BG Kritik: „Black Widow“
Endlich im Kino: Die Vergangenheit holt Natasha Romanoff alias Black Widow (Scarlett Johansson) ein. Zeitlich angesiedelt zwischen den MCU-Filmen „Civil War“ und „Infinity War“, trifft Natasha auf ihre alte Familie aus Tagen als russische Spionin. Die damaligen Verantwortlichen sind noch nicht fertig mit Natasha und sie noch nicht mit ihnen.
Black Widow
(USA, UK, Irland, Ungarn, Marokko 2021)
Regie: Cate Shortland
Darsteller: Scarlett Johansson, Florence Pugh, David Harbour, Rachel Weisz
Kinostart Deutschland: 08. Juli 2021
„Black Widow“ ist ein Film, der doppelt „zu spät“ wirkt, wenn nicht gar dreifach. Da wären die langwierigen Corona-Verschiebungen, da wäre die Tatsache, dass ein Black Widow Solofilm eigentlich schon lange überfällig war, da ist aber auch die eigentliche Handlung, die uns nach einem Intro in eine Zeit nach „Civil War“ und vor „Infinity War“ schmeißt. Nach ihrem Ableben in „Endgame“ darf Natasha Romanoff endlich einmal im Zentrum stehen, darf eine richtige Figur sein, mehr als nur Sidekick und Stichwortgeber für andere Helden. Und Scarlett Johansson darf sie endlich als solche spielen. Das besagte Intro entfaltet sich zunächst wie eine marginal spektakulärere Version der Erfolgsserie „The Americans“. Eine stinknormale amerikanische Familie Mitte der 90er; der Vater bei der Arbeit, die Mutter und die beiden Töchter daheim, Mac & Cheese auf dem Esstisch und Glühwürmchen im Garten. Und dann kommt die Offenbarung, die jeder im Publikum bereits geahnt hat, die auch gar nicht als Offenbarung gedacht war, sondern als unvermeidbares Ende eines flüchtigen Traums. Die Familie muss fliehen, denn natürlich sind sie russische Spione und Agenten, die die amerikanische Gesellschaft infiltrierten.
Marvel zeichnet sich dadurch aus, eine stärkere Beziehung zu unserer Realität zu haben als beispielsweise die Kollegen bei DC. Bisher war man im MCU jedoch auch einigermaßen geschickt darin, das Reale und insbesondere das Politische nur zu streifen, in den richtigen Details dann doch fiktive Figuren, Orte und Namen zu nehmen, wie Wakanda und Sokovia, um den Spaß am bunten Actiontreiben nicht zu sehr zu trüben. So wurden der Red Skull und seine Schergen zu einer Sondergruppe abstrahiert, losgelöst von, nun ja, gewöhnlichen Nazis. Auch der Winter Soldier konnte den langen Schatten des realen Kalten Krieges noch so gerade entkommen. Das wird bei „Black Widow“ schwieriger, nicht zuletzt durch eine Titelsequenz, die eben auch an „The Americans“ erinnert, in der Yelzin, Clinton und andere reale Persönlichkeiten ein Potpourri der russisch-amerikanischen Beziehungen vorstellen. Obwohl Natasha und damit auch der Film ihre Entscheidungen bereits getroffen haben, welche Seite die richtige ist, versucht man sich dieser Fragestellung zumindest ein kleinwenig anzunähern. Die interessanteste – aber auch gefährlichste – Schlussfolgerung daraus ist das Kern-Gimmick dieser Geschichte, der Unterschied zwischen Ideologie und Chemie.
Eigentlich wird Natasha gerade von ihrer eigenen, ihrer neuen, d.h. der amerikanischen Regierung in Person von Secretary Ross gejagt. Wir erinnern uns, die Avengers hatten sich als Reaktion auf die Sokovia Richtlinien entzweit, die Gruppe um Captain America wurde seitdem als Staatsfeinde gesucht. Natasha hält sich in der idyllischen Einsamkeit Norwegens versteckt, als sie die Vergangenheit aus ganz anderer Richtung erreicht. Der Taskmaster, ein hochtechnologisierter Spezialkämpfer im Auftrag des russischen Generals Dreykov, ist zunächst einmal „nur“ ein Widersacher, wenn auch ein fordernder. Von größerer persönlicher Bedeutung für Natasha sind da die wiedererwachten Verbindungen zu ihrer alten Familie, den damaligen Eltern Alexei (David Harbour) und Melina (Rachel Weisz), aber insbesondere zur kleinen Schwester Yelena (Florence Pugh). Es zeigt sich, der Rote Raum und das Widow-Programm sind noch immer aktiv, sind damit eine Gefahr und eine Schande, die Natasha beseitigen will.
Die Intentionen seitens Disney und Marvel Studio bezüglich Yelena und Darstellerin Florence Pugh scheinen offensichtlich und zweckmäßig, doch das heißt nicht, dass diese Figur dadurch schwach und erzählerisch irrelevant ist. Im Gegenteil. Pugh bringt frischen Wind in den Film und ins gesamte MCU, wo sie möglicherweise noch länger verweilen wird. Yelena und ihre Darstellerin sind enorm gewitzt und unterhaltsam, ohne an dramatischer und emotionaler Glaubwürdigkeit einzubüßen. Die Schlagworte und Phrasen zum Thema Familie, zu Natashas zwei Familien, sind zumeist auf dem Level eines „Fast and Furious“ Films, doch die zentrale Schwesternbeziehung wirkt, was einerseits ein Verdienst der beiden Darstellerinnen ist, andererseits aber auch mit der nötigen Sorgfalt geschrieben und inszeniert wurde. Die auf Lügen und falschen Identitäten gebaute Verbindung zwischen Natasha und Yelena fasziniert und bewegt, wird schnell zu einem der gelungensten zwischenmenschlichen Handlungsstränge im MCU. Mit Romanzen tut man sich im Marvel Universum häufig schwer, doch Geschwister – von Thor und Loki hin zu Gamora und Nebula – funktionieren.
Doch dieses Universum ist und bleibt Action- und Spektakelkino. So gibt es gerade zu Beginn ein paar zünftige Kloppereien, wenn Natasha dem Taskmaster entwischen will oder auf ihre Schwester trifft. Das ist noch immer nicht die ganz große Kunst der Kampfchoreogrphie, doch in Sachen 1vs1-Duellen hat man im MCU schon dumpfere und schwächer montierte Szenen gesehen. Das erste Wiedersehen der Schwestern macht ohne Frage Spaß. Erst die Stürmung eines Gefängnisses in schneeiger Einöde ist ein Vorgeschmack auf die genretypischen Spektakelszenen, die irgendwie verpflichtend dazugehören, auch wenn man sich am Ende dieser halsbrecherischen Hatz in erster Linie fragt, wie viele namenlose Menschen gerade wirklich draufgegangen sind. Von echtem Interesse scheint diese Frage nicht, denn weiter geht’s. Immerhin gönnt der Film sich und seinen Figuren im Mittelteil die nötige Zeit und Ruhe, um die verhältnismäßig spannend verknoteten menschlichen Verbindungen zu vertiefen und auszuloten. Nicht zuletzt hier erkennt man auch Regisseurin Cate Shortland wieder, die als Filmemacherin hinter „Somersault“ und „Lore“ nicht unbedingt für Action bekannt war. Eine Rückkehr in diese Bombast-Höhen bietet dann erwartungsgemäß das Finale und torpediert sich dadurch beinahe selbst. Die Szenen sind groß und spektakulär, gut getrickst und schmissig, ja sogar recht spannend und voller origineller Einfälle, allerdings auch komplett im Niemandsland der Sci-Fi-Action Absurdität. Sicher, es ist technisch gesehen derselbe Franchise, in dem ein lila Alien Iron Man mit dem Mond bewerfen wollte, doch im geschlossenen System dieses Films ist die Effektgewalt und Zerstörungsgröße des Finales eher kontraproduktiv, untergräbt den eigentlich starken emotionalen Kern der Geschichte ein kleinwenig.
Fazit:
Über Timing und Zweck dieses Films innerhalb des MCUs kann man streiten, doch für sich genommen ist „Black Widow“ gewohnt unterhaltsames und in Teilen schon übertrieben spektakuläres Kino, mit erstaunlich wirkungsvollem menschelnden Kern.
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