BG TV-Kritik: „Hannibal“ (Staffel 1)
Dieser Artikel ist zwar nicht ganz spoilerfrei, aber so allgemein wie möglich gehalten.
Vor dem Start
Als Bryan Fuller letztes Jahr seine Pläne für die Serie „Hannibal“ verkündete (so nannte er zum Beispiel ein Ziel von sieben Staffeln), konnte man durchaus skeptisch sein. Zunächst einmal stellte sich die Frage, ob Hannibal als Serie überhaupt funktionieren kann. Weitere Skepsis machte sich breit als das Network NBC sich die Serie sicherte, denn bereits von den Filmen weiß man, dass der Gewaltfaktor sich nicht unbedingt für das Free-TV eignet und die Serie wohl besser im Kabel- oder Pay-TV aufgehoben wäre. Nicht zuletzt konnte man davon ausgehen, dass die Darsteller – insbesondere die von Will Graham und Hannibal Lecter – vielleicht die Fußstapfen ihrer Film-Vorbilder nicht ausfüllen könnten. Es gab eine Menge, was hätte schief gehen können.
Die ersten Folgen
Schon gleich mit dem Piloten kommen einige Veränderungen gegenüber den Filmen bzw. Büchern zum Ausdruck. So bekamen zwei bereits bekannte Figuren – Dr. Alan Bloom und der Klatschreporter Freddie Lounds – für die Serie eine Geschlechtsumwandlung verpasst. Aber das soll nicht weiter stören, denn Caroline Dhavernas (Dr. Alana Bloom) und Lara Jean Chorostecki (Freddie Lounds) machen ihre Sache gut. Dr. Bloom mimt dabei im entferntesten Sinne einen love interest für Will Graham, aber für Romantik zwischen den beiden bleibt nicht viel Platz. Somit kommen wir zu den Hauptfiguren: Hugh Dancy verkörpert Will Graham, den Dreh- und Angelpunkt der Serie. Die Figur leidet an einer Form des Asperger Syndroms und hat autistische Züge, was mit Blick auf die Bücher und Verfilmungen merkwürdig anmutet, für die Serie aber genau den Grund liefert, weshalb Will sich so gut in die Täter hinein versetzen kann. Und genau das macht Will wortwörtlich: Wenn er einen Tatort betritt, kann der Zuschauer live miterleben, wie die jeweiligen Morde durchgeführt wurden – mit Will Graham als Täter! Das sorgt schon gleich am Anfang für ein mulmiges Gefühl beim Zuschauer, denn diese Nachstellungen, die sich in Wills Kopf abspielen, schlagen auf seine Psyche, weshalb Jack Crawford (Laurence Fishburne) seinen Ermittler auch in psychologische Betreuung gibt. Will soll schließlich nicht den Verstand verlieren.
Mads Mikkelsen schlüpft dabei in die Rolle des Dr. Hannibal Lecter, dem die Betreuung Wills auferlegt wird. Selbstredend wird schon im Piloten deutlich gemacht, dass der Psychologe nicht nur ein Gourmet, sondern auch ein Killer und Kannibale ist.
Die ersten Folgen bedienen sich dabei zunächst einer Art „Fall der Woche“-Schema. So ziemlich jede Folge bietet einen neuen Killer und damit verstörende Bilder, die sich nicht nur in Wills Kopf ausbreiten, sondern auch schonungslos dem Zuschauer präsentiert werden. Beachtlich, was im US Free-TV dabei alles erlaubt ist. Aber die Serie ist keineswegs ein Procedural, was jede Woche „nur“ mit noch brutaleren Killern und grausamer getöteten Opfern überzeugen will. Die Haupthandlung findet in der Beziehung zwischen Will und Hannibal statt und diese geht jede Episode einen Schritt weiter. Auch für Jack Crawford und einige Nebenfiguren, wie zum Beispiel Abigail Hobbs (Kacey Rohl), bleibt genug Platz, um Teil dieser Entwicklung zu werden. Die Atmosphäre bleibt dabei stets dicht, die Dialoge (gerade von Hannibals Seite) meist doppeldeutig und sehr gut geschrieben und Hannibals Zuhause dürfte eines der schönsten Sets sein, was man in heutigen Serien vorfindet. Ein kleines Highlight sind auch die kulinarischen Köstlichkeiten, die Hannibal Woche für Woche seinen Gästen anbietet und die von Janice Poon (http://janicepoonart.blogspot.gr/) hinter den Kulissen ausgetüftelt und hergerichtet werden.
Wills Leidensweg
Wie schon nach den ersten Episoden vermutet werden kann, gehen die Ermittlungsarbeiten an Will Graham nicht spurlos vorüber. Es fängt mit Schlafwandeln an, geht über kleinere zeitliche Erinnerungslücken bis hin zu Stunden die Will plötzlich fehlen. Es hat den Anschein, dass er mit jeder Folge etwas mehr den Verstand verliert und seine große Stütze Hannibal sieht dabei zu und manipuliert den armen Will obendrein auch noch. Dabei können beide Schauspieler ihre Kunst zum Besten geben und sollten für einen Emmy auf jeden Fall in die nähere Auswahl rücken.
Auch für den Zuschauer wird es dabei gegen Ende der Staffel immer schwieriger, Wills Taten und Fantasien auseinander zu halten. Man bettelt geradezu danach, dass es ihm doch wieder besser gehen möge und er endlich erkennt, was für ein Mensch bzw. Teufel sein psychiatrischer Helfer doch wirklich ist. Besonders deutlich wird das, als eine Erklärung für Wills geistige Zustände geliefert wird, die rein körperlicher Ursache ist und behandelt werden kann, aber Hannibal das nicht zulässt und die Diagnose „verschwinden“ lässt.
Die letzten Folgen
Das oben bereits erwähnte „Fall der Woche“-Schema wird in den letzten Folgen nicht fortgesetzt. Die Serie macht sich hier vielmehr zu Nutze, auf einige der älteren Fälle zurück zu greifen und die Figuren daraus mit in Wills Kampf um seinen Verstand hinein zu ziehen. So wird teilweise kontinuierlich wie zum Beispiel durch Gastauftritte von Abigail Hobbs, teilweise sporadisch, wie im Fall von Georgia (Ellen Muth) oder Dr. Gideon (Eddie Izzard), auf diese Figuren zurückgegriffen, was der Staffel deutlich besser steht als das Wochenschema.
Das Finale führt schließlich alle Fäden zusammen und liefert dem Zuschauer einige WTF-Momente. Vor allem die letzte Szene dürfte gut in Erinnerung bleiben und die Wartezeit auf die zweite Staffel sehr lang wirken lassen. Es macht sich hier auch bemerkbar, wie viele kleine Details (z.B. die Angelhaken) bereits in den Folgen davor eingestreut wurden, so dass das Finale wie von langer Hand geplant und perfekt umgesetzt wirkt.
Fazit: Bryan Fuller hat es geschafft – aller Skepsis zum Trotz – eine wunderschöne erste Staffel abzuliefern, die sich bis zum Ende sehen lassen kann. Die Performances von Dancy und Mikkelsen sind hervorragend, die Atmosphäre ist stets dicht und es wird die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers gefordert. Die Szenerien lassen sich am besten als „abartig schön“ beschreiben. Eine klare Empfehlung für jeden Lecter-Fan.
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