nur die Rückgewinnung des Ex-Freunds.

Fazit:
Nach Drehbuch von Dablo „Juno“ Cody serviert Jason Reitman ein faszinierendes Porträt einer komplizierten, fehlerhaften und kaum entgegenkommenden Frau, die Charlize Theron wunderbar gallig und lebhaft porträtiert. Wir müssen Hauptfigur Mavis nicht bedauern, wir sind jedoch eingeladen, ihren charakterlich spannenden Weg zu einem Neuanfang zu begleiten.

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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