BG Kritik: „Borat Anschluss Moviefilm“

24. Oktober 2020, Christian Westhus

Very nice! Völlig überraschend kam vor ein paar Monaten die Ankündigung, 14 Jahre nach „Borat“ (2006) käme nun doch eine Fortsetzung zu den Abenteuern des von Sacha Baron Cohen konzipierten und gespielten kasachischen Reporters Borat Sagdiyev. Wieder zieht Borat durch die USA und stellt – bewusst oder unbewusst – so manch absurde Facette der großen Nation heraus. „Borat Anschluss Moviefilm“ ist nun bei Amazon Prime Video zu sehen.

Borat Anschluss Moviefilm
(Originaltitel: Borat Subsequent Moviefilm: Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan | USA, UK (Kasachstan?) 2020)
Regie: Jason Woliner
Darsteller: Sacha Baron Cohen, Maria Bakalova, u.a.

Wawaweewa, Borat ist zurück. Very nice. Der erste „Borat“ Film („Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“) war 2006 ein Überraschungserfolg, wurde quasi sofort zur Kultkomödie und löste gleich mehrere realweltliche diplomatische und politische Reaktionen aus. George W. Bush, der damalige US-Präsident (ja, so lange ist das schon her), traf sich mit dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew, um den vermeintlichen Rassismus und die Stereotypisierung Kasachstans in Cohens Film zu besprechen. Satire hin oder her, „Borat“ löste Kontroversen aus. Auch in Deutschland gab es Widerstände, gab es Bemühungen, die Veröffentlichung zu verhindern, insbesondere durch die Hauptfigur Borat, der als unverschämt offener Antisemit, Antiziganist, Homophob und Sexist gleich mehrere Problemfelder beackerte.

Damals war Sacha Baron Cohen überwiegend durch die „Ali G Show“ bekannt und konnte relativ problemlos in die Rolle des kasachischen Reporters Borat Sagdiyev schlüpfen, der in die USA reist um zu lernen, wie man eine mächtige und gefürchtete Weltmacht wird. Oder so ähnlich. Wobei – ‚problemlos‘ ist das falsche Wort, denn Cohen und Teile seines kleinen Filmteams um den damaligen Regisseur Larry David zogen im Guerrilla-Stil durchs Land, wurden gleich mehrfach verhaftet und standen nach Aussagen mehrerer Beteiligter wiederholt davor, gefährliche oder gar tödliche Konsequenzen zu tragen. Kein Witz, die legendäre Provokation vor einem uneingeweihten Rodeo-Publikum hätte nur zu leicht schiefgehen können. Damals war es für Sacha Baron Cohen und Co. jedoch noch ‚einfacher‘, da sie weitgehend unbekannt waren. Im Jahr 2020, nach dem ersten Film, nach „Brüno“, „Der Diktator“ und insbesondere der „Who is America?“ Serie, sind Cohen selbst, seine Figuren und Methoden zu bekannt. Sollte man jedenfalls meinen. Das meinte lange Zeit auch der Komiker selbst, der eine „Borat“ Fortsetzung eigentlich ausschloss.

© Amazon Prime Video

Nun ist es doch passiert. *Jak sie masz?!* Trump (und Corona?) haben Cohen dazu berufen, noch einmal zurückzukehren. Auch für den echten („echten“) Borat Sagdiyev gab es nach dem ersten Film Konsequenzen. Negative, denn sein Film habe die glorreiche Nation Kasachstan zum weltweiten Gespött gemacht. Nach vierzehn Jahren im kasachischen Gulag bekommt Borat jedoch noch eine Chance. Der neue US-Präsident ist für die kasachische Regierung natürlich ein dufter Typ, also wird der rasende Reporter losgeschickt, um ein Bestechungsgeschenk an Trump zu übergeben, damit dieser Kasachstans Reputation wiederherstellt. Eine einfache Sache eigentlich. Als jedoch das angedachte Bestechungsgeschenk (ein Primaten-Pornostar – ja, richtig gelesen) ausscheidet, steht Borat nach turbulenter Anreise in den USA dumm da, denn seine ungezähmte und mit ihren 15 Jahren erschreckenderweise noch unverheiratete Tochter Tutar ist ihm in die US of A gefolgt. Doch vielleicht ist gerade Tutar die Möglichkeit eines neuen Bestechungsplans.

Borat als filmische Kunstfigur ist, als wäre Michael Moore ein Mitglied von Jackass. Oder so ähnlich. Man kann diese Filme als reine Komödien betrachten und konsumieren, als Cringe Meisterwerke und absurde Provokation. Borat Sagdiyev als Charakter hingegen ist anders zu bewerten. Dies wird noch verstärkt, da ihn diese Fortsetzung noch stärker als wirklichen Charakter einsetzt, ja sogar so etwas wie einen Charakterbogen mit emotionaler Weiterentwicklung wagt. War das Duo aus Borat und Produzent Azamat Bagatov im ersten Film primär ein Instrument der satirischen und komödiantischen Mockumentary-Provokation, nimmt „Borat Anschluss Moviefilm“ die Vater/Tochter Beziehung erstaunlich ernst. Dabei hilft, dass Darstellerin Maria Bakalova eine herausragende Entdeckung ist, doch gleichzeitig müssen wir den Charakter Borat dabei akzeptieren, wie er Propangasflaschen danach beurteilt, wie viele „Zigeuner“ er damit töten kann, oder wie er mit Freude darauf reagiert zu erfahren, dass der Holocaust doch real war. Borat und „Borat“ sind immer auch Zerrspiegel der amerikanischen Selbstwahrnehmung und Außendarstellung. Diese politische Ebene der Filme zu ignorieren, heißt, ihren Hauptteil zu ignorieren.

Für den ersten Film gaben sich Cohen und sein Team als echtes („echtes“) kasachisches TV-Team aus, um ihre Nebenfiguren nichtsahnend aus der realen Welt zu beziehen. Die Statisten und Darsteller unterschrieben einen Freigabevertrag im Glauben, fürs obskure kasachische Fernsehen einen Spielfilm oder eine Dokumentation zu drehen. So ähnlich ging man auch jetzt vor, heißt es. Dennoch erscheinen die Spielszenen zuweilen leichter durchschaubar, stärker gescriptet. Eine Figur wie die Babysitterin für Tutar oder auch zwei Pro-Trump Kumpels, bei denen Borat für ein paar Tage unterkommt, sind unmissverständliche Charaktere, sind geschrieben und gespielt. Das muss so sein, oder? Zu witzig sind die Gespräche beispielsweise über die Schutzfunktion von „titties“. Zu perfekt konstruiert ist die Beobachtung, das kasachische Tochter-Handbuch als verschwörungstheoretischen und sexistischen Unsinn zu erkennen, im gleichen Atemzug aber vom „China-Virus“ und den Kinderblut trinkenden Clintons zu sprechen. Wie viel wussten die Statistinnen und Statisten eines Debütantinnenballs wirklich, bevor Tutar die Tanzfläche betritt? Ist die Selbstverständlichkeit, mit der eine Verkäuferin den antisemitischen Spruch mit Zuckerguss auf eine Torte setzt, gespielt, ist es die Reaktion auf das Umfeld aus Kamera und Figuren vor ihr, oder ist es authentisch? Was ist mit dem netten Mann vom Fax-Service oder mit dem offenbar religiös motivierte Arzt einer Frauenklinik? Auf einige dieser Fragen gibt es öffentliche Antworten, doch Restzweifel bleiben. Die Grenzen zwischen Inszenierung, Überzeichnung und Realität sind ab einem gewissen Punkt fließend und damit auch irrelevant. Oder eben der springende Punkt. Nicht ohne Grund spricht man seit gut viereinhalb Jahren davon, die USA der Trump-Jahre seien „beyond parody“, also jenseits aller Parodie. Vielleicht hat Trump-Berater und New Yorks ehemaliger Bürgermeister Rudy Giuliani dazu was zu sagen. Jemand sollte ihn mal interviewen…

Fazit:
Borat ist Borat und damit nicht für jeden. In ihrer brachialen und provokativen Art treffen Sacha Baron Cohen und seine Kunstfigur dennoch manches Mal voll ins Schwarze, sei es komödiantisch oder satirisch. Eine Bewertung ist eigentlich unnötig bzw. unmöglich, aber vielleicht…

7,5/10

Autor: Christian Westhus

Ein echter Ostwestfale. Gebürtig aus einer kleinen Doppelstadt, die niemand kennt, studierte Literatur in einer Stadt, die es angeblich nicht gibt (Bielefeld). Arbeitet seit 2006 für BereitsGesehen, schreibt Kritiken und Kolumnen, gehört zum Podcast Team und ist einmal im Monat beim KultKino in Lippstadt zu sehen.

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